Neue EU-Kommission: Das sind von der Leyerns Kandidaten

Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen setzt auf Wandel: Neue Ressortverteilung mit Fokus auf Gleichstellung und Wettbewerbsfähigkeit. FREILICH stellt das neue Kommissionsteam vor.

Analyse von
18.9.2024
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6 Minuten Lesezeit
Neue EU-Kommission: Das sind von der Leyerns Kandidaten

Die EU-Kommissionspräsidentin hat am Dienstag die neue Kommission vorgestellt.

© IMAGO / ZUMA Press Wire

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen (CDU), hat am Dienstag ihre Pläne für die Ressortverteilung der neuen Kommissare vorgestellt. Dabei überraschte sie mit einigen Entscheidungen. Besonders bemerkenswert ist die Ernennung von zwei Frauen auf hohe Posten: Die Rumänin Roxana Mînzatu (Sozialdemokratin) und die Finnin Henna Virkkunen (Konservative) wurden als Vizepräsidentinnen vorgeschlagen. Gleichzeitig wurden drei Amtsinhaber auf weniger prominente Posten versetzt, darunter die Kommissionsveteranen Maroš Šefčovič (Smer) und Valdis Dombrovskis (Liberal-Konservative) sowie die Kroatin Dubravka Šuica (Christdemokraten).

Die Nominierung der Spanierin Teresa Ribera (Sozialisten), des Italieners Raffaele Fitto (Konservative) und des Franzosen Stéphane Séjourné (Liberale) als Vizepräsidenten war keine Überraschung, galten sie doch bereits im Vorfeld als Favoriten. Die Estin Kaja Kallas (Liberale), die von den EU-Regierungen bereits zur Außenbeauftragten ernannt wurde, komplettiert die Gruppe der sechs neuen Vizepräsidenten.

Schwerpunkte: Wettbewerb und Transformation

Bei einer Pressekonferenz in Straßburg erklärte von der Leyen, der Schwerpunkt ihrer Entscheidungen liege auf der „Wettbewerbsfähigkeit im doppelten Wandel“. Dieser Wandel beruhe auf den Grundpfeilern Wohlstand, Sicherheit und Demokratie, die miteinander verbunden seien. Die neue Struktur solle sicherstellen, dass diese Prioritäten in der Kommission effektiv umgesetzt werden.

Besonderes Augenmerk legte von der Leyen auf die Gleichstellung der Geschlechter. So sind vier der sechs Exekutiv-Vizepräsidenten Frauen, eine deutliche Steigerung gegenüber der letzten Kommission. Bereits zu Beginn ihrer Amtszeit hatte sich von der Leyen für eine Erhöhung des Frauenanteils in der Kommission eingesetzt. Nach intensiven Verhandlungen stieg die Zahl der Kommissarinnen von 22 auf 40 Prozent.

Die wichtigsten Nominierungen auf einen Blick

Teresa Ribera, derzeit spanische Ministerin für Umweltfragen, wurde als Vizepräsidentin der Kommission mit Zuständigkeit für Umweltfragen und Wettbewerb nominiert. Die Finnin Henna Virkkunen, Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP), wird sich überraschend mit den Themen technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie befassen. Der Italiener Raffaele Fitto von der rechtskonservativen EKR-Fraktion wurde für das Ressort Kohäsion und Reformen nominiert.

Gerade Fitto steht vor einer schwierigen Bestätigungsphase im Europäischen Parlament. Sein Vorschlag stößt auf Widerstand aus verschiedenen politischen Lagern. Ursula von der Leyen betonte dennoch die Bedeutung Italiens und die Relevanz des ihm zugedachten Ressorts.

