Die CDU als Krise der liberalen Demokratie
Bei den Koalitionsverhandlungen zeigen sich die Christdemokraten mal wieder opportunistisch: Die angekündigte Migrationswende ist bereits vom Tisch, Staatsverschuldung kein Problem mehr, Afghanen werden weiterhin eingeflogen. Der Vertrauensverlust in die Reformfähigkeit der etablierten Politik wächst rasant. In dieser Lage fragen sich manche, wie Deutschlands Demokratie noch zu retten ist.
In der liberalen Demokratie geht es nicht sonderlich demokratisch zu – das zumindest hat die Weltöffentlichkeit über die letzten Monate deutlich vernommen. Viele schauten auf Rumänien, wo die wahre Gestalt der liberalen Demokratie in Form der Kritarchie klar zum Vorschein getreten ist: Dort haben Richter im Verbund mit dem Geheimdienst eine Wahl für nichtig erklärt und den eigentlich in die Stichwahl gewählten Kandidaten von einer erneuten Kandidatur ausgeschlossen.
Ähnliche Ereignisse haben sich in Großbritannien, wo migrationskritische Staatsbürger für Facebook-Kommentare inhaftiert wurden, oder in den USA abgespielt, wo oberste Richter die Executive Orders von Donald Trump blockieren. Überall scheint der allgemeine Volkswille in den entscheidenden Fragen (Migrationskritik, Geschlechternormalität) unterdrückt zu werden. Es zeigt sich: Der Souverän in der liberalen Demokratie ist eben nicht das Volk, sondern nicht gewählte Justizmonarchen, die über eine progressive Lesung menschenrechtlicher Verfassungsideale wachen. Und wenn Realität und Verfassung zu sehr auseinanderklaffen, muss eben autoritär nachgeholfen werden.
Das Sorgenkind CDU
Auch die Bundesrepublik Deutschland ist ein Beispiel, das mal zahlreiche Historiker beschäftigen wird. Zuletzt sorgten die hämischen Äußerungen bundesdeutscher Staatsanwälte in einer Dokumentation von „60 Minutes“ für Aufsehen, in der die polizeilichen Hausdurchsuchungen bei unbescholtenen Bürgern für Online-Kommentare und das Konfiszieren ihrer elektronischen Geräte schöngeredet wurden. Durch Elon Musk oder Vizepräsident Vance ist der übergriffige Verfassungsstaat der BRD längst international bekannt, Deutschland schon ein Schlagwort für die Dysfunktionalität westlicher Staaten. An dieser Stelle soll es aber nicht um den Umgang mit der Opposition oder der AfD gehen, das ist in anderen Beiträgen bereits geschehen, sondern um das Lieblingssorgenkind des distinguierungsbedürftigen Bundeskonservativen – die CDU.
Denn mal wieder haben die Christdemokraten einen rechtspopulistischen Wahlkampf betrieben und Hoffnungen auf eine Kurskorrektur geweckt, mal wieder haben sie direkt nach der Wahl Abstand von ihren eigenen Parolen genommen und mal wieder unterwerfen sie sich dem roten Koalitionspartner, ohne das Kämpfen für ihre angeblichen inhaltlichen Standpunkte auch nur vorgetäuscht zu haben (wie SPD-Liebling Pistorius triumphal mitteilte). Das wird wahlweise mit der Charakterschwäche eines Friedrich Merz erklärt oder der Notwendigkeit staatstragender Verantwortung – irgendwer muss ja die BRD verwalten, auch wenn Deutschland weiter den Bach heruntergeht, „whatever it takes“, wie Merz so schön sagte.
Die Verfassung als Kette der Politik
Die Realität ist allerdings weitaus nüchterner. Die Durchsetzung einer migrationspolitischen Wende, wie sie die Union ankündigte, kann nur erreicht werden, wenn Teile der bundesdeutschen Rechtsprechung revidiert und nationales Recht über das EU-Recht gestellt wird – wenn also das Erbe von mindestens vier Jahrzehnten christdemokratischer Politik wieder rückgängig gemacht wird. Dass die CDU hier nie und nimmer die Axt anlegen würde, hätte eigentlich jedem aufmerksamen Beobachter einleuchten müssen – die Kritik der Grünen im Wahlkampf, dass die Union nicht-realisierbare Forderungen aufstelle, um rechts Stimmen zu fangen, war absolut zutreffend.
