Die AfD auf dem Höhenflug – Chance oder Gefahr?

Die AfD holt in den letzten Monaten gegenüber der Konkurrenz immer mehr auf, in einigen Bundesländern führt sie sogar die Umfragen an. Diese Entwicklung wird derzeit im konservativen Lager auf breiter Front positiv aufgenommen – doch birgt sie auch Gefahren?

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Die AfD auf dem Höhenflug – Chance oder Gefahr?

Die AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel

© IMAGO / IPON

Immer mehr Meinungsforscher sehen die AfD bundesweit zuletzt zwischen 15 und 17 Prozent. Diese Werte erreichte die Partei zuletzt vor einigen Jahren – eine neue Welle der Zustimmung lässt die konservative Partei also in der Wählergunst immer weiter steigen. Unterdessen hat eine INSA-Umfrage ergeben, dass die AfD ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Bis zu zehn Prozent mehr Wähler anderer Parteien können sich vorstellen, ihr Kreuz bei der AfD zu machen. Damit hat sich das Reservoir der Partei im Vergleich zur letzten Umfrage um weitere zwei Prozentpunkte vergrößert und käme bei voller Ausschöpfung auf 26,5 Prozent. Als einzige Partei konnte die AfD sogar an Wählerpotenzial zulegen, so INSA. Nicht berücksichtigt sind dabei die Nichtwähler, die möglicherweise auch die AfD wählen würden. Eine aktuelle Umfrage von YouGov sieht die Konservativen mit 17 Prozent sogar auf dem zweiten Platz, während sich SPD und Grüne mit 16 Prozent um den dritten Platz streiten müssen.

Vor allem bei der FDP sind die potenziellen Wähler zu finden, die sich noch nicht sicher sind, ob sie die AfD wählen werden. Auf die Liberalen entfallen 43 Prozent des gesamten zusätzlichen Wählerpotenzials, auf die bisherigen CDU/CSU-Anhänger 24 Prozent. Und 22 Prozent kommen von Personen, die Parteien wählen wollen, die derzeit an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern; bei SPD- und Grünen-Wählern zusammen sind es elf Prozent. Sollte es der AfD gelingen, das bei der FDP noch vorhandene AfD-Potenzial vollständig abzuschöpfen, würde die FDP unter der Annahme, dass die Zahl der Wähler und Nichtwähler so hoch bleibt wie heute, prozentual so stark werden wie 2013, nämlich rund fünf Prozent. Die Zustimmung von Wählern anderer Parteien könnte die Partei damit so stark machen wie schon lange nicht mehr in Umfragen – zuletzt konnte die AfD 2018 solche Werte erreichen. Die Partei um die Spitzenkandidaten Alice Weidel und Tino Chrupalla liegt wieder souverän und stabil auf dem dritten Platz, wobei die Abstände zur zweitplatzierten SPD und den viertplatzierten Grünen mit 20 beziehungsweise 14 Prozent sehr gering sind.

Viele Prozente auch in den Landtagen

Nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Ländern kann die AfD immer mehr Wähler für sich gewinnen. Auffällig ist hier Mitteldeutschland. Die letzte INSA-Umfrage vom 27.04.2023 sieht die AfD in Thüringen mit großem Abstand und 28 Prozent auf Platz 1, während die beiden Verfolger Linke und CDU mit 22 beziehungsweise 21 Prozent um Platz zwei kämpfen. Auch in Brandenburg wird die AfD auf Platz eins gesehen. Ähnliche Tendenzen sind auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern zu beobachten: Wenn nicht Platz eins wie in Erfurt oder Potsdam, so doch ein stabiler zweiter Platz mit Potential, 30 Prozent erreichen zu können. An der Ostseeküste hätte die AfD in Schwerin laut einer INSA-Umfrage vom April mit 25 Prozent gute Chancen, die regierende SPD um Ministerpräsidentin Schwesig mit 28 Prozent einzuholen. In Sachsen-Anhalt liegt die AfD mit 26 Prozent auf Platz zwei und kann die drittplatzierte Linke, für die laut einer Umfrage vom März nur elf Prozent stimmen würden, auf Distanz halten.

Für die führenden AfD-Akteure im Osten ist die Marschrichtung klar – man will 2024 die erste Landesregierung übernehmen. Die AfD hat ihre Hochburgen im Osten, sehr zum Ärger der Mainstream-Experten, die den Aufstieg der AfD kritisch beäugen. Die Partei habe ihr Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft, sagte der sogenannte Rechtsextremismus-Experte von der in die Kritik geratenen Amadeu-Antonio-Stiftung Jan Riebe in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau. Die bevorstehenden Landtagswahlen im Osten seien eine „Herausforderung für die Demokratie“, so Riebe weiter. Den Erfolg führt er auf die angebliche Angstmobilisierung der AfD zurück – „Es scheint naheliegend, dass das Ängste ausgelöst hat und einige sich wieder mehr der AfD zugewandt haben“, so Riebe. Die Partei sei demzufolge salonfähiger geworden.