Nachfolger von Breton ist eine Überraschung

Vor allem die Personalie Virkkunen ist interessant: Sie folgt auf den zuletzt oft kritisierten Thierry Breton, der seine Kandidatur zurückgezogen hatte (FREILICH berichtete). Ihre Ernennung signalisiere einen strategischen Wechsel in der EU-Digitalpolitik, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Virkkunen wird in ihrer neuen Position für die Bereiche „Digitalisierung und digitale Infrastruktur“ zuständig sein. Von der Leyen betonte, dass diese Bereiche entscheidend seien, um die „Voraussetzungen für Spitzenforschung und -entwicklung“ zu schaffen, die wiederum für die globale Wettbewerbsfähigkeit Europas von zentraler Bedeutung seien. Das neue Motto der Kommission „Wettbewerbsfähigkeit in globalen Märkten“ spiegelt die wachsende Besorgnis der europäischen Staats- und Regierungschefs über die Abhängigkeit von Drittländern in Schlüsseltechnologien wider.

Wechsel in der Zuständigkeit für Digitalpolitik

Die dänische Kommissarin Margrethe Vestager war bisher für die Digitalpolitik zuständig, insbesondere für das Ressort „Europa fit für das digitale Zeitalter“. Außerdem leitete sie die Generaldirektion Wettbewerb, wo sie sich vor allem im Kampf gegen die US-Technologiegiganten einen Namen machte. Vestager hinterlässt ein Erbe, das von ihrer harten Haltung gegenüber den großen Technologiekonzernen geprägt ist.

Eine zentrale Rolle in der EU-Digitalpolitik spielte auch der französische Kommissar Thierry Breton, der bisher für den Binnenmarkt zuständig war. Er leitete die Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien (DG CNECT), die maßgeblich für die Digitale Agenda der EU verantwortlich war, sowie die Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Raumfahrt (DG DEFIS). Breton trat am Montag überraschend zurück und gab „persönliche Differenzen“ mit von der Leyen an. Daraufhin wurde die DG CNECT aus dem Ressort des Binnenmarktkommissars entfernt und die Zuständigkeiten für Raumfahrt und Verteidigung neu verteilt.

Neuverteilung der Ressorts

Das Mandatsschreiben von Frau Virkkunen bestätigt, dass sie künftig die Leitung der GD CNECT übernehmen wird. Die Zuständigkeit für Raumfahrt und Verteidigung, die bisher bei Breton lag, wurde dem litauischen Kommissar Andrius Kubilius (Konservative) übertragen, der direkt an Virkkunen berichten wird. Von der Leyen betonte in Straßburg, Kubilius werde sich maßgeblich für die Entwicklung der Europäischen Verteidigungsunion und die Stärkung der industriellen Kapazitäten der EU einsetzen.

Die Schaffung des neuen Postens des Verteidigungskommissars steht in engem Zusammenhang mit der geopolitischen Lage, insbesondere seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Bereits in ihrer vorherigen Amtszeit hatte von der Leyen eine eigene Generaldirektion für Verteidigungsindustrie und Raumfahrt (DEFIS) eingerichtet, um die europäische Verteidigungsindustrie zu stärken. Bisher lag der Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung. Nun soll vor allem die Munitions- und Rüstungsindustrie gestärkt werden, um kritische Engpässe zu vermeiden. Kubilius wird auch das neue EU Defence Industry Programme (EDIP) betreuen, das die Produktionskapazitäten erhöhen und den Kauf europäischer Produkte gegenüber Importen fördern soll.

Enge Zusammenarbeit mit anderen Kommissaren und mögliche Konflikte

Kubilius' Rolle ist nicht klar abgegrenzt. Während er für die industrielle und strategische Verteidigungsplanung der EU zuständig ist, liegt die Hauptverantwortung für die Außen- und Verteidigungspolitik laut Vertrag bei der neuen EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas. Sie leitet die außen- und verteidigungspolitischen Gremien der EU und hat großen Einfluss auf die Europäische Verteidigungsagentur (EDA).

Analysten befürchten Konflikte zwischen den Kompetenzen der beiden EU-Vertreter. Das European Policy Center (EPC) weist darauf hin, dass Kubilius‘ Aufgaben weit über die Verteidigung hinausgehen sollten. Die Zuständigkeiten des Kommissars sollten sich auf „Industrie, Investitionen, soziale und strukturelle Aspekte“ erstrecken, heißt es in einer Stellungnahme des Think Tanks.

