AfD-Politikerin Dworeck-Danielowski über den Gazakrieg und AfD: „Wir ignorieren den Wählerwillen“
Der Nahostkonflikt spaltet die AfD: Iris Dworeck-Danielowski kritisiert die pro-israelische Haltung der Bundestagsfraktion. Sie fordert eine parteiinterne Debatte, um die Positionen zu klären und zu verhindern, dass die Partei ihre Wählerbasis verliert.
Iris Dworeck-Danielowski war von 2017 bis 2022 Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen.
© PrivatFREILICH: Frau Dworeck-Danielowski, der außenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Markus Frohnmaier, sagte in einer Pressemitteilung zum Gazakrieg Folgendes: „Schon jetzt ist klar, dass die Israelis aus nachvollziehbaren Gründen nicht von ihrem Militäreinsatz im Gaza-Streifen absehen werden, solange nicht alle Geiseln – darunter auch deutsche Staatsbürger – von der terroristischen Hamas freigelassen werden.“ Was hat Ihre heftige Reaktion auf der Plattform X auf die Aussage der AfD-Bundestagsfraktion zu Israels Militäreinsatz in Gaza, insbesondere auf die Behauptung, Israels Gründe seien „nachvollziehbar“, ausgelöst?
Iris Dworeck-Danielowski: Mich haben an der Aussage der Bundestagsfraktion beziehungsweise von Herrn Frohnmeier mehrere Punkte erzürnt. Seine Kritik an der Aussage von Herrn Wadephul beginnt vollkommen richtig, dass Deutschland seine Politik nicht am Schicksal der Palästinenser ausrichten soll, sondern in erster Linie an seinen eigenen nationalen Interessen. Leider verfällt er schon wenige Sätze weiter in Unsachlichkeit, indem er die Kritik an Israels Handeln als „Pro-Palästina-Propaganda“ bezeichnet. Es bedarf keiner propalästinensischen Propaganda, um sich einen Eindruck von Israels gänzlich unverhältnismäßigen Vergeltungsschlägen zu verschaffen. Die Informationen sind öffentlich zugängig und auch dank sozialer Medien kann jeder Bürger sich niedrigschwellig bei TikTok das Elend anschauen. Wer das leugnet, erliegt möglicherweise selbst proisraelischer Propaganda oder schlicht und ergreifend seiner eigenen unsachlichen Bewertung der Lage.
Im Weiteren wird Israels Handeln als vertretbar angesehen, weil die Gründe „nachvollziehbar“ seien. Ich frage mich an dieser Stelle, wenn die Geiseln das massive Vorgehen von Israel rechtfertigen sollten – was haben dann Syrien und der Libanon damit zu schaffen? Im Strafrecht ist Selbstverteidigung ganz klar geregelt, hier gilt lediglich Straffreiheit, wenn die Tat geeignet ist, einen gegenwärtigen Angriff abzuwehren und dabei das mildeste Mittel gewählt wird. In einem Krieg eine komplette Region teilweise zu zerstören, scheint jedem Menschen mit einem gesunden Verstand vollkommen unverhältnismäßig.
In der AfD gibt es offensichtliche Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Israel-Politik: Während einige Mitglieder wie der ehemalige Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl Israel für sein aktuelles Handeln im Nahen Osten kritisieren – Pohl äußerte sich unter anderem skeptisch zum Thema „Staatsräson und Israel“ und bezeichnete das Vorgehen Israels gegen die Palästinenser als Völkermord –, unterstützen andere wie die Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier und Alexander Wolf den israelischen Staat. Vor allem die Bundestagsfraktion prescht hier immer weiter nach vorn: So sagte der damalige Fraktionschef Alexander Gauland bereits 2019, man stehe an der Seite Israels. Wie sehen Sie diesen Konflikt innerhalb der Partei?
