Professor nennt Migration ein „Angstsyndrom“
Ein deutscher Politologe behauptet, Migration sei vor allem ein „Angstsyndrom“. Er sieht die Ängste der Bürger dabei nicht als Reaktion auf reale Probleme, sondern als Steilvorlage für rechte Parteien.
Migration und Mobilität von Menschen und Gruppen gehören laut Vorländer zur Menschheitsgeschichte dazu. Er bezeichnet Migration als „Angstsyndrom“.
© IMAGO / Jürgen HeinrichDresden. – Für den Dresdner Professor Migrationsforscher Hans Vorländer steht fest: „Migration ist ein Angstsyndrom, das suggeriert, man habe die Kontrolle über Migration verloren. Das ist für autoritäre Kräfte sehr stark nutzbar“, wie er in einem Gespräch mit der Rheinpfalz erklärte. Tatsächlich sieht er weltweit eine Entwicklung, in der Fluchtbewegungen und das Erstarken rechter Parteien Hand in Hand gehen. Er sagt: „In Europa sehen wir etwa eine langanhaltende Fluchtdynamik seit 2015. In manchen Ländern hat das zum Anwachsen rechtsextremer und rechtspopulistischer Gruppen geführt.“
Vorländer ist überzeugt, dass rechte Gruppen mit dem Thema Migration „stark emotionalisieren“ können. Sie würden eine „Politik der Empörung“ machen. Gleichzeitig beklagt er eine „rigidere Migrationsgesetzgebung – gerade was die Fluchtmigration angeht“.
Die „autoritäre Internationale“
Sein Feindbild ist klar: eine „autoritäre-populistische Internationale, die auch im EU-Parlament erkennbar ist“. Sie nutzte Begriffe wie „Remigration“ oder „Bevölkerungsaustauschs“, um rechte Narrative zu etablieren. Diese Begriffe hätten ihren Ursprung in Frankreich und seien über Österreich nach Deutschland gelangt. Zwar sei diese Internationale nicht völlig homogen – im ökonomischen Bereich gebe es Unterschiede, in der konkreten Migrationspolitik ebenso –, doch „im Effekt schaffen sie es gemeinsam, Vertrauen in demokratische Institutionen zu erschüttern“.
Die AfD und Soziale Medien
Auch der digitale Raum bereitet Vorländer Sorgen: „Die AfD ist führend in Social Media und schafft es, dort eine Gegenöffentlichkeit zu erzeugen.“ Dort würden „alternative Fakten und Verschwörungsmythen“ publiziert und „große Resonanz“ erzeugt. Er spricht von „Blasenkommunikation, die hermetisch abgeschlossen ist“, in der sich „Erregungs- und Empörungsspiralen“ gut erzeugen ließen. Seine Diagnose lautet: „Das sind Empörungsunternehmer, deren Geschäftsmodell die Polarisierung ist.“
Auf die Frage, ob es überhaupt mehr Migration gebe, antwortet Vorländer: „Migration und Mobilität von Menschen und Gruppen gehört zur Menschheitsgeschichte dazu.“ Klar sei aber auch: „Wir haben sicher durch Entwicklungen in den vergangenen Jahren ansteigende Migrationsdynamiken.“ Er nennt dabei „klimawandelbedingte Mobilität“, die „in ganz bestimmten Regionen stärker geworden ist“. Allerdings seien die Folgen davon in Mitteleuropa nicht unmittelbar zu spüren. Auffällig ist jedoch, dass Konflikte wie im Sudan oder Ruanda uns „kaum“ berühren, bei Syrien sei das jedoch anders: „Wir nehmen vor allem das wahr, was uns unmittelbar berührt.“
Kritik an konkreten Maßnahmen
Auch konkrete Maßnahmen gegen Migration sieht Vorländer kritisch. Abschiebungen nach Afghanistan oder in den Irak? „Solche Maßnahmen sollen die Menschen davor abschrecken, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen.“ Doch die Realität sieht anders aus: „Menschen aus Westafrika kommen inzwischen in großer Anzahl nach Spanien, die Überfahrten im Mittelmeer [...] nach Kreta haben enorm zugenommen.“ Der Versuch, Migration zu blockieren, führe eher zu „Ausweichbewegungen“ als zu echten Lösungen. Hinzu kommt das Geld: „Jede Zurückweisung kostet 34.000 Euro“, so Vorländer.
GEAS, Lager und Menschenwürde
Vorländer sieht auf EU-Ebene Handlungsbedarf. Die aktuelle „Renationalisierung löst allenfalls kurzfristige Effekte aus, ist aber nicht von nachhaltigem Erfolg.“ Stattdessen müsse das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) wirklich implementiert werden. Asylverfahren sollten demnach „an den Außengrenzen für Menschen durchgeführt werden, die wenig Aussicht auf Anerkennung haben“. Dabei dürfe es aber nicht wieder zu Situationen wie im Lager Moria kommen: „Das muss [...] nicht dazu führen, dass Sammellager wie Moria in Griechenland entstehen, wo Menschen nicht menschenwürdig behandelt werden.“
Migration mit Arbeitsmarktintegration ordnen
Für Vorländer ist klar: „Grundsätzlich muss klar zwischen Flucht- und Erwerbsmigration unterschieden werden.“ Es fehle an pragmatischen Ansätzen: Im Sinne einer pragmatischen Politik müssten die Menschen, „die nun einmal hier sind, schnell Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten“. Denn Ungelernte und Fachkräfte würden „überall“ fehlen. Deshalb sei es dringend geboten, die hier lebenden Menschen zu integrieren, aus- und weiterzubilden. Nur so könne die Wahrnehmung der Probleme geändert werden.
Auch die Idee, Asylbewerber in Drittstaaten auszulagern, stößt bei Vorländer auf Ablehnung. „In Drittstaaten abzuschieben, ist rechtlich sehr problematisch, operativ schwierig, praktisch sehr aufwendig und teuer.“ Beispiele wie Italien-Albanien oder Großbritannien-Ruanda seien „als gescheitert anzusehen“. Es brauche Verfahren nach EU-Recht und europäisches Personal vor Ort. Wichtig seien Wege, auf denen es „fair, solidarisch und gerecht“ zugehe.