Der Verfassungsschutzbericht 2024: Ein politisches Manifest
Am Montag stellte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) den Jahresbericht seines Geheimdiensts vor. Jonas Greindberg kommentiert die Widersprüche des politischen Papiers.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt und Sinan Selen, Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes.
© IMAGO / Future ImageAuf der Bundespressekonferenz legte Minister Dobrindt ein Geständnis ab: Das kürzlich geleakte 1.000-Seiten-Gutachten des Inlandsgeheimdienstes reiche „als Grundlage für ein AfD-Verbotsverfahren nicht“ aus. Mit Seitenblick auf den geschäftsführenden Geheimdienstboss Sinan Selen bemängelte Dobrindt, dass das Gutachten keine aggressiv-kämpferische Haltung der AfD gegen die Demokratie und den Rechtsstaat belege. Genau das setze das Bundesverfassungsgericht aber für ein Parteiverbot voraus. Wer dennoch von einem AfD-Verbot spreche tue dies wohl „aus Nichtwissen“ um diese Tatsache, mutmaßte Dobrindt.
Die Botschaft an Selen, der unter Dobrindts Vorvorgänger und Parteifreund Horst Seehofer zum Vizepräsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz ernannt wurde, ist klar. Denn als politischer Beamter muss Selen nach § 30 des Beamtenstatusgesetzes „in fortdauernder Übereinstimmung“ mit den Zielen der Regierung handeln. Und die dürften darin bestehen, ein wasserdichtes Gutachten vorzulegen, mit dem man sich nach Karlsruhe wagen kann, ohne zum Gespött der bundesrepublikanischen Jurisprudenz zu werden.
Wer hat Angst vorm rechten Mann?
Dem 400 Seiten langen Verfassungsschutzbericht zufolge ist der Rechtsextremismus derzeit die größte Bedrohung für das Grundgesetz. Demnach gingen im letzten Jahr rund 38.000 politische Straftaten auf das Konto von insgesamt 50.250 sogenannten Rechtsextremisten. Diese vermeintlich rechtsmotivierten Straftaten machen mehr als das Dreifache aller linken, auslandsbezogenen und islamistischen Straftaten zusammen aus.
Aber viele Gründe mahnen zur Vorsicht: Erstens wird politisch motivierte Kriminalität anders als gewöhnliche Kriminalität erfasst. Das BKA registriert politische Straftaten ab Eingang einer Anzeige und dem Vorliegen eines Anfangsverdachts. Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist demgegenüber eine Ausgangsstatistik. Hier werden nur solche Fälle berücksichtigt, zu denen die Polizei ihre Ermittlungen bereits abgeschlossen und die Akten an die Staatsanwaltschaft übergeben hat.
Es ist für linke Aktivisten also sehr einfach, politische Straftaten von rechts durch Massenanzeigen in die Höhe zu treiben. Dieser Trend wird durch staatlich finanzierte Meldestellen wie „Respekt!“ gefördert. Hier können Aktivisten ihre Mitbürger anonym anzeigen (FREILICH berichtete über die Verbindungen einer Meldestelle zum Islamismus).
Vor dem Gesetz sind nicht alle Meinungen gleich
Zweitens hat das Strafgesetzbuch einen anti-egalitären Bias. Allein auf Propagandadelikte nach § 89 StGB und Meinungsdelikte nach § 130 StGB entfallen 34.213 der rechten Straftaten. In anderen Worten: Ohne diese Delikte würden Rechte nur auf 3.622 Straftaten kommen. Da das Verbreiten kommunistischer Symbole oder das Absingen der Internationalen noch nicht unter Strafe gestellt ist, erscheinen Linke paradoxerweise gesetzestreuer als Rechte.
Der Kampf gegen rechts
Drittens operierte der Inlandsgeheimdienst bis vor kurzem noch unter einer linken Dienstherrin: Nancy Faeser (SPD) hatte bereits im Juli 2021 auf dem Blog antifa bekundet: Der Kampf gegen Rechts gehöre zur „politischen DNA“ ihrer Partei. Faeser begann ihre Amtszeit als Innenministerin mit der Ausrufung eines „Aktionsplans gegen Rechtsextremismus“. Der stelle in ihren Augen nämlich die „größte Gefahr für unsere Demokratie“ dar.