Ich bin 47 Jahre alt und nunmehr seit gut 30 Jahren politisch interessiert und engagiert. Schon in meiner Jugend hat das Thema die Gemüter erhitzt. Deshalb bin ich wenig überrascht, dass der Nahostkonflikt, im Speziellen das Verhältnis zu Israel, innerhalb der Partei polarisiert. Ich glaube, die Beweggründe sind nicht einheitlich. Ich beobachte, dass viele mit dem Argument kommen, Israel sei „die einzige westliche Demokratie“ im Osten und deshalb müsse man sich auf Israels Seite schlagen. Dahinter steht ein Bild, dass die Demokratie an sich als Staatsform moralisch erhaben und besser sei als andere. Und da wir auch in dieser demokratischen, wunderbaren westlichen Welt leben, müssen wir diese eben im Nahen Osten verteidigen.
Wie würden Sie Israel dann einordnen und wie könnte eine deutsch-israelische Beziehung Ihrer Meinung nach aussehen?
Sicher ist Israel ein demokratischer Staat. Aber zum einen ist es nicht DIE einzige Demokratie in der Region, so waren erst vor wenigen Tagen im Libanon Kommunalwahlen. Zum anderen ist es für mich kein Kriterium, warum ich einen Staat für unterstützungswürdiger halte als einen anderen. Wenn sich Tausende Kilometer vom Westen entfernt andere Nationen andere Staatsformen geben, ist das ihr gutes Recht. Und ein Staat oder eine Nation sind nicht besser als ein anderer, nur weil hier eine Demokratie nach westlichem Vorbild praktiziert wird.
Die deutsch-israelische Beziehung wird immer komplex bleiben. Die gemeinsame Geschichte ist für beide Seiten, wenn auch auf ganz andere Weise, sehr belastend. Das würde sich vermutlich erst dann ändern, wenn dieses Trauma überwunden würde und man sich auf Augenhöhe und unbelastet begegnen könnte.
Warum preschen einige Ihrer Parteikollegen bei diesem Thema so weit vor?
Ich beobachte, dass mit der zunehmenden Etablierung der Partei, die auch ich ohne jeden Zweifel erfreulich finde, der Wunsch wächst, eine Art Absolution zu erhalten. Mit der Idee, an Israels Seite zu stehen, wie kein anderer, erhoffen sich nicht wenige – davon bin ich überzeugt – die Befreiung von der „Nazi“-Zuschreibung. Zu guter Letzt, und auch das darf man meiner Meinung nach nicht unterschätzen, kranken viele unserer Mitglieder an einer schon fast wahnhaften Fokussierung auf „den Islam“. Daraus leitet sich (leider gepaart mit wenig Wissen über die Strömungen und Konflikte in der Region) eine übergroße Sympathie für Israel ab, weil Israel als eine Art antiislamisches Bollwerk im arabischen Raum betrachtet wird.
Was genau meinen Sie mit „Absolution“? Wie verbreitet ist dieses Motiv in der Partei?
Absolution ist hier bildlich gemeint – im Katholizismus erhält der reuige Sünder die Absolution nach Beichte und Buße, die Vergebung aller Sünden und kann dann weitestgehend als neuer Mensch in die Zukunft schreiten. Die Last wurde von ihm genommen und der Zugang zum Paradies ist ihm wieder möglich. Dass sich AfD-Politiker immer wieder als Nazis, Rechtsextreme usw. etikettieren lassen müssen, prallt zwar mittlerweile an fast jedem ab, aber es ist ein Hemmnis für die Anerkennung bei der Zusammenarbeit mit anderen etablierten rechten Parteien. Zudem belastet es viele im privaten und familiären Leben. Man konnte, wie ich finde, in den vergangenen Monaten beobachten, wie selbst absolute Profis schon fast erlöst wirkten, dass Sie endlich Unterstützung und Anerkennung auf internationaler Ebene bekamen. Etwas, das absolut nachvollziehbar ist. Das ist meine persönliche Beobachtung beziehungsweise Deutung. Wie weit dieses Motiv verbreitet ist, würden wir vielleicht sehen können, wenn diese Debatte geführt wird.
Können Sie konkrete Beispiele für Mitglieder oder Entscheidungen nennen, die diesen Wunsch nach Absolution widerspiegeln?
