Was CDU-Länder tatsächlich bei Rückführungen leisten – und was nicht
Von Sachsen bis Bayern: Trotz harter Worte setzen die unionsgeführten Länder kaum Rückführungen durch. Ein Überblick, der für die Christdemokraten unangenehme Fragen aufwirft.
Laut eigener Aussage will die CDU härter bei der Rückführung ausreisepflichtiger Migranten durchgreifen. Die Zahlen zeigen jedoch eine andere Realität.
© IMAGO / Arnulf HettrichEs ist der 31. August 2015, die damalige Kanzlerin Angela Merkel verkündet in ihrer jährlichen Sommerpressekonferenz das mittlerweile geflügelte „Wir schaffen das“ und markiert damit den Beginn eines Prozesses, der sich heute, zehn Jahre später, in den Augen vieler Bürger als andauernde Migrationskrise bezeichnen lässt. Seitdem haben sich nicht nur die Mehrheiten in den deutschen Parlamenten, sondern auch die Stimmung in der Republik deutlich gewandelt. Aus der Merkel- wurde die Merz-CDU, und Kanzler Friedrich Merz liegt viel daran, den Kurs der „über Nacht im Alleingang“ entschiedenen Migrationspolitik zu ändern.
Bereits vor seinem Amtsantritt bezeichnete er im Dezember 2024 die „Begrenzung der irregulären Migration“ als wichtigste Aufgabe seiner Regierung. Der bereits jetzt historische „Fünf Punkte für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration“-Plan, ein Entschließungsantrag im Bundestag, dem erstmals mit den Stimmen der AfD zur Mehrheit verholfen wurde, sollte der Öffentlichkeit vermitteln, dass man nun eine tatsächliche Umkehr der Migration, beinahe also eine Remigration, als Ziel anpeilen würde.
Sachsen-Anhalt: Minimaler Vollzug trotz Ansage
Diese Rhetorik und der Vorstoß auf Bundesebene stehen jedoch in starkem Gegensatz zu der Politik der Christdemokraten in den von ihr regierten Bundesländern. Am deutlichsten wird dies etwa in Sachsen-Anhalt, wo mit Reiner Haseloff der dienstälteste CDU-Ministerpräsident im Amt ist. Zwar meldete die Landesregierung im Januar 2025 mit 4.711 ausreisepflichtigen Personen den niedrigsten Wert seit Dezember 2014, ein Ergebnis, das jedoch nur schwerlich auf die konsequente Rückführung von Migranten zurückzuführen ist. Denn diese lagen seit 2018 im niedrigen dreistelligen Bereich. Am wenigsten Abschiebungen gab es im Jahr 2020: Insgesamt wurden 287 Personen mit Rückführungsmaßnahmen außer Landes gebracht.
Sachsen: Viel Kritik, wenig Abschiebungen
Das seit der Wiedervereinigung durchgängig von der CDU regierte Sachsen und sein Ministerpräsident Kretschmer stehen in Fragen der Migrationspolitik immer wieder in den Schlagzeilen. Dieser steht nicht nur vonseiten der AfD, sondern auch aus der eigenen Partei unter Handlungsdruck. Trotz seiner migrationskritischen Äußerungen und Forderungen nach stärkerer Kontrolle der Grenzen sind seine Erfolge bei der kontrollierten Rückführung von Ausreisepflichtigen unterdurchschnittlich schlecht. Während sich laut Angaben des Medienservices der sächsischen Landesregierung zum Jahresende 2023 rund 13.000 ausreisepflichtige Personen im Freistaat aufhielten, konnten im gleichen Zeitraum lediglich 855 Abschiebungen durchgeführt werden. Diese Zahl erhöhte sich im Jahr 2024 nur leicht auf 939.
Abschiebungen in Sachsen
Ende 2023 hielten sich in Sachsen rund 13.000 ausreisepflichtige Personen auf. In den Jahren 2023 und 2024 wurden nur wenige Hundert von ihnen abgeschoben.
Norden und Thüringen: Geringe Quoten, viele Duldungen
Auch die Bundesländer Schleswig-Holstein und Thüringen stechen mit ihren niedrigen Abschiebequoten gegenüber anderen CDU-geführten Ländern hervor. Während sich von 2021 bis 2023 jährlich zwischen 9.000 und 13.000 ausreisepflichtige Personen für Rückführungsmaßnahmen des Landes anboten, konnten in diesem Zeitraum lediglich 1.115 solcher Maßnahmen umgesetzt werden. Thüringen nimmt durch die langjährige linksgeführte Regierung eine Sonderrolle ein: Die Landesregierung unter Ministerpräsident Ramelow weist eine auffällig hohe Duldungsquote ausreisepflichtiger Migranten auf. Ob der CDU-MP Voigt jedoch willens oder fähig ist, an den thüringischen Zuständen etwas zu ändern, dürfte angesichts seiner Koalitionspartner als unwahrscheinlich gelten.
