DOKUMENTIERT: Meuthen erklärt seinen AfD-Austritt

Jörg Meuthen hat der AfD den Rücken gekehrt. Auf Facebook erklärte der ehemalige Parteivorsitzende seine Beweggründe. Die TAGESSTIMME dokumentiert Meuthens Stellungnahme im Wortlaut:
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Liebe Leser, Sie sind es von mir gewöhnt, mittwochs und samstags mit inhaltlichen politischen Themenbeiträgen versorgt zu werden, und das soll und wird auch in Zukunft so bleiben. Heute jedoch möchte ich eine meiner sehr seltenen Ausnahmen von diesen inhaltlichen Beiträgen machen und Ihnen in meiner heutigen Kolumne stattdessen in eigener Sache schreiben. Sie werden vermutlich bereits erfahren haben, dass ich am gestrigen Freitag, den 28.1., nach 8 ½ Jahren Mitgliedschaft in der Partei Alternative für Deutschland (AfD), davon seit gut 6 1/2 Jahren ohne Unterbrechung als einer ihrer beiden Vorsitzenden (in der AfD Bundessprecher genannt) mit sofortiger Wirkung meinen Rücktritt vom Parteivorsitz und der Leitung der AfD-Delegation im Europäischen Parlament sowie zugleich meinen Austritt aus der Partei erklärt habe. Kurzum, nach vielen Jahren überaus intensiven täglichen Einsatzes für die Partei habe ich am gestrigen Tag einen Schlussstrich gezogen und mein politisches Engagement für die AfD beendet.

Ich muss Ihnen vermutlich kaum erklären, dass mir diese Entscheidung nach all den Jahren und ungezählten Tausenden an ehrenamtlichen Arbeitsstunden, nach all dem Engagement für das politische Vorankommen der Partei AfD alles andere als leichtgefallen ist. Dennoch: Dieser Schritt erfolgte nach sehr langer und sehr reiflicher Überlegung und in der sicheren Gewissheit, dass er zum jetzigen Zeitpunkt unvermeidlich, notwendig und richtig ist. Mir ist dabei bewusst, dass ich mit diesem Rückzug aus der AfD vielen Menschen innerhalb wie außerhalb der Partei, die mich und meine Arbeit seit Jahren hoch wertschätzen, eine erhebliche Frustration zumute. Gerade das hat mir diese Entscheidung so schwergemacht. Zugleich weiß ich natürlich auch, dass der gestrige Tag für einige herausgehobene Funktionäre der Partei, die lange – und darin höchst eifrig – keine Mühe gescheut haben, meinen Abschied aus der Partei zu erwirken, ein Tag der Freude war und in manchen Kreisen vermutlich der eine oder andere Korken geknallt haben dürfte. Wie weit diese Freude reicht, mag dann die Zukunft zeigen. Für meine Entscheidung durfte das nicht ausschlaggebend sein und war es auch nicht: nicht die Zumutung für die einen, noch das Frohlocken der anderen.

Die Frage, die ich mir beantworten musste, war stattdessen eine zweifache. Zum einen: Sehe ich in dem politischen Projekt AfD als gesamtdeutsche Partei noch eine Zukunft? Zum anderen: Kann ich durch meine Arbeit für die Partei diese auf einen Weg bringen, der sie eine vernünftige und echte Alternative für Deutschland sein lässt und den ich mitgehen kann und möchte?

Liebe Leser, ich denke, Sie kennen durch die langjährige Lektüre meiner Kolumnen meine Art zu arbeiten, meine strikt der Freiheitlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verpflichteten politischen Ziele, und letztlich sogar mit der Zeit mich selbst als Person ein wenig. Dann wissen Sie, dass ich politische Arbeit vor allem als etwas Inhaltliches verstehe, als das auf Daten, Fakten, Empirie beruhende Suchen nach den besten Lösungen für die gesellschaftlichen Fragen und Probleme, die nur im politischen Raum zu klären sind. Effekthascher und Schaumschläger sind mir tief zuwider, und ich verabscheue lautstarkes simplifizierendes Krakeelen und eitle Selbstinszenierungen (beides geht oft Hand in Hand). Darum habe ich immer für ein politisches Handeln und auch Auftreten mit Maß und Mitte geworben und gekämpft, und ich werde das in meiner politischen Arbeit so auch weiterhin tun. Leider konnte ich mich mit diesem Anspruch, dass Maß und Mitte bei aller notwendigen Härte in der inhaltlichen Auseinandersetzung das Erscheinungsbild der gesamten Partei in der Öffentlichkeit prägen mögen, trotz aller Bemühungen darum in keiner Weise durchsetzen. Auf etlichen Parteitagen, so etwa bei meiner letzten Wiederwahl in Braunschweig und noch deutlicher auf dem Parteitag in Kalkar 2020, habe ich deutlich vor den Gefahren einer zunehmenden Radikalisierung gewarnt, eine dringend notwendige Disziplinierung und Professionalisierung der Partei angemahnt, damit die Partei schrittweise in die Fähigkeit zur Übernahme von Gestaltungs- und Regierungsverantwortung hineinwachsen könne.

