Kärntnerblick auf Brüssel: Die neue EU-Binnenmarktstrategie und das große Wortgeklingel
Die EU-Kommission inszeniert sich mit ihrer neuen Binnenmarktstrategie als wirtschaftlicher Befreier. Doch was als Entlastung verkauft wird, könnte neue bürokratische Lasten für Unternehmen mit sich bringen, warnt Elisabeth Dieringer.
Mit ihrer neuen Binnenmarkt-Strategie will die EU-Kommission nicht nur einen „einfacheren, nahtloseren und stärkeren europäischen Binnenmarkt“ schaffen. Sie will vor allem die Folgen des Zollstreits mit den USA abschwächen und damit die Wirtschaft des EU-Raumes stärken. Doch alles, was gut klingt, muss in der Substanz nicht gut sein.
Denn wer die Pressemitteilung der EU-Kommunikation vom 21. Mai liest, stellt sich unweigerlich Fragen. Immerhin ist der Markt der assoziierten Mitgliedsländer nicht zu unterschätzen. Rund zwei Drittel der österreichischen Exporte landen beispielsweise in irgendeinem anderen EU-Land. Jetzt, nachdem der viel geschmähte US-Präsident mit Zöllen droht, um das US-amerikanische Handelsdefizit in den Griff zu bekommen, hat die Europäische Kommission die Binnenmarktspielwiese entdeckt.
Wachstum mit Schönsprech und alten Problemen
Die Betonung des EU-Binnenmarktes als „starker Katalysator für Wachstum, Wohlstand und Solidarität in Europa“ erinnert an das Pfeifen im finsteren Kohlenkeller. Mit der neuen Marktstrategie soll offensichtlich eine Position für die Verhandlungen mit den US-Amerikanern aufgebaut und ökonomische Stärke beziehungsweise Unabhängigkeit nach außen suggeriert werden. Über die Faktoren, die einem reibungslosen Binnenmarktgeschehen wirklich entgegenstehen, verliert die Kommission jedoch kein Wort, als da unter anderem wären: Steuerlast, Bürokratieirrsinn, Normenwillkür und Regulierungswut seitens der Brüsseler Zentralokraten.
Stattdessen hat man zehn Hemmnisse für den funktionierenden Markt ausgemacht, die es zu beseitigen gilt:
1. Komplizierte Unternehmensgründung und -führung;
2. Komplexe EU-Vorschriften;
3. Mangelnde Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten;
4. Begrenzte Anerkennung von Berufsqualifikationen;
5. Fehlende gemeinsame Normen;
6. Fragmentierte Vorschriften für Verpackungen;
7. Mangelnde Produktkonformität;
8. Restriktive und divergierende nationale Vorschriften für Dienstleistungen;
9. Aufwendige Vorschriften für die Entsendung von Arbeitnehmern in risikoarmen Sektoren; 10.
10. Ungerechtfertigte territoriale Lieferbeschränkungen, die zu hohen Preisen für die Verbraucher führen.
Digitalisierung als Deckmantel für Kontrolle
Dagegen helfen soll was? Klar, die magische Digitalisierung. Die Kommission meint etwa, dass Produktpässe und angeblich papierlose Verfahren wirken. Wo aber liegt konkret die Entlastung für die Unternehmen? Die administrativen, umständlichen Prozesse bleiben die gleichen – ob analog oder digital. Dazu kommt: Die Idee einer „KMU-ID“, die ein Online-Tool sein wird, das eine einfache Möglichkeit zur Überprüfung des KMU-Status bietet, riecht schwer nach zentralisierter Kontrolle. Außerdem will die Kommission sogenannte „Sherpas“ – hochrangige EU-Vertreter für den Binnenmarkt – in den Regierungen installieren, um die Umsetzung ihrer Strategie zu überwachen. So werden nationale Spielräume weiter eingeschränkt und sinnlose, bestens alimentierte Posten für Brüsseler Bürokraten geschaffen.
Die Strategie bleibt insgesamt vielfach unkonkret – alter Wein in neuen Schläuchen. Wieder wird mit viel Chichi eine weitere administrative Schikane angekündigt. Die KMUs beispielsweise könnten durch die geplanten neuen digitalen Pflichten und Kosten zusätzlich belastet werden. Immer wieder versucht sich die EU-Kommission als Regierung der Vereinigten Staaten von Europa aufzumandeln. Diese politische Anmaßung widerspricht dem wirtschaftlichen Charakter eines freien, europaweit harmonisierten Marktes für souveräne Nationen.