„Wie weiter mit Russland?” – Die Brandenburger AfD-Fraktion diskutiert über Russland
Wie sieht Russland aus, wenn man nicht durch den Filter des Kremls oder der westlichen Medien blickt? Eine AfD-Veranstaltung mit dem russischen Germanisten Filip Fomitschow bot Raum für eine unideologische, kritische und zugleich versöhnliche Perspektive.
Filip Fomitschow bei der Veranstaltung der AfD Brandenburg.
© AfD BrandenburgUnter dem Titel „Wie weiter mit Russland” lud die AfD-Fraktion am 10. Juli 2025 in das wiederaufgebaute Potsdamer Stadtschloss ein. Vor historischer Kulisse der geschichtsträchtigen preußischen Residenzstadt widmete sich die AfD einer der großen Fragen unserer Zeit und zugleich eines ständigen Streitpunktes innerhalb des rechten Lagers.
Auf der Bühne saßen der Fraktionsvorsitzende der AfD im brandenburgischen Landtag, Dr. Christoph Berndt und Dr. Erik Lehnert, ein bekanntes Gesicht des rechten Vorfeldes aus Schnellroda. Lehnert ist außerdem Fraktionsgeschäftsführer der AfD im Landtag. Als besonderer Gast sprach Filip Fomitschow. Der russische Germanist war bereits mehrmals Redner in Schnellroda und ist ein Bekannter von Lehnert. An diesem Donnerstagabend fanden sich mehr als 50 Leute in den Räumlichkeiten des Landtags ein. Das Publikum war im Durchschnitt etwa 60 Jahre alt. Die Anwesenden unter 30, einschließlich des 25-jährigen Fomitschows, ließen sich an einer Hand abzählen.
Eine Sicht auf Russland jenseits von Kreml und linker Presse
Fomitschow begann mit einem Vortrag, in welchem er mit „entromantisierender Kritik” die Verhältnisse in Russland vorstellte. Es wurde schnell klar: Hier spricht kein Sprachrohr des russischen Staatsfernsehens, sondern ein Europa zugewandter Russe, der Fragen angeht, die Russland und Europa einen. Wenn er von Russland und Europa als Einheit sprach, dann verwendet er den Begriff „Großeuropa”, um explizit die russische Nation mit einzuschließen. Er hofft auf einen baldigen Frieden und die Verbesserung des Verhältnisses zwischen Russland und den anderen europäischen Ländern. Die Friedensthematik fand im Raum großen Anklang. Nüchtern warnte er vor russischen Oppositionellen ohne Rückhalt in der Bevölkerung, die vom Mainstream hofiert werden. Ebenso kritisierte er die stumpfe russische Propaganda, die auch von Teilen des rechten Lagers bereitwillig und voller Begeisterung weitergegeben wird, wie sich auch an diesem Abend noch zeigen sollte.
Russland und Europa im Niedergang – ähnlicher als gedacht?
Geeint sieht er das Europa der Zukunft sowie Russland in ihrer „geopolitischen Zweitrangigkeit”. Russland habe seinen Einfluss in den meisten Ländern eingebüßt, wobei er hier Armenien, Georgien, Aserbaidschan und Kasachstan nannte. Mit dem Eintritt Schwedens und Finnlands in die NATO musste Russland einen weiteren Rückschlag hinnehmen. Eindringlich warnte er vor der Allianz mit dem globalen Süden und dem Übergewicht Indiens und Chinas gegenüber Russland. Doch nicht nur äußerlich sei Russland in der Krise. Als eine weitere Parallele zu europäischen Ländern beschrieb er die Überfremdung in seinem Land, die teilweise drastischer ausfällt als in Deutschland. Die Ghettobildung in Großstädten, überfremdete Schulen und die Beobachtung fremder Gebräuche, wie das Schlachten von Tieren auf offener Straße, seien auch in Russland längst Realität. Hinzu kommt die einbrechende Geburtenrate unter ethnischen Russen. Ein Raunen eines sichtlich überraschten Publikums ging durch den Saal.
Zentralasiatische Arbeitskräfte als vermeintliche Lösung der demografischen Krise
Unterschiede bestünden im harten Durchgreifen der russischen Polizei sowie der weitverbreiteten Erwerbstätigkeit zentralasiatischer Einwanderer – statt Sozialtourismus und Bürgergeld. Zwar seien die Einwanderer somit kein finanzieller Ballast, wodurch die Abhängigkeit von der „Ersetzungsmigration” allerdings nur größer sei. Dies gehe einher mit staatlicher Repression gegen Einwanderungskritiker. Die russische Politik sei hierbei von einem Pragmatismus geleitet und nicht verblendet durch „westliche Ideale”. Dieser Pragmatismus entspringe aus einer völligen Abwesenheit ideologischer Konzepte, was er auf den Zusammenbruch der Sowjetunion zurückführte und die überalterte Elite, die großteils noch dieser Zeit entstamme.
