Gutachten: Nach diesen bizarren „Beweisen“ halten Juristen die AfD für verfassungswidrig

Für viele Beobachter dürften die Äußerungen von AfD-Politikern in einem neuen Gutachten, das einem möglichen Verbotsverfahren gegen die AfD Erfolgsaussichten bescheinigt, harmlos klingen. Nicht so für 17 Verfassungsrechtler und Professoren.

Analyse von
29.11.2024
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7 Minuten Lesezeit
Gutachten: Nach diesen bizarren „Beweisen“ halten Juristen die AfD für verfassungswidrig

Auf rund 15 Seiten haben Verfassungsrechtler und Professoren Aussagen zusammengetragen, die eine angebliche Verfassungsfeindlichkeit der AfD belegen sollen.

© Shutterstock / Screenshot: FREILICH / Collage: FREILICH

Der Antrag des CDU-Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz und die damit verbundene Forderung nach einem Parteiverbot der AfD wegen angeblich verfassungsfeindlicher Bestrebungen ist seit Monaten Thema in Deutschland und wird durch Ereignisse wie die Geheimkonferenz der Grünen, bei der hochrangige Bundestagsabgeordnete gemeinsam mit dem Verfassungsrechtler Christoph Möllers den Wanderwitz-Antrag sowie den derzeit von den Grünen rund um die Bundestagsabgeordnete Renate Künast vorbereiteten Antrag diskutierten, weiter angeheizt. Für weiteres Aufsehen sorgte am Mittwoch ein Gutachten einer Gruppe von 17 Verfassungsrechtlern und Professoren, die einem Verbotsverfahren gegen die AfD Erfolgsaussichten bescheinigen (FREILICH berichtete). In dem 31-seitigen Papier, das in der ersten Hälfte aus den Ausführungen der Ersteller und in der zweiten Hälfte aus einer Materialsammlung besteht, finden sich zahlreiche „Belege“ für die angebliche Verfassungsfeindlichkeit der Partei.

„Belege“ nach vier Fallgruppen

Bei der Auflistung der „Beweise“ orientieren sich die Juristen an der Einteilung in vier Fallgruppen: „I. Ethnisch-kultureller Volksbegriff“, „II. Ausländer- und islamfeindliche Agitation“, „III. Sexistische, homo- und transphobe, queer-feindliche und ableistische Agitation“ und „IV. Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip“. Auf einen der absurdesten angeblichen Belege aus der ersten Fallgruppe, nämlich die positive Bezugnahme zahlreicher AfD-Politiker auf das Potsdamtreffen 2023, ist FREILICH bereits ausführlich eingegangen.

In der ersten Gruppe finden sich allerdings noch weitere allgemeine Äußerungen von AfD-Politikern auf Bundes- oder Landesebene, die von den Juristen als „abwertend“ eingestuft werden und aus denen deutlich werde, dass die Partei „Staatsangehörige mit Migrationshintergrund nicht als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft“ ansehe. Es folgt gleich zu Beginn ein Zitat der AfD-Bundesvorsitzenden Alice Weidel, die Ende 2023 eine Kachel auf Facebook teilte, auf der zu lesen war: „Hürden für Doppelpass-Straftäter senken: Deutsche Staatsbürgerschaft aberkennen und abschieben!“ Weidel bezog sich damit auf Gewalttaten gegen Mädchen und Frauen, die Opfer von Gruppenvergewaltigungen wurden. In dem Beitrag heißt es weiter: „Die Hälfte der Täter stammt aus Syrien, Afghanistan, Irak und einigen weiteren Ländern, die andere Hälfte hat die deutsche Staatsbürgerschaft inne. An dieser Stelle wird die Verwässerung der polizeilichen Kriminalstatistik offensichtlich: Denn wer die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt, wird in der Statistik nicht etwa als Migrant, sondern als Deutscher geführt. Gleichzeitig kann ein solcher Straftäter nicht abgeschoben werden – der Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft ist nicht vorgesehen“.

Auch eine Äußerung des bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Franz Schmid wird zitiert, in der er im November 2023 auf X erklärte, dass es ein ethnisch deutsches Volk gebe und dass es keine NS-Forderung sei, die ethnisch-kulturelle Identität des deutschen Volkes zu bewahren beziehungsweise seinen Fortbestand zu sichern.

