Krisenherd Europas: Nordkoreaner in einem Krieg mitten in Europa

Berichte über nordkoreanische Soldaten, die in Russland für einen möglichen Einsatz in der Ukraine trainieren, sorgen für Unruhe. Die Sicherheitslage in Europa wird zunehmend prekär. Russland will die Machtverhältnisse in Europa verschieben, die USA sind nicht mehr bereit, die Führungsrolle in ihrem Stellvertreterkrieg gegen Russland auf europäischem Boden zu übernehmen. Eine Analyse von Seyed Alireza Mousavi.

25.10.2024
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Während die Welt seit Wochen auf den israelischen Vergeltungsschlag gegen den Iran wartet und Journalisten heftig über einen totalen Krieg im Nahen Osten debattieren, ist Nordkorea in den letzten Tagen plötzlich ins Zentrum der westlichen Berichterstattung gerückt. Vor einer Woche berichtete der südkoreanische Geheimdienst, dass Pjöngjang Truppen nach Russland schicke, um an der Seite der russischen Armee in der Ukraine zu kämpfen. Damit verdichten sich die Hinweise, dass Nordkorea den Krieg Russlands gegen die Ukraine auch mit Soldaten unterstützt.

Nordkorea profitiert vom Ukrainekrieg

Vor dem Ukrainekrieg galt Nordkorea eher als regionale Sicherheitsbedrohung für die USA im Pazifik, seine nukleare Bewaffnung wurde nicht nur im Westen, sondern auch in Russland und China als ordnungspolitische Herausforderung gesehen. Die geopolitische Gemengelage und der Krieg in der Ukraine haben Nordkorea jedoch geholfen, aus der Isolation auszubrechen. Seit dem Ukrainekrieg nutzt Pjöngjang sein erfolgreiches Raketenprogramm und seine großen Bestände an Artillerie und Munition, um Partnerschaften zu intensivieren und externe Ressourcen und Know-how für seine nukleare Modernisierung und den Ausbau seiner militärischen Fähigkeiten zu gewinnen.

Die Munitionslieferungen Nordkoreas an Russland haben seit dem Ukrainekrieg eine neue Qualität in den Beziehungen zwischen beiden Ländern geschaffen. Denn bisher war es Moskau, das Pjöngjangs Rüstungspolitik indirekt unterstützte. Nun kann Nordkorea selbst entscheidende Waffen anbieten und auf internationaler Ebene entscheidende Gegenleistungen von Russland einfordern und gleichzeitig seine Abhängigkeit von China reduzieren: Moskau verhinderte im März im Sicherheitsrat die Überwachung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea, China enthielt sich der Stimme.

Ein weiterer Win-Win-Aspekt ihrer Partnerschaft ist die koordinierte Umgehung der gegen beide verhängten Sanktionen. Russland und Nordkorea benötigen externe Ressourcen wie Halbleiter für ihre Rüstungsindustrie. Der Westen kann kaum verhindern, dass Nordkorea mit Russland und dem Iran kooperiert. Jetzt hat die Partnerschaft zwischen Russland und Nordkorea eine neue Dimension erreicht, nämlich die Rekrutierung nordkoreanischer Soldaten durch Russland für den Krieg in der Ukraine.

Nordkoreanische Soldaten an der Ukrainefront

Der südkoreanische Geheimdienst hat kürzlich Satellitenbilder veröffentlicht, die angeblich nordkoreanische Soldaten in Russland zeigen. Der südkoreanische Geheimdienst warf Pjöngjang vor, bereits 1.500 Soldaten in den Osten Russlands verlegt zu haben, um an der Seite Russlands gegen die Ukraine zu kämpfen, und die Verlegung Tausender weiterer Soldaten vorzubereiten. Sie seien auf die Städte Wladiwostok, Ussurijsk, Chabarowsk und Blagoweschtschensk verteilt worden, um dort ein Anpassungstraining zu absolvieren. „Voraussichtlich werden sie bald an die Front entsandt“, hieß es aus Seoul. NATO-Generalsekretär Mark Rutte hatte sich am Montag nach einem Telefonat mit dem südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk-yeol „besorgt“ über eine mögliche Beteiligung nordkoreanischer Truppen am Ukrainekrieg gezeigt. Die US-Regierung teilte am Mittwoch mit, sie habe „gesicherte Erkenntnisse“, dass sich nordkoreanische Truppen in Russland aufhielten. „Was genau tun sie dort? Das bleibt abzuwarten“, sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin.