Ich kenne absolute Israel-Befürworter, die von israelischen Vereinigungen ausgeladen und abgelehnt wurden aufgrund ihrer AfD-Mitgliedschaft. Abgeordnete von der AfD sind in ihrer Funktion in Israel unerwünscht. Während meiner Legislatur wurde, soweit ich mich korrekt erinnere, eine Reise von Parlamentariern nach Israel abgesagt. Der AfD-Abgeordnete hätte dort in seiner Funktion nicht teilhaben können. Weiter schwingen AfD-Mitglieder Israel-Flaggen bei Info-Ständen und Kundgebungen. Das habe ich alles schon vielfach erlebt.
Sie sprechen von einem Vorfall aus dem Jahr 2019, als eine Reise zur Gedenkstätte Yad Vashem in Israel aufgrund von Bedenken der israelischen Verantwortlichen bezüglich der geplanten Teilnahme von AfD-Politikern aus Nordrhein-Westfalen abgesagt wurde. Im Sommer 2023 waren jedoch AfD-Bundestagspolitiker in der Gedenkstätte willkommen, wenngleich sie keine Kränze niederlegen durften. Der Vorstandsvorsitzende der Holocaust-Gedenkstätte, Dani Dayan, begründete dies mit „antisemitischen Einstellungen“ in der AfD.
Genau, 2019 war das. Auch die Begründung kürzlich von Alice Weidel in einem Ihrer Beiträge gegen die weitere Aufnahme von Evakuierten aus dem Gaza wurde damit begründet, der Schutz jüdischen Lebens, der Polizei und der inneren Ordnung müsse endlich wieder Priorität haben. Was soll eine solche Aussage? Es gibt keine Statistik, die besagt, dass jüdisches Leben in Deutschland besonders gefährdet sei. Das Leben aller Bürger in Deutschland sollte sicher sein. Da haben wir in der Tat ganz andere Probleme und da hätte man auch besser argumentieren können. Aber diese Aussage fällt häufig – wir sind der wahre Schutz des jüdischen Lebens, weil wir gegen den sogenannten „Importierten Antisemitismus“ mit unserer migrationskritischen Politik vorgehen. Nur leider erkennen das die jüdischen Mitbürger beziehungsweise Verbände anscheinend nicht.
Eine konkrete Statistik, die eine besondere Gefährdung des jüdischen Lebens in Deutschland belegen würde, liegt nicht vor. Allerdings steigen die Vorfälle antisemitischer Straftaten, wie der Bundesverband Rias Anfang Juni vermeldet hat. Ebenso sinkt das individuelle Sicherheitsgefühl von deutschen Juden, wie der Zentralrat der Juden berichtete.
Die Zahl antisemitischer Straftaten ist tatsächlich gestiegen. Laut Lagebild des BKA bewegt sich vieles im Bereich der sogenannten „Hasskriminalität“. Aus diesen Statistiken ist eine tatsächliche Gefährdungslage nur schwer zu ermitteln. Das BKA definiert Hasskriminalität wie folgt: „Hasskriminalität bezeichnet politisch motivierte Straftaten, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie aufgrund von Vorurteilen des Täters, bezogen auf: Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit usw. begangen wurde.“
Aussagekräftiger sind die Zahlen, die im Rahmen der Beantwortung einer Anfrage der Partei Die Linke im Bundestag veröffentlicht wurden. Hierbei wurden Fragen zur Anzahl und zum Hintergrund antisemitischer Straftaten für das zweite Quartal 2024, also die Zeit nach Kriegsbeginn, gestellt. Von den 715 antisemitischen Straftaten waren es bundesweit 19 Gewaltdelikte und in 302 Fällen handelte es sich um Volksverhetzung. Dies ist eine Deliktsart, die für mich schwer einzuordnen ist, da bereits gegen zahlreiche Kollegen aus der AfD und auch schon gegen mich wegen Volksverhetzung ermittelt wurde.
Sie haben jetzt die eher proisraelischen Akteure in der AfD angesprochen. Gibt es auch andere Strömungen in der Partei?
Ja. Dem gegenüber stehen die Personen, die das Handeln von Israel bewerten, wie von jedem anderen Staat. Viele sehen es eben nicht so, dass wir durch die Verbrechen des Nationalsozialismus für ewig in einer Art Schicksalsgemeinschaft in bedingungsloser Solidität mit Israel verbunden sind.