Gelassenheit in Mitteldeutschland

In Erfurt und den anderen Landeshauptstädten sieht man den kommenden Monaten und Jahren gelassen entgegen – man gibt sich siegessicher. „Langfristig wird der Mut belohnt, die richtigen Botschaften auch jenseits des erlaubten Meinungskorridors auszusprechen“, erklärte der Landessprecher der AfD Thüringen, Stefan Möller, gegenüber FREILICH. Gleichzeitig weist er aber auch auf eine innerparteiliche Dimension hin. Bis Anfang 2022 war die Partei eher ein Pulverfass, da mehrere Vorsitzende während ihrer Amtszeit die Partei verließen – Beobachter sprachen daher vermehrt von innerparteilichen Flügelkämpfen. Mit den im Sommer 2022 gewählten Bundessprechern Weidel und Chrupalla und dem Bundesvorstand sei jedoch eine gewisse Ruhe in die Partei eingekehrt. Möller stimmt dem zu, denn „die rechtzeitige Überwindung der von innerparteilichen Querelen geprägten Ära Meuthen“ biete beste Voraussetzungen, „die sich daraus ergebenden Chancen zu nutzen“.

In der Partei scheint demnach Ruhe eingekehrt zu sein, es gibt immer weniger Querelen und Alleingänge - die Wähler goutieren das in den Umfragen. Eine geschlossene Partei liegt den Wählern besser im Magen. Während früher oft Inhalte aus vertraulichen Bundesvorstandssitzungen an die Presse durchgestochen wurden, muss man heute schon sehr gute Kontakte haben, um zu wissen, was die Parteispitze berät und beschließt. Diese Einschätzung teilt auch Martin Scheliga. „Mit dem Austritt Meuthens Ende Januar 2022 nahm die Zahl der Medienberichte über Interna der AfD deutlich ab. Gleichzeitig konnte die AfD im Vergleichszeitraum von damals bis heute von zehn bis elf Prozent auf 16 bis 17 Prozent zulegen“, so der Politikberater und Datenanalyst, auf Anfrage von FREILICH.

Auch in Westdeutschland gute Stimmung

Der optimistische Blick in die Zukunft ist nicht nur im Osten zu beobachten. Zwar können die westdeutschen Landesverbände nicht mit den Umfragewerten der Ostverbände mithalten, dennoch ist ein positiver Trend erkennbar. In Niedersachsen konnte die AfD im vergangenen Herbst rund elf Prozent erreichen, zudem trauen die Meinungsforschungsinstitute der AfD mittlerweile sogar auch im Westen Direktmandate zu. In Nordrhein-Westfalen könnte die AfD auf stabile neun Prozent kommen, während sie vor einem Jahr bei der dortigen Landtagswahl nur 5,4 Prozent erreichte. Auch im hohen Norden scheint die blaue Welle angekommen zu sein – war die AfD im vergangenen Jahr in Kiel noch rausgeflogen, könnte sie nun mit 7,5 Prozent einziehen. Jedoch: Die AfD wird im Westen noch einen langen Weg gehen müssen.

Die AfD habe es im Westen und Norden schwerer, stellte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Alternative (JA), also der Jugendorganisation der AfD, Tomasz M. Froelich fest, der als Politikberater arbeitet und in Hamburg verwurzelt ist. „Hinzu kommt, dass das, wovor die AfD immer gewarnt hat und was vom Mainstream als 'Panikmache' belächelt wurde, tatsächlich eintritt.“ Damit meint Froelich politische Entwicklungen wie Euro-Inflation, illegale Masseneinwanderung oder Kriegstreiberei – „immer mehr Menschen erkennen, dass die AfD am Ende immer Recht hat“. Auch in der ehemaligen „Frontstadt Berlin“ ist die Stimmung entspannt und eher positiv. „Dass die Ablehnungsfront gegen die AfD bei den Wählern schrumpft, ist ein gutes Zeichen, das wir in Berlin mit Optimismus sehen“, sagte der Berliner Politiker Frank-Christian Hansel auf Anfrage von FREILICH. Nun gelte es, die Versäumnisse der Bundesregierung aufzuzeigen und damit Vertrauen zu gewinnen – „vor allem im Westen, wo wir stärker werden müssen“. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass der Resonanzboden für bestimmte Themen, wie sie die AfD spiele, in Ost und West noch zu unterschiedlich sei. Vor allem Themen wie die geopolitische Orientierung an den USA oder die Haltung zum Ukraine-Krieg sorgen noch für unterschiedliche Positionen.