Die traurigen Höhepunkte von Faesers skandalgeschüttelter Amtszeit waren das beispiellose Verbot einer Zeitschrift und die juristische Verfolgung eines Chefredakteurs wegen eines kritischen Memes. Es wäre naiv anzunehmen, dass Sinan Selen, den man nach der Entlassung des liberalkonservativen Hans-Georg Maaßen als Geheimdienstchef in den Verfassungsschutz geholt hatte, diesen Anforderungen gegenüber blind gewesen wäre.
Was ist wirklich rechts?
Propagandadelikte und Volksverhetzungen werden häufig auch von Migranten aus nichtwestlichen Ländern begangen. In der öffentlichen Debatte werden jedoch Straftaten, die von Migranten begangen und als rechts eingeordnet werden, regelmäßig mit weißen Deutschen in Verbindung gebracht. Da die Statistik der Politisch Motivierten Kriminalität aber weder die Staatsangehörigkeit noch den Migrationshintergrund der Tatverdächtigen ausweist, lassen sich keine Aussagen darüber treffen, wie hoch der Anteil ethnischer Deutscher unter rechten Straftätern wirklich ist.
Hinzu kommt, dass viele Linke Straftaten begehen, die dann fälschlicherweise als rechts eingeordnet werden. Ein rechter Internet-Aktivist durchforstet unter dem Pseudonym „Wuppi“ das Internet nach linken Nutzern, die aus Unbedarftheit gegen Strafgesetze verstoßen. „Ich habe das volle Recht und die Pflicht, alle Mittel zu nutzen, die mir gegeben sind,“ erklärt er. Über 60 Linke habe er wegen des Postens von Hakenkreuzen und Volksverhetzungen bereits angezeigt.
Die deutsche Anomalie
In seiner Monografie Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? bemerkt Matthias Brodkorb, dass die gesetzlich sanktionierte Überwachung politischer Parteien durch einen Inlandsgeheimdienst im Westen eine Ausnahme darstellt (FREILICH hat es rezensiert). Der Realitätsverlust einer politischen Elite, die in jedem Rechtsruck den Vorboten einer politischen Machtübernahme mit anschließenden Säuberungswellen wähnt, zeigt sich besonders deutlich, wenn man die Lageberichte zum Terror in der EU konsultiert.
Laut dem Rat der EU und Europol gab es von 2010 bis 2023 lediglich 34 rechte Terroranschläge. Islamisten und Linke sind im gleichen Zeitraum dagegen für viereinhalb beziehungsweise fast zehnmal so viele Anschläge verantwortlich. Im Gegensatz zu den opferlosen Propagandadelikten, die knapp zwei Drittel aller rechten Straftaten ausmachen, bedrohen Terroranschläge Leib und Leben echter Menschen. Auch aus diesem Grund fordern Matthias Brodkorb und der FREILICH-Autor Bruno Wolters immer lauter die Abschaffung der übergriffigen Behörde.
Verfassungsschutz – quo vadis?
Als Bundestagsabgeordneter unter Merkel hatte Alexander Dobrindt noch eine konservative Revolution gefordert. Obgleich Dobrindt das Gutachten zur Hochstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ scharf kritisiert hat, macht der CSU-Mann keinerlei Anstalten, den Urheber des Gutachtens Selen für seine demokratiefeindliche Stümperarbeit zu maßregeln. Im Gegenteil: Dobrindt hegt keinerlei Zweifel, dass die AfD eine rechtsextremistische Partei sei.
Während sein Untergebener Selen ihn auf der Bundespressekonferenz mit Blicken nahezu durchbohrt, verspricht Dobrindt den versammelten Journalisten, dass sie dem Amt gemeinsam die „notwendigen finanziellen Mittel“ zur Verfügung stellen werden. Diese Worte zaubern ein zusammengekniffenes Lächeln auf Selens Gesicht. Der bebrillte Glatzkopf des Vizepräsidenten nickt bei den Worten seines Chefs mehrfach.
Wie hoch werden diese Mittel ausfallen? Dazu geben Selen und Dobrindt der Presse keine konkreten Auskünfte. Man müsse wohl noch die Aufstellung des Bundeshaushalts im September abwarten, lässt sich der Minister vernehmen. Laut auf der Netzseite des Finanzministeriums aufrufbaren Haushaltsplans darf sich Selens Behörde über einen Jahresetat von 512 Millionen Euro freuen. Das sind immerhin 43 Millionen mehr als im Vorjahr. Die Behörde wächst eben mit ihren Aufgaben.