Deutschland: Regierung räumt Datenlücken bei Kinderehen ein
In Deutschland bleiben Kinderehen weitgehend unkontrolliert. Die Bundesregierung verfügt weder über belastbare Zahlen noch über einen klaren Plan zum Schutz betroffener Minderjähriger.
Unter den verheirateten Minderjährigen befinden sich viele, die aus Syrien stammen. (Symbolbild)
© IMAGO / BSIPBerlin. – Laut Ausländerzentralregister (AZR) waren zum Stichtag 31. Dezember 2024 insgesamt 279 minderjährige ausländische Personen mit dem Familienstand „verheiratet“ registriert, allesamt in der Altersgruppe 16 bis 17 Jahre. Die meisten von ihnen stammten aus der Ukraine (124 Fälle), Syrien (67), Afghanistan (20), Bulgarien (12) und Guinea (10). Trotz dieser konkreten Zahl fehlt es an einer zentralen, bundesweiten Erfassung von Kinderehen. Das gibt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion zu. Zu Verteilung, Entwicklung oder Dunkelziffern gebe es „keine Erkenntnisse“, auch keine belastbaren Schätzungen.
Kaum gerichtliche Verfahren
Seit dem 22. Juli 2017 sind Ehen, an denen Minderjährige unter 16 Jahren beteiligt sind, in Deutschland kraft Gesetzes unwirksam. Zwischen 2018 und 2024 fanden dennoch nur 26 gerichtliche Aufhebungsverfahren statt. Die Zahlen variierten jährlich zwischen einem und neun Fällen. Hinzu kamen 37 weitere Verfahren zur Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Ehen. Ob die Entscheidungen dabei auf „Bestehen“ oder „Nichtbestehen“ lauteten, ist nicht dokumentiert.
Ein umfassender Schutz durch Beratung oder Prävention ist nicht gesetzlich verankert. Eine gesetzlich verpflichtende Beratungspflicht für betroffene Minderjährige vor einer Wiederheirat existiert nicht. Laut der Bundesregierung könnte eine solche erst nach einer Evaluierung im Jahr 2027 in Betracht gezogen werden.
Keine systematische Prävention
In ihrer Antwort betont die Bundesregierung, dass es keine Kooperation mit spezialisierten NGOs wie „Terre des Femmes“ gibt. Eine Meldepflicht für Schulen oder Jugendämter bei Verdacht auf Kinderehen besteht ebenfalls nicht. Zwar dürfen Fachkräfte das Jugendamt informieren, wenn eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, eine direkte Verpflichtung dazu besteht jedoch nicht. Es existieren zudem zwar Präventionsmaßnahmen wie Broschüren oder das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, diese werden jedoch auf Länderebene umgesetzt und sind nicht explizit auf Kinderehen zugeschnitten.
Weitere zentrale Fragen bleiben jedoch unbeantwortet. Laut Bundesregierung gibt es weder zu abgelehnten Aufenthaltstiteln aufgrund von Kinderehen noch zu Ausweisungen oder Einreiseverboten in solchen Fällen Erkenntnisse. Auch über minderjährige Ehefrauen oder Mütter im Rahmen des Familiennachzugs liegen kaum Daten vor.
Scharfe Kritik aus der Opposition
Der Bundestagsabgeordnete Martin Sichert übte scharfe Kritik an der Bundesregierung: „Während weiterhin Hunderte minderjährige Mädchen aus Krisenregionen in Deutschland als verheiratet geführt werden, verweigert die Regierung einen umfassenden Überblick und konsequentes Handeln.“
Er warf der Regierung vor, das Dunkelfeld einfach hinzunehmen. „Die Bundesregierung hat keinerlei belastbare Kenntnis über das tatsächliche Ausmaß von Kinderehen. Weder werden diese zentral erfasst, noch existieren gesicherte Zahlen zu Entwicklung, Herkunft oder betroffenen Altersgruppen.“ Er kommt zu einem deutlichen Fazit: „Der Schutz von Minderjährigen vor Zwangsehen und Missbrauch bleibt somit Flickwerk und Glückssache.“