Als der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, noch letzten Sommer die Ampelregierung für ihre Ablehnung schärferer Asylrichtlinien persiflierte („Liebe Bevölkerung, unsere Rechtsordnung verhindert, dass wir euch beschützen können. Gesetze ändern werden wir natürlich auch nicht. Eure Ampel“), hätte er dies genauso gut prophetisch auf die CDU Anfang März 2025 anwenden können.
Stütze rot-grüner Politik
Was soll also das Theater? Warum behauptet die CDU, politische Maßnahmen ergreifen zu wollen, die sie gar nicht umsetzen kann, ohne fundamentale Systemreformen anzustoßen? Die Union erfüllt lediglich ihre Rolle, die sie als Mitte-Rechts-Partei in einer liberalen Demokratie erfüllen muss: das Absorbieren des nativistischen Reflexes zur Systemstabilisierung. Dafür, also für das Sammeln und Neutralisieren der Wählerstimmen rechts des linksliberalen Blocks, bekommen ihre Parteibonzen die entsprechenden Parlaments- und Ministerialpöstchen.
Die Union greift rechte und konservative Stimmen ab, legitimiert damit die Pluralismussimulation der parlamentarischen Demokratie, und stützt so die (in den wesentlichen Bereichen, zum Beispiel Migration) unpopuläre rot-grüne Politik der Koalitionspartner, die näher am progressiven Verfassungsideal liegt. So war es, so wird es bleiben.
Wenn Söder seinen Opportunismus auch noch als bayerische Flexibilität lobpreist, weiß man auch, dass diese Leute gar keine Scham bei ihrem Theater empfinden müssen. Denn die Wahlergebnisse und Umfragen geben ihnen recht: trotz des eklatanten Wortbruchs der CDU ist eine Mehrheit für die geplante Massivverschuldung, für Bundeswehraufrüstung und Infrastruktur-Sondervermögen – und das, obwohl das „Sondervermögen Bundeswehr“ der Ampel bereits ein Rohrkrepierer war.
Unverbindliche Versprechen, unantastbare Politiker
Die Berufsschauspieler beziehungsweise Berufspolitiker haben zwar ein zynisch-verkrustetes Demokratieverständnis offengelegt, aber zur Wahrheit gehört auch, dass der partizipierende Teil der Bundesdeutschen ein ebenso degeneriertes Verhältnis zur Demokratiepraxis entwickelt hat. Man hat größtenteils akzeptiert, dass Politikerversprechen unverbindlich, Parlamentarier unantastbar und die Behörden allmächtig sind; dass im Volk organisierter Protest, anders als der konformistische Aufmarsch grüner Jugendlicher, mit Antifa-Terror, Berufsverlust oder staatlichen Repressionen goutiert wird und dass „sich eh nichts ändert, egal wer gewählt wird“. Historiker werden sich einmal fragen, wie es in so einem gesellschaftlichen Klima so lange zu keinerlei Aufständen kommen konnte – die Faktoren Medien, Konsum und Repression werden hierbei entscheidend sein.
Doch auch an dieser Stelle muss eingestanden werden, dass insbesondere die CDU-Klientel in vielerlei Hinsicht schlicht und ergreifend zufrieden ist: mit Immobilien, Kapitalanlagen und der pünktlich überwiesenen Rente lässt es sich auch in einem scheiternden Staat noch gut situiert aushalten. Unionswähler haben mit dem linksliberalen Programm der permanenten Bürokratie ohnehin kein grundsätzliches Problem. Es ist eine überholte Mär der liberalkonservativen Nostalgiker, dass sich im bürgerlichen Unionsblock irgendwelche verschüchterten Nationalkonservativen befänden, die jetzt aber endlich mal genug haben müssten.
Fakt ist: Diese Gesellschaftsvorstellung starb als Realität vermutlich in den 1990ern mit dem Ableben der Kriegsgeneration. Der Großteil der CDU-Boomer fährt primär einen transatlantischen beziehungsweise antirussischen Kurs, trägt aber keine reflektierten kulturkonservativen Überzeugungen und stört sich vermutlich lediglich an der Ästhetik der Parteigrünen.
Die aufrechterhaltene mentalitätskonservative Institutionsgläubigkeit des christdemokratischen Milieus bedeutet, dass man die technokratisch verwaltete Kulturrevolution in seinen Wertekosmos aufnehmen muss – alles andere wäre, vor allem heute mehr als noch in den 70ern, „(rechts)radikal“. Und das heißt unterm Strich: die Grenzen bleiben offen, die Städte werden unbewohnbarer und das Leben wird teurer.