Neben Südkorea warnt vor allem die Ukraine vor einer Vertiefung der Allianz zwischen Russland und Nordkorea. Seit Monaten berichten ukrainische Geheimdienste, dass sich einzelne nordkoreanische Militärs zu Trainings- und Beobachtungszwecken in Russland aufhalten. Die Sorgen der Ukraine gehen über die wackeligen Frontlinien hinaus. Die ohnehin spärliche Unterstützung des Westens scheint in naher Zukunft noch prekärer zu werden. Sollte Donald Trump die Wahlen in den USA gewinnen, könnte ein Großteil der direkten Militärhilfe eingestellt werden. Auch ein Sieg von Kamala Harris verheißt nichts Gutes für Kiew. Deutschland, der zweitgrößte Geldgeber der Ukraine, hat bereits signalisiert, dass die Hilfe zurückgefahren wird. Auch Frankreich hat dies getan.

Konflikt zwischen Nord- und Südkorea spitzt sich zu

Die südkoreanische Führung befürchtet, dass Nordkorea im Gegenzug für seine Hilfe im Ukrainekrieg Waffentechnologie, Kriegserfahrung und weitere internationale Unterstützung von Russland erhält. All dies führt in Seoul zu neuen Debatten, ob man als großer Rüstungsproduzent nun doch Waffen in die Ukraine schicken sollte. Bislang hat sich Seoul aus Angst vor Kreml-Drohungen, Nordkorea aufzurüsten, zurückgehalten.

Doch Präsident Yoon Suk-yeol sagte diese Woche, Südkorea werde „mit abgestuften Maßnahmen“ auf das Ausmaß der militärischen Kooperation zwischen Moskau und Pjöngjang reagieren. Die Äußerungen erfolgten, nachdem Südkorea vom Kreml den „sofortigen Abzug der nordkoreanischen Soldaten und die Beendigung der einschlägigen Zusammenarbeit“ gefordert hatte. Weder Moskau noch Pjöngjang haben bisher zugegeben, dass sich nordkoreanische Soldaten in Russland oder der Ukraine aufhalten.

Mehr Spannungen auf der koreanischer Halbinsel

Bereits vergangene Woche hatte Putin dem Parlament den Vertrag über eine „umfassende strategische Partnerschaft“ Russlands mit Nordkorea zur Ratifizierung vorgelegt, den er und Kim im Juni in Pjöngjang unterzeichnet hatten. Darin sichern sich beide Staaten unter anderem „unverzügliche militärische und andere Hilfe“ zu, sollte einer von beiden angegriffen werden. Dies führt derzeit zu Spekulationen, dass der Kreml die nordkoreanischen Truppen gemäß dem Abkommen nicht in der Ukraine, sondern im westrussischen Gebiet Kursk einsetzen wird, um die dorthin vorgerückten ukrainischen Streitkräfte zurückzudrängen.

Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel haben in letzter Zeit deutlich zugenommen. Am Wochenende warf Nordkorea dem Süden vor, Drohnen mit anti-nordkoreanischen Flugblättern nach Pjöngjang geschickt zu haben. Als Reaktion darauf befahl Nordkorea seinen Artillerieeinheiten entlang der Grenze, sich in Bereitschaft zu halten, um gegebenenfalls das Feuer zu eröffnen. Der nordkoreanische Machthaber Kim drängt auf einen Abbruch der Beziehungen zu Seoul und schließt damit jede Chance auf eine friedliche Wiedervereinigung aus. Vergangene Woche hatte Pjöngjang Teile der innerkoreanischen Straßenverbindungen gesprengt. Die Straßenverbindungen galten einst als Symbole der Zusammenarbeit zwischen Süd- und Nordkorea. Zuvor hatte Nordkorea bekannt gegeben, dass Südkorea in seiner Verfassung künftig als Feindstaat eingestuft wird.