Für viele ist der Grundsatz, für die Identität der Völker zu stehen, nicht auf den europäischen Raum begrenzt. Nur weil wir die Zuwanderung und Massenmigration aus fremden Kulturkreisen bekämpfen, heißt das nicht, dass wir diese Völker und deren Kultur ablehnen oder abwerten. Deshalb kann es nur in deutschem Interesse sein, dass der Nahe Osten für die dort ansässigen Völker eine lebenswerte Region bleibt oder wird. Wer den Nahen Osten in Schutt und Asche legt, schafft Fluchtursachen und verhindert Remigration.
Laut Grundsatzprogramm gibt es keine offizielle Linie zum Nahostkonflikt. Nur indirekt wurde das Thema bisher angeschnitten. Die AfD schließt Waffenlieferungen in Kriegsgebiete aus. Entsprechend haben die Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla vor einigen Monaten Rüstungsexporte nach Israel abgelehnt. Muss die Partei bei diesem Thema noch nachholen?
Ein Grundsatzprogramm soll, wie der Name schon sagt, grundsätzliche Leitplanken aufstellen, innerhalb derer sämtliche AfD-Politiker in der Lage sein sollten, sich im politischen Tagesgeschäft orientieren zu können. Die Rede von Tino Chrupalla im Deutschen Bundestag im Herbst letzten Jahres hat genau dies getan. Deutsche Interessen in den Vordergrund gerückt, uns weiter als „Friedenspartei“ mit neutraler Haltung vertreten. Die Abweichler sind meiner Meinung nach diejenigen, die plötzlich Deutschlands historische Verantwortung Israels gegenüber ganz großschreiben und in internationalen Konflikten deutsche Interessen als Maßstab verlassen und diffuse übergeordnete Ziele wie Demokratie, Verantwortung etc. höher hängen.
Sie haben die Haltung der Bundestagsfraktion zu Israel infrage gestellt und bemängelt, dass es keine innerparteiliche Debatte dazu gab. Können Sie erläutern, wie Parteipositionen normalerweise festgelegt werden und warum Sie das Gefühl haben, dass dieser Prozess hier umgangen wurde?
Ich war selbst fünf Jahre Landtagsabgeordnete und mir ist klar, dass man als Fraktion nicht immer jede Position mit der Partei abstimmen kann. Ich habe ganz unterschiedliche Prozesse erlebt, wie Positionen erarbeitet werden. Es gibt die klassische Programmarbeit in den Landes- und Bundesfachausschüssen, die dann wiederum ihre Inhalte in der Programmkommission zusammentragen. Am Ende stehen dann Landes- oder Bundesparteitage, die über Anträge demokratisch abstimmen. Bei grundsätzlichen Fragen würde man vermutlich eher eine „Erklärung“ oder eine „Resolution“ in einen Parteitag einbringen und nach langer Debatte ein Papier verabschieden.
Eine parteiinterne Debatte zu diesem Thema wäre mit Sicherheit sehr intensiv und anstrengend.
Ich glaube, die Debatte wird aus unterschiedlichen Gründen gescheut: Zum einen sind die Positionen in der Frage Israel oder Palästina erfahrungsgemäß unversöhnlich. Man wird am Ende auf den berühmten „kleinsten gemeinsamen Nenner“ kommen. Und das wäre für beide Seiten voraussichtlich frustrierend. Vermutlich will darüber hinaus niemand die Euphorie des Erfolges mit einer solchen inhaltlichen Zerreißprobe trüben.
In der Debatte müsste man auch das heiße Eisen „Exklusivsolidaritätsbekundungen“, historische Verantwortung usw. anfassen. Auch das sind Themen, die viel Fingerspitzengefühl erfordern. Die Debatte ist meiner Meinung nach trotzdem dringend erforderlich.
Was müsste man ändern, um die von Ihnen angesprochene Scheu vor der Debatte aufzulösen?
