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Parlamentarische Anfragen: Wenn Regierungen die Opposition ausbremsen

Abgeordnete in den Parlamenten nutzen Anfragen als Instrument, um die Arbeit der Regierung zu kontrollieren. Doch diese Kontrolle wird immer wieder behindert, wie eine exklusive FREILICH-Recherche zeigt. Besonders betroffen ist die AfD.

Analyse von
11.4.2025
/
6 Minuten Lesezeit
Parlamentarische Anfragen: Wenn Regierungen die Opposition ausbremsen

Boris Rhein (CDU) war von 2010 bis 2015 hessischer Innenminister und ist seit 2022 MinisterprÀsident des Landes Hessen.

© IMAGO / Michael Schick

Parlamentarische Anfragen sind ein zentrales Instrument der Opposition, um die Arbeit der Regierungen zu kontrollieren. Sie ermöglichen es Abgeordneten, Informationen von der Exekutive einzufordern und Sachverhalte zu hinterfragen. Doch immer wieder zeigen FÀlle, dass Antworten verzögert oder unzureichend geliefert werden. Eine Recherche unter den Fraktionen in den deutschen Landtagen zeigt: Besonders die AfD beklagt massive MÀngel bei der Beantwortung ihrer Anfragen.

Zehn FristverlĂ€ngerungen fĂŒr Anfrage in Hessen

In Hessen hat die AfD im vergangenen Jahr insgesamt 303 Kleine und Große Anfragen gestellt. Laut der GeschĂ€ftsordnung des Hessischen Landtags mĂŒssen diese innerhalb der Bearbeitungsfrist von sechs Wochen beantwortet werden. Doch im vergangenen Jahr erlebte die Fraktion einen besonders drastischen Fall: Bei einer von ihr eingereichten Kleinen Anfrage zur Stellenbesetzung in der Landesverwaltung wurde insgesamt zehn Mal um VerlĂ€ngerung ersucht – am Ende fĂŒhrte das zu einer Verzögerung von 48 Wochen.

Konkret wollte die AfD in der Anfrage an die Landesregierung von dieser unter anderem wissen, wie viele Stellen in der Landesverwaltung geschaffen wurden und wie viele unbesetzt sind. In Bezug auf die Verzögerung der Beantwortung warf die AfD der hessischen Landesregierung vor, das Instrument der FristverlÀngerung gezielt zu nutzen, um unangenehme Fragen nicht zu beantworten. Brisant dabei: Bereits eine fast identische Anfrage aus dem Jahr zuvor sei nie beantwortet worden.

Der parlamentarische GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Fraktion, Frank Grobe, sieht darin eine Missachtung der parlamentarischen Rechte. Eine angebliche BegrĂŒndung wie ein erhöhter Arbeitsaufwand oder Ähnliches seien unglaubwĂŒrdig, so Grobe. Die Regierung wolle den hessischen BĂŒrgern „offensichtlich“ die Fakten ĂŒber Stellenbesetzungen in Landesbehörden vorenthalten, so die Kritik.

Sachsen: Überlegung zur Klage gegen die Regierung

Auch in Sachsen gibt es Beschwerden ĂŒber die Beantwortungspraxis. Dort stellte die AfD im vergangenen Jahr 1.345 Anfragen. Doch weniger das Fristenproblem als vielmehr die QualitĂ€t der Antworten sorgt fĂŒr Unmut. Die Fraktion erwĂ€gt in mehreren konkreten FĂ€llen nun sogar juristische Schritte gegen die Landesregierung, da zahlreiche Antworten als unzureichend eingestuft werden, wie es gegenĂŒber FREILICH hieß.

In Mecklenburg-Vorpommern wurde 2024 keine einzige der 324 Kleinen Anfragen der AfD-Landtagsfraktion innerhalb der vorgesehenen Fristen beantwortet. WĂ€hrend keine Anfrage komplett unbeantwortet blieb, verweist die Fraktion darauf, dass es hĂ€ufig Hinweise auf lĂ€ngere Bearbeitungszeiten gab, insbesondere bei komplexeren Anfragen. Eine systematische Übersicht ĂŒber die Verzögerungen sei aus ihrer Datenbank jedoch nicht ersichtlich.

BawĂŒ: 42 FristverlĂ€ngerungen fĂŒr AfD-Anfragen

In Baden-WĂŒrttemberg stellte die AfD-Landtagsfraktion ĂŒber 350 Anfragen und AntrĂ€ge. Davon wurden 310 fristgerecht beantwortet, wĂ€hrend die Landesregierung bei 42 AntrĂ€gen und Anfragen eine FristverlĂ€ngerung beantragte. Bei einer Kleinen Anfrage hatte die Fraktion die VerlĂ€ngerung jedoch abgelehnt. Von FristverlĂ€ngerungen waren besonders Themen betroffen, die in die ZustĂ€ndigkeit des Verkehrs-, Sozial-, und Innen- sowie Landwirtschaftsministeriums fielen.