Die Jugend ist euphorisiert

Diese Bestandsaufnahme lässt vermuten, dass sich auch die Mitglieder der Jungen Alternative motiviert fühlen, noch mehr für ihr Land zu tun – und das, obwohl erst kürzlich bekannt wurde, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die JA als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft hat. „Wir haben derzeit einen sehr großen Zulauf. Die Mitgliederentwicklung ist positiv und die Zahlen steigen stetig“, bestätigte JA-Bundesvorstandsmitglied Anna Leisten aus Brandenburg gegenüber FREILICH. Diese optimistische Sichtweise wird durch den Verfassungsschutz keineswegs getrübt, wie JA-Mitglied Jan R. Behr aus Mainz dem Magazin verriet: „Im Gegenteil, unser Zusammenhalt und Gemeinschaftsgefühl ist in letzter Zeit noch gewachsen und viele einflussreiche Vertreter der AfD haben uns den Rücken gestärkt.“

Also alles in Ordnung bei AfD und JA? Kritische Stimmen sind schwer zu finden. Selbst der Verleger Götz Kubitschek – traditionell eher auf wohlwollende Distanz zur Partei bedacht – äußert sich auf Anfrage von FREILICH positiv. „Die Partei wirkt geschlossen, Höcke und Weidel haben in Erfurt gemeinsam demonstriert, das ist parteiintern kaum noch erklärungsbedürftig“, so Kubitschek. Die emotionalen Vorbehalte der Wähler gegenüber der AfD schwinden, so seine Beobachtung. „Die Konfrontation zwischen den Altparteien und der AfD ist offensichtlich, das Oppositionstheater der CDU zieht nicht mehr.“ Der Aufstieg der AfD ist also nicht zu bremsen – oder doch?

„Die AfD tut gut daran, ihren Kurs beizubehalten“

Ein Blick auf die Gründe für das Umfragehoch der AfD kann diese Frage möglicherweise beantworten. Der Politikberater Daniel Fiß benennt im Gespräch mit FREILICH drei Faktoren, die die AfD schon in der Vergangenheit beflügelt hätten und auch jetzt wieder nach vorne treiben würden: „Wachsende Unzufriedenheit mit der Regierung, Migration als eines der Topthemen sowie die Zuspitzung des gesellschaftlichen Kulturkonflikts zwischen linken Postmaterialisten und Materialisten“. Vor allem den letzten Punkt sieht Fiß als Scheidelinie in der politischen Auseinandersetzung zwischen den ideologischen Polen AfD und Grüne. „Hier prallen zwei völlig unterschiedliche prototypische Lebensentwürfe aufeinander“, so Fiß. Bei den Grünen sieht er die linke Verzichts- und Wohlstandsvernichtungsethik am Werk, während die andere Seite, also die AfD, eher den Normalbürger repräsentiere. Dementsprechend sieht er eine Situation, die vielfältige Konfrontationslinien erkennen lässt. „Die steigenden Werte für die AfD zeigen zumindest, dass es auf der Seite der 'Normalen' noch politische Immunkräfte gibt“, so der Experte – hier seien noch Widerstandsimpulse der Verteidiger der „alten Normalität“ zu erkennen.

Der Politikwissenschaftler und Publizist Benedikt Kaiser ist etwas skeptischer und mahnt hier Professionalität und Nachhaltigkeit an. „Die AfD tut gut daran, ihren Kurs beizubehalten“, so Kaiser im Gespräch mit FREILICH, denn „man kann jederzeit wieder umfallen“. „Friedenspolitik nach außen, doppelte Frontstellung gegen Union und Ampel nach innen“ sind laut Kaiser derzeit ein funktionierendes Konzept. Er rät auch von „unnötiger Selbstradikalisierung“ und „devoter Selbstverzwergung“ ab – „man ist angetreten, um dieses Land grundlegend zu verändern“. Dass dieser Veränderungswille nicht für mehr Akzeptanz im Mainstream sorgen wird, ist sich der Experte sicher, denn „dass das dem Machtblock nicht gefällt und mit zunehmendem Erfolg auch der Gegenwind stärker wird, sollte jedem Aktiven klar sein“. Es gelte nun, konsequent Positionen zu erarbeiten und diese in die Breite zu tragen.

Professionalisierung und Pragmatismus

Ausgehend von den genannten Punkten scheint die AfD also keineswegs auf dem absteigenden Ast zu sein. Sie führt im Osten, holt inzwischen auch im Westen auf und kann sogar bei der Jugend wichtige Erfolge erzielen. 2024 wird das Europaparlament neu gewählt, außerdem stehen Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg an. In diesem Jahr werden auch noch in Bayern und Hessen neue Landtage gewählt – die aktuellen Umfragen sehen die Partei etwa gleich stark oder stärker als bei den letzten Wahlen – da scheint die Blamage in Bremen, wo die Partei wegen interner Querelen nicht antreten wird, durchaus verkraftbar.

Die Ausgangslage für die AfD ist also durchaus gut, um nicht zu sagen hervorragend. Sie ist in einem Teil der Republik verankert und etabliert und kann auf eine wachsende Anhängerschaft und Wählerschaft zählen. Eine konservative Wende scheint nun endlich möglich, zumal die Vorbehalte der anderen gegenüber der AfD, wie erwähnt, schwinden. So hat die AfD wohl nur noch einen Feind zu fürchten – sich selbst. Was eine geschlossene und ideologisch gefestigte konservative Partei erreichen kann, zeigt das Beispiel der FPÖ in Österreich. Glaubt man den Umfragen, könnte die FPÖ bei den nächsten Nationalratswahlen mit Herbert Kickl den neuen Bundeskanzler stellen. Eine Entwicklung, die sich die AfD auf jeden Fall anschauen sollte.

Über den Autor

Bruno Wolters

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei Freilich. Seine Interessengebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

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