Wir benötigen Mut und starke Nerven, um auch dieses unbequeme Thema zu diskutieren. Auch ich habe Monate mit mir gerungen, öffentliche Kritik zu üben. Meist unterhält man sich im vertrauten Kreis mit Gleichgesinnten. Ich habe das Privileg, dass ich aktuell keiner Fraktion angehöre und unabhängig bin. Die zahlreichen positiven Reaktionen haben mir jedoch gezeigt, dass es an der Zeit ist, diese Debatte zu führen. Das Thema brodelt unter der Oberfläche gewaltig, und bevor die Fronten verhärten, sollten wir herausfinden, wie wir den Weg gemeinsam gehen können.
Der deutsche Außenminister Johann Wadephul hat am 28. Mai 2025, laut Reuters, eine Kehrtwende in der Politik signalisiert und Israels Vorgehen in Gaza kritisiert. Glauben Sie, dass dies die Position der AfD beeinflusst hat, und wenn ja, wie?
Ich befürchte, unser Spitzenpersonal wittert hier die Chance, zu demonstrieren, dass wir als konservative Rechte an Israels Seite stehen, während die CDU dieses Terrain verlässt. Innerhalb der AfD geistert leider hartnäckig der Mythos, rechts sein hieße pro Israel sein. Weiter scheint man sich zu erhoffen, so die CDU angreifen zu können. Bedauerlicherweise wird nicht erkannt, dass die AfD hier mit ihrer Haltung der Geisterfahrer ist.
Die öffentliche Meinung in Deutschland hat sich einer neuesten Umfrage zufolge gegen Israels Vorgehen in Gaza gewandt. Fast 80 Prozent lehnen laut dem ZDF-Politbarometer das Vorgehen Israels im Krieg in Gaza ab. Glauben Sie, dass die Aussage der AfD mit diesem Trend übereinstimmt oder ihm widerspricht? Wie wirkt sich das auf die Wählerbasis der Partei aus?
Wie ich oben schon ausgeführt habe – die Haltung der AfD spiegelt weder die Meinung noch die Interessen der Deutschen wider. Eine statistische Auswertung hat kürzlich aufgezeigt, dass innerhalb der AfD-Wählerschaft die Zustimmung zu einer militärischen Unterstützung Israels von allen Parteien sogar am niedrigsten ist! Da dieses Thema ein sehr grundsätzliches und emotionales ist, halte ich es für fatal, den Wählerwillen zu ignorieren.
Von welcher statistischen Auswertung sprechen Sie? Das Meinungsforschungsinstitut Civey hat im Jahr 2023 vermeldet, dass nur knapp 50 Prozent der AfD-Wähler der damaligen israelischen Kriegspolitik in Gaza zustimmten. Lediglich die Werte der Linkspartei waren niedriger. Im Mai dieses Jahres veröffentlichte Der Tagesspiegel eine Umfrage, der zufolge etwa 52 Prozent der AfD-Wähler Waffenlieferungen an Israel ablehnen.
Die statistische Erhebung stammt aus dem ARD-Deutschlandtrend und ist auf der Datenplattform Statista öffentlich einsehbar. Die Daten wurden im August letzten Jahres erhoben. 14 Prozent der BSW-Anhänger haben eine militärische Unterstützung gutgeheißen, die AfD-Anhängerschaft bildete mit 12 Prozent Zustimmung das absolute Schlusslicht. Ich bin mir sicher, dass die Zustimmung im letzten halben Jahr vermutlich noch weiter gesunken, aber sicherlich nicht gestiegen ist.
Sie haben erwähnt, dass die Haltung der AfD nicht die Meinung vieler Wähler widerspiegelt. Welche langfristigen Auswirkungen könnte dies auf die Strategie der Partei haben? Sehen Sie Risiken für die Einheit zwischen Wählerschaft, Parteibasis und Abgeordneten?
Wir haben immer betont, dass die Stimme des Volkes wieder mehr erhört werden müsse. Wir propagieren die Volksabstimmung nach Schweizer Vorbild in wesentlichen Fragen. Wenn wir diese Volksabstimmung im Hinblick auf militärische Unterstützung von Israel durchführen würden, wäre das Ergebnis eindeutig. Es gäbe keine militärische Unterstützung für Israel, die Mehrheit wäre vermutlich sogar für Sanktionen. Und da hat die AfD nun ein Problem, an dieser Stelle werden wir unglaubwürdig. Gegenwärtig schwimmt die AfD auf einer Erfolgswelle, aber wir alle wissen, Umfragewerte können auch wieder sinken. Wenn die neue Regierung ein paar Nebelkerzen zündet, ein paar vernünftige Dinge umsetzt – während wir als Opposition mit nicht nachvollziehbaren Positionen dastehen, kann das auch Konsequenzen haben.