Weitere Beispiele aus dieser Gruppe sind Zitate aus den AfD-Landesverbänden Bremen, Hessen und Saarland: „Der Import von kulturfremden Einwanderern mit anderen Verständnissen für den Umgang mit Frauen führt immer mehr zu verbalen sowie körperlichen Belästigungen, Gewalt bis hin zu sexuellen Übergriffen“ (AfD Bremen). „Die Bearbeitung von Einbürgerungsanträgen durch #Syrer und #Afghanen muss eingestellt werden! #Solingen #Migrationspolitik" (AfD Hessen). „Dieser Fall macht deutlich, wie sehr die Altparteien unser Land durch die ungesteuerte Masseneinwanderung von Millionen von kulturfremden #Migranten zum negativen verändert haben“ (AfD Saarland).

Die angeblich ausländerfeindlichen Aussagen

Das Gutachten wirft der AfD auch vor, ausländer- und islamfeindliche Agitation zu betreiben, indem sie bestimmte Personengruppen als Kollektiv betrachte und ihnen pauschal negative Eigenschaften zuschreibe. „In NRW wird das Kalifat ausgerufen, in Berlin erst der Neptun-Brunnen ‚erobert‘, dann die Polizei attackiert. Was beide gemeinsam haben: Sie werden von einer CDU regiert, die ab 2015 im Bund & bis heute in den Ländern ein Migrationschaos verantwortet, das nicht nur den Sozialstaat, sondern vor allem die Sicherheit der Bürger gefährdet“, schrieb Weidel im November 2023 auf Facebook, nachdem 3.000 Demonstranten in Essen ein Kalifat propagiert hatten.

Auch eine Aussage des Ehrenvorsitzenden der AfD, Alexander Gauland, in der Sendung Maischberger im November 2023 wird in dem Gutachten zitiert: „Ja, wir sind gegen die Massenimmigration von Menschen, die von einer völlig fremden, uns fremden, Kultur kommen. Und Sie sehen auf den Straßen, was wir jetzt erleben können, in der Auseinandersetzung um Israel, dass es in der Tat Menschen gibt, die bei uns eingewandert sind, die mit den Werten, die auch Sie vertreten, die ich auch vertrete, überhaupt nicht zu tun haben. Und das war ein Fehler.“

„Wir haben ein massives Problem mit Gewaltkriminalität in der Stadt, wir haben ein massives Problem mit aggressiven migrantischen jungen Männern, die auch immer wieder zu Tatmitteln greifen, wie Messern und die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache und es hilft nichts, wenn man die Dinge irgendwie beschönigt und versucht zu relativieren“, sagte der AfD-Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus, Karten Woldeit, im Juli 2024 in einem YouTube-Video und schaffte es mit dieser Aussage auch in das Gutachten der Juristen.

Erst kürzlich schrieb der niedersächsische AfD-Vorsitzende Ansgar Schledde auf X, die derzeitige Politik der offenen Grenzen führe „zu einem Anstieg von Sozialkosten, Kriminalität und gesellschaftlicher Spaltung“. „Statt Ressourcen für die Integration von Menschen zu verschwenden, die unsere Gesellschaft nicht bereichern, sollte Deutschland zuerst auf die Bedürfnisse seiner eigenen Bürger eingehen“, forderte er. Für die Verfassungsrechtler eine problematische Aussage und deshalb auch eine Aufnahme in ihr Gutachten wert.

Nicht nur Kritik an LGBT-Propaganda ist problematisch ...

Die Materialsammlung des Gutachtens liefert darüber hinaus „Belege“, die zeigen sollen, dass die AfD Menschen „nicht nur aufgrund ihrer (ethnischen) Herkunft oder ihrer Religion“ abwerte, „sondern auch wegen ihrer geschlechtlichen Identität, Sexualität oder geistiger bzw. körperlicher Beeinträchtigungen“. Äußerungen von Vertretern der Partei würden deutlich machen, „dass sie nur Menschen, die ihrem heteronormativen Ideal entsprechen, Menschenwürde, soziale Achtung und gesellschaftliche Teilhabe zuerkennt“. Auch in dieser Gruppe findet sich gleich zu Beginn eine Aussage der AfD-Bundesvorsitzenden als „Beleg“. „Was den Leuten extrem auf den Wecker geht, dass unter dem Motto der Regenbogenflagge hier jetzt so eine Trans-Popkultur einer Minderheit gefördert wird und die Menschen sich einfach nur noch fragen, wie schützen wir eigentlich unsere eigenen Kinder in den Schulen und Kitas davor, dass so etwas vermittelt wird“, so Weidel in einem Interview im Sommer 2023. Eine weitere Einordnung dieses Zitats und auch der anderen Äußerungen, die als „Beleg“ angeführt werden, erfolgte in dem Gutachten nicht.

