Freilich #34: Am Weg zur Volkspartei?

Donbassdonner: Flo Osrainiks Reisebericht von der Kehrseite der Weltgeschichte

Um den Donbass zu verstehen, muss man jenseits offizieller Narrative reisen, zuhören – und aushalten. Laut Ilia Ryvkin hat der Autor Flo Osrainik in „Donbassdonner“ genau das getan und ist dabei auf eine literarische Spurensuche durch eine verdrängte Realität gegangen.

Kommentar von
22.6.2025
/
6 Minuten Lesezeit
Donbassdonner: Flo Osrainiks Reisebericht von der Kehrseite der Weltgeschichte

Ein ukrainischer Soldat steigt eine Treppe hinauf, um eine Verteidigungsposition am Eingang einer Frontstellung einzunehmen.

© IMAGO / ZUMA Press Wire

Reeperbahn, irgendwann nach Mitternacht, der Laden voll, der Wodka warm, die Musik laut – irgendwo zwischen Neonröhren, Schweiß und revolutionärem Restgeist traf ich Flo Osrainik. Nicht am Podium, nicht am Signiertisch – sondern direkt an der Bar, wo die Gläser kreisten. Wir verstanden uns auf Anhieb, als Komplizen wir unterwegs waren, eine Grenze zu überqueren: die zwischen freiem Geist und betreutem Denken. Obwohl wir aus unterschiedlichen politischen Biotopen stammen – ich ein hundert Jahre zu spät geborener Weißgardist, er mit Wurzeln im aufgeklärten Anarchismus – war sofort klar: Freiheit ist für uns beide kein Lifestyle, Souveränität keine Parole, sondern Überzeugung.

Dann las ich sein „Corona-Dossier“, diesen Spiegel-Bestseller, der nüchtern und doch wütend zugleich die Plandemie zerlegte wie ein Forensiker mit Herz. Und als ich „Lügen, Lügen, Lügen“ verschlang, wusste ich: Hier schreibt einer, der nicht kuscht – ein Autor mit Profil, Haltung und einem klaren, zugänglichen Stil, der Argumente liefert und gleichzeitig Kante zeigt.

Zwischen Freiheit und Widerstand

Jetzt halte ich das erste Exemplar von Osrainiks neuem Buch in den Händen – ein schonungsloser Bericht, der das Zeug hat, zum nächsten Bestseller zu werden. „Ein Reisebericht von der anderen Seite der Geschichte“ – das ist heute fast schon ein Delikt, da sowohl die deutsche Medienlandschaft als auch der politische Mainstream großen Wert darauf legen, sich auf der „richtigen“ Seite der Geschichte zu verorten – einer Geschichte, die, wie man weiß, stets von den Siegern mit dem Rotstift moralischer Überlegenheit geschrieben wird.

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Die „richtige“ Meinung ist im heutigen Westen längst nicht mehr nur eine Empfehlung – sie wird mit juristischen und zunehmend polizeilichen Mitteln erzwungen. Man frage John Hoewer, dem in der heutigen BRD faktisch ein Berufsverbot erteilt wurde – weil seine Romanfiguren nicht politisch korrekt genug parlieren. Oder Svetlana Burtseva: Die estnische Journalistin wandert für sechs Jahre ins Gefängnis – ihr Verbrechen? Schreiben. Im Wertewesten ist das geschriebene Wort zur Bedrohung geworden. Osrainik führt kein Gewehr, sondern den Stift als einzige Waffe. Nein, „Donbassdonner“ – obwohl sich der Protagonist unter anderem auch im Frontgebiet aufhält – ist kein „Stahlgewitter“.

Unbequemer Blick jenseits der Mainstream-Erzählung

Osrainik ist kein Kriegsreporter im klassischen Sinn. Er ist vielmehr ein Chronist des Unbequemen. Nun also auf der Russlandreise – Donezk, Moskau, die Bahnhöfe, die Menschen, die Bomben, der Alltag im Ausnahmezustand. Ein Bericht aus jener Zone, die im Westen nicht recherchiert, sondern nur noch moralisch bewertet wird – in der Regel zugunsten eines primitiven Russenbilds.

Moskau anno heute hat mit dem Klischee des sowjetischen Elends so wenig zu tun wie Paris mit der Guillotine – es ist eine der gepflegtesten, mondänen Metropolen Eurasiens mit einer pulsierenden Kulturszene. Vor futuristischen Neubauten, die sich mit ihren geschwungenen Linien harmonisch in die Parklandschaft einfügen, bedienen Roboter mit Kopf und Armen die Kunden an den Kiosken – ein Anblick, wie man ihn im Westen kaum je gesehen hat. Am Flughafen tritt dem Erzähler ein Mann entgegen, der sowohl in Aussehen als auch im Namen meiner Wenigkeit gleicht:

Ilia? Ja, er ist es. Eine Hand in der Hosentasche und mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Mit schwarzen Stiefeln von Doc Martens, schwarzer Hose, schwarzer Jacke und schwarzer Kappe. Nur sein Pali-Tuch, das ist nicht schwarz, sondern olivgrün. Und die Naht seiner Stiefel, die ist gelb. Wir umarmen uns.

Er ist kein perfekter Cicerone, der Ilia – er ist ja weder gebürtiger Moskauer, noch besonders flink unterwegs. Na ja, im Gegensatz zu Osrainik war er eben nie Rennfahrer. Ilia nimmt wieder einen dieser klebrig-süßen Energy-Drinks. Wie kann er nur. Aber im Großen und Ganzen ist die Welt, in die Ilia den Erzähler einführt, genau jene Zwischenwelt jenseits sowohl der CNN- als auch der RT-Kulissen. Es ist diese eigentümliche Mischung aus Spätimperium, Postapokalypse und Zukunftsversuch, in der Ilia – trotz seines klebrig-süßen Getränks – überraschend sicher navigiert.