Ähnlich sieht es in Rheinland-Pfalz aus, wo die AfD insgesamt 258 Kleine und 43 Große Anfragen gestellt hatte. Bei 13 Kleinen und 15 Großen Anfragen wurde um FristverlĂ€ngerung gebeten, vermehrt trat das in den Fachbereichen Inneres, Sicherheit, Finanzen, NGOs und Migration auf.

Unkonkrete und ausweichende Antworten in Bayern

In Bayern, wo die Regierung zu einer Antwort binnen vier Wochen verpflichtet ist, sieht die AfD ebenso wie in Sachsen weniger Probleme mit FristverlĂ€ngerungen – die gelegentlich erbeten werden – als mit der QualitĂ€t der Antworten. Oft seien diese unkonkret, nichtssagend oder ausweichend formuliert, beklagt die Fraktion. Einzelne Fragen wĂŒrden mit dem Hinweis auf einen zu großen Bearbeitungsaufwand gar nicht beantwortet.

Im vergangenen Jahr hatte die bayerische AfD-Fraktion 522 Schriftliche Anfragen sowie 269 Anfragen zum Plenum an die Staatsregierung gerichtet. In Hamburg, wo die Fraktion fast 1.700 Anfragen gestellt hatte, seien alle fristgerecht beantwortet worden, allerdings oftmals ebenfalls nicht zufriedenstellend.

Niedersachsen mit gleichem Problem wie Bayern

Auch in Niedersachsen gab die AfD, die im vergangenen Jahr 253 Anfragen zur schriftlichen beziehungsweise kurzfristigen Beantwortung gestellt hatte, an, dass die Landesregierung die Anfragen in der Regel zwar fristgerecht beantworte, es aber durchaus zahlreiche Beispiele gebe, in denen Anfragen nur unzureichend oder gar nicht beantwortet wĂŒrden. HĂ€ufig werde auf allgemeine Sachverhalte verwiesen, ohne konkret auf die gestellten Fragen einzugehen. Typische Formulierungen dabei seien etwa: „Dazu hat die Landesregierung keine Kenntnisse“ oder „Wir beobachten und analysieren das Geschehen.“

Als Beispiel nennt die Fraktion gegenĂŒber FREILICH eine Anfrage ihres innenpolitischen Sprechers, Stephan Bothe. Darin ging es um die Sicherheit an niedersĂ€chsischen Bahnhöfen und die Entwicklung der Straftaten dort. Die Landesregierung antwortete darauf unter anderem, dass man keine genauen Zahlen habe und verwies auf allgemeine Sicherheitskonzepte. Eine konkrete Beantwortung der Frage sei hingegen ausgeblieben.

Ein weiteres Beispiel ist eine Anfrage der AfD-Abgeordneten Delia Klages zur Krankenhausversorgung in Niedersachsen. Auf die Frage, wie sich die Anzahl der Kliniken in den letzten zehn Jahren verĂ€ndert habe, habe sie zwar eine lange Liste mit Klinikschließungen erhalten, doch eine detaillierte AufschlĂŒsselung nach Versorgungsstufen sei ausgeblieben. Die BegrĂŒndung: Das niedersĂ€chsische Krankenhausgesetz definiere keine Versorgungsstufen. Ebenso seien Fragen zu den Auswirkungen der Krankenhausreform nur mit allgemeinen Hinweisen auf Fördermöglichkeiten beantwortet worden, anstatt klare Aussagen ĂŒber drohende EngpĂ€sse zu treffen.

Anfragen zur KriminalitÀt besonders betroffen

Probleme bei der Beantwortung von Anfragen gab es auch in ThĂŒringen. Dort hatte die AfD-Fraktion im vergangenen Jahr insgesamt 223 Kleine Anfragen gestellt, bei insgesamt 87 wurde um eine FristenverlĂ€ngerung gebeten. Besonders hĂ€ufig war das laut AfD bei Anfragen der Fall, in denen Abfragen zur KriminalitĂ€t, inneren Sicherheit sowie zu haushaltsrelevanten Fragen gemacht wurden.

In Brandenburg stellte die AfD 224 Kleine Anfragen, eine Dringliche Anfrage sowie eine Große Anfrage. Alle Anfragen seien formal beantwortet worden, doch auch dort gibt es Kritik an der QualitĂ€t der Antworten. Um VerlĂ€ngerungen sei vereinzelt gebeten worden, wenngleich dabei kein Muster im Sinne der fachlichen Zuordnung erkennbar sei.