Vor kurzem ist in Deutschland das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz in Kraft getreten, das das Transsexuellengesetz abgelöst hat. Das neue Gesetz erleichtert es Menschen, die sich nicht in ihrer Geschlechtsidentität wiederfinden, diese zu ändern. Das ist durch eine einfache Änderung der Daten beim Standesamt und ohne vorherige gerichtliche Genehmigung möglich. Das Gesetz stieß und stößt jedoch auf viel Kritik, unter anderem von der AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch. Sie wird im Gutachten wie folgt zitiert: „Dieses Gesetz, das biologische Realitäten der Ideologie einer kleinen, radikalen Minderheit opfert, ist ein Schlag ins Gesicht von Frauen, die sich mit Männern auseinandersetzen müssen, die sich selbst als Frauen definieren. Die eigene Frauenfeindlichkeit der Scholz-Truppe zeigt sich darin, dass das Selbstbestimmungsgesetz demnächst Männern ganz einfach ermöglicht, ihren amtlichen Geschlechtseintrag und damit ihren rechtlichen Status nur durch eine schlichte Selbstdeklaration beim Standesamt zu ändern (Buschmann: ‚Wie die Verlängerung eines Reisepasses‘)“. Später bezeichnete sie Gender als „gaga“.

Als problematisch wird auch ein Vorwurf des bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Franz Schmid gegenüber dem Ex-Muslim und Schwulenaktivisten Ali Utlu eingestuft: „Ich habe Herrn Utlu Degeneration vorgeworfen“, schrieb Schmid vor einem Jahr auf X und erklärte weiter: „Dabei bleibe ich“. Der Vorwurf habe sich auf Utlus „unpassende, öffentliche Schaustellung von sexuellen Inhalten“ bezogen. „Seine Homosexualität aber nicht. Sexualität ist eine Privatsache und gehört explizit dort ausgelebt“, so Schmid. In der Öffentlichkeit müsse man sich angemessen zurückhalten, das sei auch Mehrheitsmeinung in der Partei.

... sondern auch solche am Verfassungsschutz

Abschließend werfen die Juristen der AfD in ihrem Gutachten vor, in einer Weise gegen die verfassungsmäßige Grundordnung zu agitieren, „die das Maß der zulässigen Kritik an staatlichen Institutionen übersteigt“. Einen „Beleg“ dafür sehen sie unter anderem in Weidels Äußerung auf dem AfD-Parteitag 2024, wo sie erklärte: „Und wir werden beobachtet vom Amtsverwalter CDU-Haldenwang. Verkehrte Welt, verrückte Welt. […] Der Verfassungsschutz ist selbst zum Verfassungsfeind geworden und er gehört in dieser Form abgeschafft.“

Auch die Kritik des stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion, Sebastian Münzenmaier, am Verfassungsschutz fand Eingang in die Materialsammlung des Gutachtens. Er hatte die Einstufung der AfD als Verdachtsfall durch die Behörde als „durchschaubares Manöver des Altparteien-Establishments in Anbetracht des Superwahljahres 2021“ bezeichnet.

Zu den angeblichen Belegen für Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip gehört laut Gutachten auch eine Aussage des Parlamentarischen Geschäftsführers der AfD-Bundestagsfraktion, Götz Frömming, der im Mai 2023 im Bundestag sagte: „Wenn das grün-linke Kartell der Altparteien geglaubt hat, dass Bürger mit Migrationshintergrund wegen ihrer Potsdamer Remigrations-Lüge nicht die AfD wählen würden, dann haben sie sich gewaltig getäuscht.“ Damit bezog er sich auf die Recherchen von Correctiv und die inzwischen widerlegte Deportationslüge.

In diesen und weiteren Äußerungen sehen die Juristen und Professoren eine sich verdichtende „verfassungsfeindliche Eindeutigkeit“. Mit dem Gutachten und den darin aufgeführten „Belegen“ wird jedenfalls ein Schlaglicht auf die Intensität und die Kontroversen der Debatte um ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD geworfen. Noch vor Weihnachten könnte der Bundestag über ein solches diskutieren.

Über den Autor

Monika Šimić

Monika Šimić wurde 1992 in Zenica (Bosnien und Herzegowina) geboren. Die gebürtige Kroatin wuchs in Kärnten auf und studierte Übersetzen mit der Sprachkombination Russisch und Englisch in Graz.

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