Heute, Ende Januar 2022, nach Jahren geduldigen Werbens und intensiven Kämpfens für einen strikt vernunftgeleiteten und maßvollen Kurs der Partei, besteht für mich kein Restzweifel mehr, dass ich mit diesem Ansinnen in der Breite der Partei nicht durchdringen konnte und dies auch in Zukunft nicht zu erwarten wäre. Große Teile der Partei und mit ihr etliche ihrer führenden Repräsentanten haben sich für einen immer radikaleren, nicht nur sprachlich enthemmteren Kurs, für politische Positionen und verbale Entgleisungen entschieden, die die Partei in vollständige Isolation und immer weiter an den politischen Rand treiben. Ich wüsste Dutzende an konkreten Beispielen dafür nur aus einer Frist weniger zurückliegender Monate zu benennen, versage mir hier aber, das im Einzelnen auszuführen.

Besonders erschütternd ist für mich, bei nicht ganz wenigen Parteimitgliedern immer wieder eine tiefe, auch verbal artikulierte Verachtung für Andersdenkende wie auch für die etablierten und bewährten Mechanismen der parlamentarischen Demokratie erleben zu müssen. Wer daran festhält, dass die Parlamente in unserem politischen System der natürliche und vorrangige Ort der politischen Auseinandersetzung sind und dass diese Auseinandersetzung in Respekt vor dem Anderen stattzufinden hat, wird in diesen Kreisen schnell als „Systemling“ verunglimpft, dies durchaus auch von Abgeordneten mit eigenem Mandat und nicht geringen damit einhergehenden und selbst gern in Anspruch genommenen Annehmlichkeiten des Parlamentarismus. Ich kann und werde diesen in das völlige politische Abseits führenden Kurs, der zuweilen etwas regelrecht Sektenartiges, weil nur die Meinung der eigenen Blase als einzige mögliche Wahrheit akzeptierend, an sich hat, aus Selbstachtung und Verantwortungsbewusstsein nicht mittragen.

Nach sehr eingehender Prüfung kann ich mir beide der oben aufgeführten Fragen nur negativ beantworten: Ich sehe in dem politischen Projekt AfD als gesamtdeutsche Partei keine Zukunft mehr. Die Möglichkeit, die durchaus bestanden hatte, durch ein politisches Erwachsenwerden in echte gestalterische Verantwortung für eine bessere Politik für unser Land hineinzuwachsen, wurde durch weit verbreitete Disziplinlosigkeit, Dilettantismus, Karrierismus, Opportunismus und allgemein mangelnde politische Reife vertan; sie wird auch nicht wiederkommen. Und ich sehe keine Chance mehr, durch mein weiteres Engagement in der Partei diesen Weg abzuwenden, es fehlt der Wille dazu bei zu Vielen, und es sind auch die politischen Grundüberzeugungen in der Partei offenkundig zu heterogen dazu. Daraus ziehe ich für mich die unvermeidliche Konsequenz des Parteiaustritts. All jene, die sich gemeinsam mit mir für einen strikt vernunftgeleiteten und maßvollen Kurs der Partei eingesetzt haben, bitte ich von ganzem Herzen um Verständnis für diesen Schritt.

Liebe Leser, war es das jetzt etwa? Nein, das war es natürlich nicht!!! Selbstverständlich geht es weiter, hier auf meiner Seite im gewohnten Turnus aus „Meuthen am Mittwoch“-Video und „Samstagsgedanken“-Kolumne, und natürlich auch mit meiner politischen Arbeit. Mein Mandat im Europäischen Parlament, in das ich im Jahr 2019 erneut gewählt wurde, werde ich weiterhin wahrnehmen und meine politische Arbeit dort entschlossen fortsetzen. Für mich ist diese Entscheidung keineswegs nur ein Abschied, sondern vor allem ein Aufbruch. Wohin und zu welchen neuen politischen Projekten mich dieser Aufbruch führt, wird sich in der näheren Zukunft zeigen, und ich werde Sie das hier zu gegebener Zeit wissen lassen. Deutschland braucht dringender denn je eine andere Politik als die der uns regierenden Ampel-Koalition. Ich will und werde meinen persönlichen Beitrag dazu leisten.