NRW und Hessen: Viele Fälle, wenig Vollzug
Doch auch die Spitzenreiter in Sachen Abschiebungen unter den Bundesländern entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als faule Äpfel: Nordrhein-Westfalen und Hessen konnten sich seit Beginn der Migrationskrise mit Abschiebungen im kleinen bis mittleren vierstelligen Bereich dauerhaft unter den Top 5 behaupten. Angesichts der großen Zahl ausreisepflichtiger Personen in NRW (59.373, Stand 2023) und Hessen (17.821, Stand 2022) erscheinen Abschiebungszahlen von zwei- bis fünftausend wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die hohe Dichte an Ballungsgebieten in den beiden Bundesländern macht eine hohe Dunkelziffer sehr wahrscheinlich – ebenso wie die hohe Anzahl von Personen, die trotz weggefallener Fluchtursachen weiterhin in Deutschland verbleiben.
Ausreisepflichtige in NRW und Hessen
In NRW und Hessen war die Zahl der Ausreisepflichtigen im Jahr 2022 bzw. 2023 besonders hoch.
Bayern: CSU-Rhetorik kontra Realität
Auch im Freistaat Bayern sieht es letztlich düster aus: Die Söder-CSU, die sich besonders häufig gegen die Migrationspolitik ausspricht, entpuppt sich eher als laue Brise denn als Sturmläufer für Remigration. So wurden im Krisenjahr 2015 noch insgesamt 4.195 Personen abgeschoben, im Jahr 2020 sank die Zahl auf 1.558 und selbst im Jahr 2024 wurden mit rund 3.000 Abschiebungen noch immer nicht die Werte der Jahre vor Beginn der Coronakrise erreicht. Zur Erinnerung: Seit 2015 halten sich in Bayern zwischen 25.000 und 30.000 ausreisepflichtige Personen auf. Eine Anfrage der AfD-Fraktion ergab im Jahr 2024 einen Grundwert von 25.419 Personen, von denen 6.159 vollziehbar ausreisepflichtig waren.
Abschiebungen in Bayern
Seit 2015 halten sich in Bayern zwischen 25.000 und 30.000 ausreisepflichtige Personen auf. Tausende von ihnen sind vollziehbar ausreisepflichtig.
Diese Zahlen decken sich kaum mit der Rhetorik der Ministerpräsidenten. So schloss etwa der damalige Ministerpräsident Seehofer bereits im Jahr 2016 eine Abschiebung in Kriegsgebiete nicht aus. Auch der heutige CSU-Chef Markus Söder, damals Finanzminister, äußerte sich deutlich: „Es muss konsequent abgeschoben werden. Denn wenn wir immer sagen, es gebe rechtliche Hindernisse, dann scheint mir das auf Dauer mehr eine Ausrede zu sein. […] Die Bürger verstehen nicht, dass jemand nach Deutschland kommt, sein Asylantrag abgelehnt wird und er trotzdem dableiben kann.”
Bilanz: Anspruch, Zahlen, Vertrauensfrage
Alle Daten entstammen den jeweiligen Landesministerien und sind somit nicht nur den Bürgern, sondern auch den Ministerpräsidenten und allen weiteren Verantwortlichen bekannt. Sie offenbaren einen starken Gegensatz zwischen Rhetorik und Realität in den christdemokratischen Ländern – und damit auch für den gesamten Bund. Regelmäßig arbeiten beide Ebenen der Verwaltung, häufig auch mit den Kommunen, die nicht selten die Leidtragenden der von oben verordneten Migrationspolitik sind. Hier begegnen sich Bürger und Parteibasis, die sich in der Regel näher sind als die lokalen Funktionäre und ihre Vorgesetzten in den Landeshauptstädten von München bis Kiel.
Die Folge ist eine doppelte Entfremdung der Menschen von der Christdemokratie: Einerseits ist sie außerstande, gegenüber ihren Wählern einen transparenten, migrationsoffenen Kurs zu beschreiten, andererseits ist sie unfähig, die notwendigen Schritte für eine Kehrtwende in diesem Bereich durchzusetzen. Trotz beachtlicher Wahlergebnisse und der Gestaltungsmacht einer Landesregierung zerreibt es die Union zwischen den offen migrationsbejahenden Parteien (SPD, Grüne, Linke) und der migrationskritischen AfD. Damit teilt sie das Schicksal von FDP und BSW, die aufgrund mangelnder Stringenz in der Migrationsfrage ebenfalls in Existenznot geraten – unabhängig vom Alter ihrer Partei.
Egal, welchen Kurs die Migrationspolitik in Deutschland nach weiteren zehn Jahren der Flüchtlingskrise eingeschlagen haben wird: Ihre Akteure werden an den heute in die Wege geleiteten Maßnahmen gemessen werden.