Wie zuvor erwähnt, ist das Thema sehr emotional und grundsätzlich. Wenn man in Fragen der Grunderwerbssteuer nicht auf einen Nenner kommt, kann fast jeder gut damit leben. Wenn man aber das Gefühl hat, man wird von Personen vertreten, die Kriegsverbrecher hofieren, dann schmerzt das sehr. Das kann auch für langjährige, loyale Mitstreiter zur Zerreißprobe werden.
Welche konkreten Maßnahmen schlagen Sie vor, um diese potenzielle Glaubwürdigkeitskrise zu lösen?
Wenn wir bis zum nächsten Bundesparteitag mit der Meinungsfindung warten, waren in NRW beispielsweise schon die Kommunalwahlen. Weitere Ausreißer an prominenter Stelle könnten uns im eigenen Lager Stimmen kosten. Auch wenn auf kommunaler Ebene diese Themen nur am Rande eine Rolle spielen, gibt der Wähler der AfD als Gesamtpaket seine Stimme – oder eben nicht. Wir hatten schon in wenigen strittigen Fragen das Instrument der elektronischen Mitgliederbefragung. Man könnte sich auf diese Weise zumindest innerhalb der eigenen Mitgliedschaft ein Stimmungsbild abholen.
Ein anderer denkbarer Weg wäre das Bündeln der Stimmen von Abgeordneten und Funktionären, die das ähnlich kritisch sehen. Die dann eine Art „Brandbrief“ oder Ähnliches an den Bundesvorstand verfassen, eine Aussprache fordern oder damit zumindest öffentlichkeitswirksam Druck aufbauen.
Eine militärische Unterstützung im Sinne direkter Eingriffe ins Kriegsgeschehen, wie sie die Briten oder die US-Amerikaner für Israel beim Abschuss feindlicher Raketen leisten, gibt es jetzt faktisch nicht. In den vergangenen zwei Jahren hat Deutschland Waffen im Wert von knapp einer halben Milliarde Euro an Israel geliefert. Könnten Sie Ihre Aussage zur militärischen Unterstützung für Israel bitte genauer erläutern? Gibt es hier möglicherweise eine Verwechslung mit den aktuellen Fakten zu Waffenlieferungen?
Ja, das ist richtig. Es gab bisher Waffenexporte in Höhe von fast einer halben Milliarde Euro. Den jüngsten Berichten zufolge hat unser Außenminister für seine gewagte Aussage über die Änderung des Israel-Kurses direkten Gegenwind aus der eigenen Fraktion erhalten. Das heißt, man muss damit rechnen, dass Israel weiterhin Waffen aus Deutschland erhält. Waffenexporte an eine Kriegspartei, gegen deren Oberhaupt ein internationaler Strafbefehl vorliegt, finde ich schon bemerkenswert.
Sprechen wir einmal konkret über den Krieg. Israel sieht sich in Bezug auf sein Handeln in Gaza dem Vorwurf des Völkermords gegenüber. Wie bewerten Sie die internationalen Vorwürfe gegen Israels Vorgehen in Gaza? Und wenn ja, sollte die AfD dies auch stärker kommunizieren?
Der Begriff des Völkermords ist definiert und sollte nicht leichtfertig verwendet werden. Ich glaube auch nicht, dass es zielführend ist, den Begriff anzuwenden und darauf zu insistieren. Es würde nur zu Diskussionen führen, warum und weshalb die grausame Vorgehensweise Israels nicht die Kriterien eines Genozids erfüllt. Die Fakten sind schrecklich genug und sprechen für sich. Der Internationale Gerichtshof hat einen Strafbefehl gegen Netanjahu ausgesprochen. Der Vorwurf der Kriegsverbrechen steht unumstritten im Raum. Erschreckend, wie nonchalant die Bundesregierung und leider auch die AfD darüber hinweggehen, wobei letztere zumindest immer betont, eine Rechtsstaatspartei zu sein. Die anderen Länder haben aus den schon ausgeführten Gründen eine neutralere Beziehung zu Israel. Deren Politiker haben nicht Jahrzehnte Staatsräson gelernt und sind unbelastet in ihrem Verhältnis zu Israel.