Trickserei im Berliner Abgeordnetenhaus

Im Berliner Abgeordnetenhaus, wo die Fraktion ebenfalls regelmĂ€ĂŸig Anfragen stellt, wĂŒrden diese in der Regel ebenfalls innerhalb der dafĂŒr vorgesehenen Frist beantwortet. Systematische oder wiederholte Verzögerungen seien dort nicht bekannt. Es komme allerdings gelegentlich vor, dass sich die Landesregierung kurz vor der Beantwortung einer Anfrage selbst eines Themas annehme und es im weiteren Verlauf öffentlichkeitswirksam aufgreife, um der AfD mutmaßlich den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Außerdem komme es hĂ€ufig vor, dass die Antworten unvollstĂ€ndig seien. Selbst wenn bei umfangreicheren Anfragen darum gebeten werde, gemĂ€ĂŸ dem entsprechenden Paragrafen der zugrundeliegenden Ordnung die Frist zu verlĂ€ngern, um eine vollstĂ€ndige Bearbeitung zu ermöglichen, komme die Antwort in der Standardfrist und unvollstĂ€ndig zurĂŒck.

Andere Fraktionen: Weniger Probleme mit Fristen

WĂ€hrend AfD-Fraktionen wiederholt ĂŒber Verzögerungen und unzureichende Antworten klagen, sehen andere Parteien, die auf die FREILICH-Anfrage reagierten, deutlich weniger Probleme. CDU-, SPD- und GrĂŒnen-Fraktionen, die oft selbst Teil der jeweiligen Landesregierungen sind, Ă€ußerten sich in ihren Antworten meist zufrieden mit dem Umgang der Exekutive mit parlamentarischen Anfragen.

So sehe die regierungsbeteiligte CDU in Baden-WĂŒrttemberg keine Anhaltspunkte dafĂŒr, dass die Regierung durch die Beantwortung parlamentarischer Anfragen unangenehmen Fragen ausweichen möchte. Die CDU in Sachsen-Anhalt wurde in Bezug auf ihre 37 Kleinen Anfragen im vergangenen Jahr lediglich sechs Mal von den jeweils zustĂ€ndigen Ministerien um eine FristverlĂ€ngerung gebeten. GĂ€nzlich unbeantwortet blieb dort keine Anfrage.

SPD und CDU nur selten betroffen

Die brandenburgische SPD-Fraktion berichtet lediglich von EinzelfĂ€llen in Bezug auf FristenverlĂ€ngerungen zu parlamentarischen Anfragen. Dabei handle es sich jedoch um seltene Ausnahmen. Aufgrund fehlender Beschwerden in den letzten Jahren geht die FraktionsgeschĂ€ftsstelle davon aus, dass die einzelnen Abgeordneten mit den Antworten der Landesregierung auf ihre Anfragen „im Grundsatz einverstanden waren“ und sich in der Sache hinreichend informiert fĂŒhlten.

Die Hamburger CDU-Fraktion gab an, dass es vorkommt, dass sie als Antwort erhalte, die Beantwortung sei innerhalb der vorgegebenen Frist nicht möglich. In diesen FĂ€llen stehe dann aber das Instrument der Großen Anfrage zur VerfĂŒgung.

GrĂŒne ebenso selten betroffen

Die GrĂŒnen in Sachsen-Anhalt haben unterdessen gelegentlich das Problem, dass Anfragen unvollstĂ€ndig oder ausweichend beantwortet werden. Von den insgesamt 107 gestellten Kleinen Anfragen wurden allerdings die meisten fristgerecht oder höchstens mit ein paar Tagen VerspĂ€tung beantwortet, hieß es gegenĂŒber FREILICH. Lediglich bei der Großen Anfrage zum Thema Elbe als Wirtschaftsfaktor sei zwei Mal um FristverlĂ€ngerung gebeten worden, sodass diese mehr als einen Monat spĂ€ter als geplant zurĂŒckgekommen sei.

Antworten aus dem Ministerium fĂŒr Infrastruktur und Digitales seien hĂ€ufiger – mit Bitte um FristverlĂ€ngerung – spĂ€ter zurĂŒckgesendet worden. Das sei unabhĂ€ngig vom Thema, heißt es dazu von der GrĂŒnen-Fraktion. Bei dem Bildungsministerium seien Anfragen auch hĂ€ufiger zu spĂ€t zurĂŒckgekommen – auch ohne Bitte um FristverlĂ€ngerung.

Verzögerungstaktik als Regierungsstrategie?

Die Recherche zeigt, dass vor allem die AfD in mehreren BundeslĂ€ndern Probleme bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen beklagt. Besonders in Hessen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern gibt es extreme FĂ€lle von Verzögerungen oder mangelhaften Antworten. WĂ€hrend Regierungsfraktionen kaum Beschwerden Ă€ußern, bleibt fĂŒr Kritiker die Frage offen, ob FristverlĂ€ngerungen und vage Antworten gezielt eingesetzt werden, um die Oppositionsarbeit zu erschweren.

Über den Autor

Monika Ơimić

Monika Ć imić wurde 1992 in Zenica (Bosnien und Herzegowina) geboren. Die gebĂŒrtige Kroatin wuchs in KĂ€rnten auf und studierte Übersetzen mit der Sprachkombination Russisch und Englisch in Graz.

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