Kubilius vor großer Aufgabe

Die Verpflichtung der EU-Mitgliedsstaaten, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen, hat noch keine konkreten Ergebnisse gebracht. Die Europäische Kommission sucht nach Möglichkeiten, die Rüstungsindustrie finanziell zu unterstützen, hat aber noch keine konkreten Pläne vorgelegt. Kubilius wird eine wichtige Rolle dabei spielen, die Interessen der nationalen Regierungen, die ihre Verteidigung als nationale Angelegenheit betrachten, mit den EU-weiten Ambitionen in Einklang zu bringen.

Gleichzeitig wurde die Spanierin Teresa Ribera zur Kommissarin für einen „sauberen, fairen und wettbewerbsfähigen Übergang“ ernannt. Dies spiegelt die Bemühungen der EU wider, den selbstaufgetragenen „grünen Wandel“ mit der globalen Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen.

Verstärkter Fokus auf Industrie, KMU und Fachkräfte

Mit der Ernennung des Franzosen Stéphane Séjourné zum Kommissar für „Wohlstand und Industriepolitik“ rückt der Industriesektor, insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), stärker in den Vordergrund. Séjourné tritt die Nachfolge von Breton an und wird für die Entwicklung und Förderung der europäischen Industriepolitik zuständig sein.

Die Rumänin Roxana Mînzatu wurde zur Kommissarin für „Humanressourcen, Kompetenzen und Zukunftsforschung“ ernannt. Ihr Ressort umfasst „Kompetenzen, Bildung, Kultur, hochwertige Arbeitsplätze und soziale Rechte“. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit werden die Auswirkungen der Technologie auf die Zukunft der Arbeit sein.

Vereinfachung der digitalen Gesetzgebung

Der Lette Valdis Dombrovskis wurde zum Kommissar für „Umsetzung und Vereinfachung“ ernannt. Seine Aufgabe wird es sein, die Umsetzung der bestehenden digitalen Gesetzgebung voranzutreiben und gleichzeitig bürokratische Hürden abzubauen, die als Hindernisse für europäische Unternehmen gelten. Von der Leyen betonte, dass dies ein zentrales politisches Ziel der neuen Kommission sei.

Die Bulgarin Ekaterina Zaharieva (Konservative) wurde als Nachfolgerin von Iliana Ivanova zur neuen Kommissarin für Unternehmensgründungen, Forschung und Innovation ernannt. Mit der Ernennung des Iren Michael McGrath (Liberale) zum Kommissar für „Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit“ werde die Initiative „Europäischer Demokratieschirm“ zur Bekämpfung von Desinformation und ausländischer Einflussnahme gestärkt, so von der Leyen.

Bestätigungsprozess steht noch aus

Die Nominierung von Magnus Brunner für den Bereich Migration hat bei einigen Politikern für Unmut gesorgt. Harald Vilimsky von der FPÖ bezeichnete die Entscheidung als „Kabinett des politischen Grauens“ und warnte vor einer Fortsetzung des „Migrationsirrsinns“. Er kritisierte, dass Brunner, der aus der ÖVP stammt, für eine härtere Migrationspolitik ungeeignet sei. Auch Petra Steger von der FPÖ äußerte sich kritisch und bezeichnete Brunner als „Idealkandidaten des EU-Establishments“ aufgrund seiner mangelnden Erfahrung im Bereich Migration.

Die Ankündigungen von der Leyens sind nur der erste Schritt. Bevor die neuen Kommissare ihre Arbeit aufnehmen können, müssen sie sich den Anhörungen im Europäischen Parlament stellen. Diese beginnen aber erst, wenn alle Nominierungen vollständig vorliegen. Im Fall der Slowenin Marta Kos fehlten zum Zeitpunkt der Bekanntgabe noch die formellen Papiere.

Über den Autor

Bruno Wolters

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei Freilich. Seine Interessengebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

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