Neue Lage in Europa und Invasion aus dem Osten

Russland versucht, den Konflikt in der Ukraine zu internationalisieren, um die Kosten für die USA in ihrem Stellvertreterkrieg gegen den Kreml in der Ukraine zu erhöhen. Russland baut seine militärische Zusammenarbeit mit China rasant aus. Der Iran liefert Drohnen und Raketen an Russland. Die Beziehungen zu Nordkorea intensivieren sich. „Wir haben Partner, die haben Verbündete“, klagte kürzlich der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, General Kyrylo Budanow, über die nachlassende Unterstützung des Westens.

Die Verlagerung der nordkoreanischen Kriegsführung nach Europa wäre nun ein strategischer Wendepunkt, denn dieser mögliche Schritt des Kremls macht den Kontinent zu einem Krisenherd, den die internationalen Rivalen der USA als Karte gegen Washington ausspielen könnten. Die Sicherheitslage in Europa ist jedoch noch prekärer, da sich Washington auf China konzentrieren will. Für die USA werden die europäischen Verbündeten allmählich an Bedeutung verlieren.

Die Präsidentschaftswahlen im November werden nur die Geschwindigkeit dieser Entfremdung beeinflussen. Denn in einem Punkt dürften sich der Republikaner Trump und die Demokratin Harris einig sein: in der Überzeugung, dass der indopazifische Raum und in ihm ein machtbewusst auftretendes China die zentrale geopolitische Herausforderung der USA in den nächsten Jahrzehnten ist. Europa rückt damit für die USA in den Hintergrund. Ironischerweise haben die USA die Ukrainekrise durch Waffenlieferungen an Kiew selbst angeheizt, aber nach mehr als zwei Jahren Krieg in der Ukraine überlässt das Weiße Haus es Europa, für seine eigene Sicherheit zu sorgen.

Gravierende Auswirkungen auf Sicherheitslage

Das Establishment in Europa klammert sich weiterhin verzweifelt an die US-Führung und ist zu jedem Zugeständnis an die USA bereit, während Rechts- und Linkspopulisten internationalen Fragen eher ausweichen und für eine undefinierte „Neutralität“ plädieren. Der Kreml ist sich der Entwicklungen in Europa bewusst. Noch ist unklar, wo und zu welchem Zweck die nordkoreanischen Soldaten im Kampf gegen die Ukraine eingesetzt werden sollen, sollten sie tatsächlich an die Front gebracht werden. Und die von südkoreanischen und ukrainischen Geheimdiensten genannten Truppenstärken lassen nicht erwarten, dass die Nordkoreaner die militärische Lage schnell zugunsten Russlands verändern könnten.

Sollten demnächst tatsächlich nordkoreanische Soldaten die russischen Truppen an der Front unterstützen, dürfte es nicht um kurzfristige Vorteile gehen, sondern um eine langfristige strategische Kooperation beider Staaten – und umso mehr um eine Verschiebung der Machtverhältnisse in Europa. Auch wenn man über die Tiefe des Bündnisses zwischen Russland und Nordkorea/China/Iran nur spekulieren kann, ist die Stoßrichtung klar: Russland will die Machtbalance in der von den USA dominierten Raumordnung in Europa zugunsten Eurasiens verschieben, indem es die Kooperation mit seinen Partnern in Asien auf europäischen Boden ausdehnt. Dies wird gravierende Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Europa haben.

Über den Autor

Seyed Alireza Mousavi

Dr. Seyed Alireza Mousavi ist promovierter Politikwissenschaftler, Carl-Schmitt-Exeget und freier Journalist, spezialisiert auf Geopolitik und lebt in Berlin.

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