Abwanderung ins Nichtwähler- oder AfD-Lager
Jener Gesellschaftsteil, der genug von diesem Irrsinn hat, ist entweder ins Nichtwähler- oder ins AfD-Lager gewechselt. Auch, wenn viele gar nicht begreifen, warum sie für legitime Meinungen (Migrationsbegrenzung, Abschiebungen, Abkehr von grüner Energiepolitik, interessengeleitete Außenpolitik usw.) wie Staatsfeinde behandelt werden, ist ihre intuitive Abkehr vom „System“ der richtige Impuls.
Die liberalistisch-emanzipatorische Lesung des Grundgesetzes als Kodifizierung universaler Menschenrechte macht ein nationalpolitisches Programm rechtlich unmöglich – alles ist auf den EU-Staat als Zwischenschritt zum Weltstaat ausgelegt und ebenso die Ausweitung der republikanischen Staatsbürger- zur Weltbürgergesellschaft. Die Entfremdung der Deutschen vom Verfassungsstaat ist also kein Zufall, sondern logische Folge der zuvor skizzierten Problematik. Die AfD ist der Kristallisationspunkt dieser Entwicklung, ihr Sieg über die CDU (in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft) könnte einen erstmaligen Politikwechsel überhaupt bedeuten.
Die unvermeidbare Krise
Die Krise der liberalen Demokratie – ungeachtet möglicher Ereignisse in naher Zukunft (wie etwa Krieg gegen Russland) – wird dann ihren Höhepunkt erreichen, wenn die Ü60-Jährigen als elektorale Träger der Christdemokratie weggestorben sind und das Migrantenpotenzial erfolgreich in linke Strukturen eingebettet wurde. Dann wird entweder eine AfD die Funktion des Mitte-Rechts-Bollwerks einnehmen (dies ist die größere Bedeutung der parteiinternen Richtungsstreits) oder die Demokratiesimulation wird gänzlich Raum für einen liberalistischen Überwachungsstaat machen.
Letzteres findet momentan in Übersee eine Vorbereitung, wo die „Tech-Bros“ in der Künstlichen Intelligenz bereits ein effektives Mittel zum Gesellschaftsmanagement gefunden zu haben glauben, das nicht weniger dystopisch wirkt, als Orwells 1984.
Modell am Scheideweg
Die liberale Demokratie und die amerikanische Nachkriegsordnung, deren Produkt das erstere ist, teilen ein gemeinsames Schicksal. Mit der Revision der Weltverhältnisse und dem Rückzug der USA aus Europa steht das Modell nun am Scheideweg. Ohne die Liberaldemokratisierung der Welt, der Pazifizierung und Verwestlichung aller Menschen der Erde wird es scheitern. Und das betrifft auch die inneren Verhältnisse, denn die Multikulturalisierung ihrer Gesellschaften hat zu Konflikten geführt, die sich nur durch Remigration oder aber den permanenten Ausnahmezustand stabilisieren lassen.
Die liberale Demokratie kann also ihre inneren Probleme entweder nachhaltig lösen und dabei zugleich sich als ideologisches System aufgeben, oder die inneren Probleme durch einen totalitär anmutenden Überwachungsapparat bekämpfen – Demokratie oder L(inksl)iberalismus, nur ein Versatzstück kann überdauern. Wohin die Reise in der BRD geht, ist wohl klar. Doch das klappt nur mit einer intakten CDU, welche diese Transformation stabilisieren muss.
Friedrich Merz hat nun also die Aufgabe, die totale Linksliberalisierung der BRD fortzusetzen und zugleich seine Partei als angebliche Opposition zu diesem Projekt glaubhaft beisammen zuhalten. Der Forderung der Grünen, die staatliche Alimentierung ihrer NGOs in die Verfassung aufzunehmen, kann ein Merz eigentlich nicht zustimmen – es ist jedoch genau die Politik, auf die auch seine Kanzlerschaft hinauslaufen würde. Die liberale Demokratie ist ein rechtlich festgelegtes Projekt, der demokratische Spielraum ist so eingeengt, dass gerade jetzt, wo die liberalistisch-globalistische Mission an Boden verliert, noch klarer der Kurs gehalten wird. Am Ende dieser Krise wird Deutschland sich hoffentlich erneuern können. Der erste Schritt dahin ist das Ende der CDU.