Moskau und Donezk: Orte zwischen Klischee und Realität

Schon im einleitenden Rückblick entfaltet Osrainik das Panorama eines Konflikts, dessen Ursachen in Brüssel und Washington verortet werden – nicht in Donezk oder Moskau. Der Putsch von 2014, durchgeführt unter aktiver Beteiligung der USA und der EU, habe nicht nur einen Präsidenten gestürzt, sondern das ganze Land in den Abgrund gerissen. Die demokratisch gewählte Regierung Janukowitschs wurde durch ein Übergangsregime ersetzt, durchsetzt mit Oligarchen und rustikal auftretenden Nationalisten – ein Szenario, das im westlichen Medienraum bis heute unter den Teppich gekehrt wird.

Osrainik benennt Ross und Reiter: Victoria Nuland, der German Marshall Fund, George Soros, John McCain – die üblichen Verdächtigen der „farbigen Revolutionen“ mischten auch in Kiew kräftig mit. Die Folge: Bürgerkrieg, Sezession, Massaker wie in Odessa, ein Staat im Zerfall – und ein Westen, der das alles mit Milliarden stützte.

Doch „Donbassdonner“ ist nicht nur Anklage, sondern auch Chronik eines Aufbegehrens. Im Zentrum stehen jene Männer und Frauen, die 2014 in Donezk nicht tatenlos zusehen wollten, wie eine fremdgelenkte Junta das Land übernimmt. Der Stolz der frühen Volksrepublik klingt durch in den Erinnerungen eines Beteiligten, den Osrainik zu Wort kommen lässt – ein einfacher Bauingenieur, der über Nacht zum Verteidiger seiner Heimat wurde. Was in westlichen Medien als „Separatismus“ diffamiert wird, erscheint hier als legitimer Aufstand gegen einen illegitimen Umsturz.

Ein Blick hinter die Kulissen

Der Bericht selbst ist tagebuchartig gegliedert – 16 Etappen, von München über Istanbul nach Moskau bis tief in die zerstörte Volksrepublik Donezk. Dabei spart Osrainik nicht mit Kritik – nicht nur an der Ukraine oder der NATO, sondern auch an den in Russland ebenso präsenten Kontrollmechanismen moderner Überwachungsstaaten, wie sie sich im Flughafenalltag, in der digitalen Impfapartheid oder in der allgegenwärtigen biometrischen Erfassung manifestieren.

In seiner für ihn typischen Sprache – mal ironisch, mal melancholisch, stets präzise – beschreibt Osrainik den Irrsinn einer Welt, die sich bereitwillig dem neuen Totalitarismus unterwirft. Die Coronapolitik ist für ihn dabei kein abgeschlossenes Kapitel, sondern ein Auftakt. Was folgt, ist die Militarisierung des Denkens, die totale Propaganda, der große Umbau. Der Donbass wird in diesem Zusammenhang zum Brennpunkt einer tektonischen Verschiebung der Weltordnung.

Was Osrainik bietet, ist das Gegenstück zur ARD-Brennpunkt-Ästhetik. Keine dramatische Musik, keine eingeflogenen Tagesschau-Stars mit Helmen vor dem Hotel – sondern Begegnungen mit echten Menschen, Gespräche mit Deserteuren, Taxifahrern, Veteranen, Söldnern, Rappern. Worte ohne Zierrat, Wirkung ohne Umweg.

Gegen das Vergessen und die Doppelmoral

Das Beeindruckende an Osrainiks Bericht ist seine Lakonie. Keine Pathos-Phrasen, keine moralischen Belehrungen. Stattdessen lässt er Bilder, Gespräche und Stimmungen sprechen. Der Anblick zerschossener Häuser, die Erzählungen über den Beschuss ziviler Ziele durch die ukrainische Armee, das Gefühl, in einem vom Westen vergessenen Land zu sein – all das ergibt ein Mosaik der Wahrheit, das dem medialen Trommelfeuer aus Hamburg und Frankfurt diametral entgegensteht.

Im Donbass angekommen, begegnet Osrainik nicht etwa „Putins Soldaten“, wie die Tagesschau suggerieren würde, sondern Menschen. Zivilisten, Kämpfern, Müttern, Alten, Kindern, Russen, Ukrainern, Griechen. All jenen, die im westlichen Diskurs nicht vorkommen, weil sie das falsche Leid haben – ein „russisches“, das keine Trauerkerze in Berlin wert ist.

„Donbassdonner“ ist keine Kriegsreportage im klassischen Sinn. Es ist eine literarisch präzise formulierte Anklage gegen den Krieg, gegen die Doppelmoral und gegen das kollektive Wegschauen der „freien Medienwelt“. Osrainik zeigt: Wer sich ein eigenes Bild machen will, muss reisen, beobachten, zuhören – und sich auch dem Verdacht aussetzen, „nicht auf Linie“ zu sein. Dieses Buch ist unbequem, aber notwendig. Es ist ein Beitrag zur geistigen Selbstverteidigung. Ein Reisebericht, der mehr Wahrheit enthält als hundert Talkshows. 

Fazit: Pflichtlektüre für alle, die genug von Einheitsmeinungen haben und das wahre Gesicht des Donbass sehen wollen.


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Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Ilia Ryvkin

Ilia Ryvkin Jahrgang 1974, wurde im russischen Petrosawodsk geboren und lebt derzeit in Berlin. Als Journalist und Dramaturg erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien. Ryvkin ist als Korrespondent für Osteuropa und Zentralasien tätig.

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