Sie sprechen vom Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs. Dieser hat am 21. November 2024 einen Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu erlassen. Ihm werden mutmaßliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen vorgeworfen. Sollte sich Deutschland an den Strafbefehl halten und ihn umsetzen? Könnte das auch eine Forderung sein, die die AfD kommunizieren sollte?
Politiker aller Parteien winden sich in dieser Frage. Einerseits will man den Internationalen Gerichtshof nicht infrage stellen, andererseits wäre eine Verhaftung Netanjahus auf deutschem Boden politisch unvorstellbar. Es wäre gerecht – aber diese Bilder würden Assoziationen wecken, die sich kein Staatsmann für Deutschland wünscht. Man sollte als AfD darauf hinweisen, dass ein Haftbefehl gegen ihn vorliegt, dass es aus diesem Grund alleine schon keine Kooperation geben darf. Und dass es ein Skandal ist, dass dieser Haftbefehl in den Medien und bei den Altparteien behandelt wird, als wäre Netanjahu beim Falschparken erwischt worden. Wir reden hier immerhin über den Vorwurf, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Aber die Verhaftung würde ich aus politischen Gründen nicht fordern. Wir alle wissen, welche Schlagzeilen eine solche Forderung produzieren würden.
„Keine Kooperation“ – damit ist also unter anderem der Stopp von Waffenlieferungen gemeint? Was noch?
Damit meine ich in erster Linie Stopp der Waffenlieferungen. Weiter hat die EU auch noch andere Möglichkeiten, etwa Veränderungen in den Handelsbeziehungen. Nicht wenige Staaten fordern eine Überprüfung des Assoziationsabkommens zwischen Israel und der EU. Wir wissen, Deutschlands Wort hat innerhalb der EU Gewicht. Auch Deutschland könnte sich dieser Forderung anschließen.
Ein Teil der israelischen Regierung unter Benjamin Netanjahu hat bereits gefordert, die Bewohner des Gazastreifens umzusiedeln. Völkerrechtsexperten sehen darin einen Verstoß gegen mehrere Konventionen und Richtlinien. Wie sehen Sie das?
Die Umsiedelungspläne Netanjahus aber auch die verstörenden Fantasien von Trump – man erinnere nur an das KI-Video zu Gazas Zukunft als US-amerikanische Bade-Kolonie, machen eines deutlich: Die Vorstellung von Frieden in der Region ist eine Vision ohne die Bevölkerung Palästinas, wahrscheinlich auch ohne die Menschen im Süden Libanons. „Die an einem internationalen bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien dürfen die Zivilbevölkerung eines besetzten Gebiets, in ihrer Gesamtheit oder teilweise, nicht verschleppen oder zwangsweise überführen, sofern dies nicht im Hinblick auf die Sicherheit der betroffenen Zivilpersonen oder aus zwingenden militärischen Gründen geboten ist.“ So heißt es laut Medien in Regel 129 des Völkergewohnheitsrechts. Und es entspricht auch den bisher üblichen Maßstäben oder einem natürlichen Empfinden, was ein Rechtsverstoß ist. Was würde die Bundesregierung wohl dazu sagen, wenn Putin die Bewohner der Ukraine nach Polen zwangsumsiedeln würde? Ich glaube, wir können uns den berechtigten Aufschrei und die harten Konsequenzen bildhaft vorstellen.
Frau Dworeck-Danielowski, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Iris Dworeck-Danielowski (geboren 1978) lebt in Köln, ist Mutter von zwei Kindern und seit 2014 Mitglied der AfD. Sie war von 2017 bis 2022 Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen, saß zwei Jahre lang im Landesvorstand und ist kommunalpolitisch aktiv. Ihre Schwerpunkte sind: Familien- und Sozialpolitik. Sie ist katholisch geprägt.