Diese ideologische Leere und Desillusionierung sei auch nicht in der Lage, eine Anziehungskraft auf die Einwanderer auszuüben, da die „russische Welt” ihre Softpower ohnehin weitgehend eingebüßt habe. Auch „schizophrene Hoffnungen” auf Trump, die sich zeitweise mit seiner Wiederwahl im letzten Jahr in Russland breit machten, sieht er als verfehlt. Im Gegenteil sei nun die Chance auf eine europäisch-russische Verständigung gekommen, sofern die USA ihren Fokus künftig stärker auf den Pazifik oder den Nahen Osten legen. Für einen Friedensschluss müsse es der russischen Führung zumindest möglich sein, den Krieg in der Propaganda als Erfolg zu verkaufen. Zum Abschluss seines Vortrags plädierte Fomitschow für einen unpolitischen Dialog auf kultureller Ebene zwischen den Ländern „Großeuropas”.
Dankbarkeit für die Wiedervereinigung
Nach dem Vortrag richtete Christoph Berndt Worte an das Publikum und stellt seine Dankbarkeit gegenüber der sowjetischen und russischen Rolle beim Mauerfall, der Wiedervereinigung und dem Abzug der Besatzungstruppen heraus, wobei er große Zustimmung im Publikum erfuhr. Er erkundigte sich nach der Sicht der Russen auf Deutschland, woraufhin Fomitschow die Schädlichkeit der Waffenlieferungen betonte, da sie die Entschlossenheit der Russen zum Krieg erhöhten. Dennoch sei das Interesse an deutscher Kultur, Kunst und Musik ungebrochen. Lehnert erkundigte sich nach der Rezeption des 9. Mai als Nationalfeiertag anlässlich des Sieges über das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg. Fomitschow führte die Geschichte dieses Jahrestages aus, der erst durch Jelzin in Krisenzeiten zu einem jährlichen Spektakel wurde.
Die zynische Bewertung dieser Feierlichkeiten führte vereinzelt zu Unmut im Publikum, woraufhin eine Zuhörerin der AfD vorwarf, aus Feigheit nicht an diesen Feierlichkeiten teilgenommen zu haben. Hier wurde Berndt deutlich und sprach sich klar gegen eine Übernahme alliierter Geschichtsmythen zugunsten einer eigenen, deutschen und ausgewogenen Perspektive aus. Die Mehrzahl der Zuhörer war hier auf Berndts Seite, was sich dem Applaus entnehmen ließ. Fomitschow plädierte versöhnlich für eine „Historisierung des Zweiten Weltkrieges” und somit der Abkehr von dessen Gebrauch als Schablone für heutige internationale Konflikte. Weitere Fragen drehten sich um die wirtschaftlichen Möglichkeiten der BRICS-Länder und die Hinwendung Russlands nach Asien, wobei Fomitschow die Logik anerkannte und dennoch vor unrealistischen Erwartungen aus dieser teilweise notgedrungenen Umorientierung warnte.
Auch in Russland keine echte Rechristianisierung
Nach einer Frage bezüglich der Rolle der Kirche zeigte Fomitschow auch hier eine Gemeinsamkeit zum Westen auf, nämlich den Verfall jeglicher gesellschaftlichen Institutionen. Die Kirche sei zahnlos und ihre Mitglieder nur auf dem Papier gläubig, was sich in der Unantastbarkeit kostenloser Abtreibungen und einer Scheidungsrate von 80 Prozent widerspiegelt.
Nach dem Ende des offiziellen Teils ging Berndt wie immer umtriebig durch die Reihen und schüttelte Hände, während mehrere interessierte Zuhörer das Gespräch mit dem russischen Gast suchten. Einzelne Zuhörer beklagten sich im Anschluss über die mangelnde Dankbarkeit gegenüber den sowjetischen Befreiern, ehe sich der Saal lichtete.
Insgesamt bot die Veranstaltung den Zuhörern einen seltenen Einblick in die russische Gesellschaft aus einem rechtskonservativen Blickwinkel fernab der Berichterstattung der westlichen oder russischen Medien. Der Wunsch nach Frieden einte die Zuhörer wie auch Fomitschow, der ihn als Grundbedingung für die großen Herausforderungen der Zukunft sieht, denen sich beide Seiten trotz des Krieges in der Ukraine gleichermaßen stellen müssen.