WHO wegen wachsender Impfskepsis „extrem besorgt“
Die WHO und Unicef zeigen sich alarmiert. Weltweit sinken die Impfquoten, gleichzeitig würden Impfskepsis und Falschinformationen zunehmen.
Auch in Europa und anderen Regionen waren die Impfraten gegen Krankheiten wie Masern und Keuchhusten im vergangenen Jahr laut WHO rückläufig. (Symbolbild)
© IMAGO / imagebrokerDie Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Kinderhilfswerk Unicef schlagen Alarm: Weltweit sinken die Impfquoten, während sich gleichzeitig Impfskepsis und Falschinformationen verbreiten, so die Kritik. In ihrem aktuellen Impfbericht warnen beide Organisationen zudem, dass besonders in ärmeren Regionen drastisch gekürzte Entwicklungshilfen fatale Folgen haben könnten.
WHO „extrem besorgt“ über Desinformation
Bei der Vorstellung des jährlichen WHO-Unicef-Berichts zur weltweiten Impfentwicklung erklärte Kate O’Brien, die Leiterin der Impfabteilung der WHO: „Wir sind extrem besorgt über Fehl- und Desinformation zu Impfungen.“ Auch die finanzielle Lage sei angespannt. Die schrumpfenden Hilfsgelder seien „extrem problematisch“, so O’Brien.
Schon im Vorjahr habe es an Mitteln gefehlt, um Impfkampagnen in ärmeren Ländern umzusetzen. Die teils drastischen Kürzungen von Entwicklungshilfe in diesem Jahr – durch die USA und viele andere Länder – dürfte verheerende Auswirkungen haben, so die Einschätzung der WHO und Unicef.
Millionen Kinder erhalten keine einzige Impfung
Laut WHO spitzt sich die Lage zu: 2024 haben weltweit 14,3 Millionen Kinder im ersten Lebensjahr keine einzige Impfung erhalten – ein Anstieg um 1,9 Millionen im Vergleich zur Zeit vor der Coronapandemie. Neben Zweifeln an Impfstoffen seien laut WHO vor allem Konflikte und schwer zugängliche Regionen ein großes Hindernis für umfassenden Impfschutz.
Ein besonderes Augenmerk gilt der Ausbreitung von Masern. Im Jahr 2024 wurden in 60 Ländern schwere Ausbrüche gemeldet, was einer Verdopplung im Vergleich zu 2022 entspricht. In manchen Ländern seien Ausbrüche auf verbreitete Impfskepsis zurückzuführen, sagte O’Brien. Die WHO schätzt, dass im Jahr 2023 weltweit mehr als 107.000 Menschen an Masern starben. Zwar stieg die globale Abdeckung mit einer zweiten Masernimpfung leicht auf 76 Prozent, doch laut WHO müssten es mindestens 95 Prozent sein, um Ausbrüche sicher zu verhindern. Derzeit sind schätzungsweise 30 Millionen Kinder nicht ausreichend gegen Masern geschützt.
Rückläufige Impfraten auch in Europa
Auch Europa ist betroffen. Das WHO-Regionalbüro Europa und Unicef warnten davor, dass Nachlässigkeiten beim Impfen die kindliche Gesundheit gefährdeten. In der 53 Staaten umfassenden Region – einschließlich Zentralasien – seien die Impfraten gegen Krankheiten wie Masern und Keuchhusten 2024 leicht rückläufig gewesen und hätten weiterhin das Vor-Corona-Niveau nicht erreicht.
Allein im vergangenen Jahr erkrankten mehr als 125.000 Menschen in Europa an Masern – doppelt so viele wie im Vorjahr. Beim Keuchhusten waren es rund 300.000 Fälle, was einer Verdreifachung entspricht. WHO-Regionaldirektor Hans Kluge rief die Mitgliedsstaaten dazu auf, ihre lokalen Gesundheitssysteme zu stärken, die Verfügbarkeit von Impfstoffen überall sicherzustellen sowie Fehlinformationen zu bekämpfen.
Solide Impfquote bei Säuglingen in Deutschland
Deutschland sticht im internationalen Vergleich insgesamt hervor: Laut Robert-Koch-Institut (RKI) ist die Impfbereitschaft seit der Pandemie nicht gesunken. Die Daten zeigen, dass rund 96 Prozent der Säuglinge die erste Sechsfachimpfung erhalten, die unter anderem gegen Diphtherie, Tetanus, Kinderlähmung und Keuchhusten schützt. Problematisch ist jedoch die Durchführung der Auffrischungsimpfungen. Diese fänden häufig zu spät oder gar nicht statt – insbesondere seit der Umstellung des Impfplans, die zu zeitlich verzögerten Arztbesuchen führe.
Das Ergebnis: Im Alter von 15 Monaten sind nur 64 Prozent der Kinder vollständig gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten geimpft. Der Berliner Kinderarzt Martin Terhardt, langjähriges Mitglied der Ständigen Impfkommission, zeigt sich besorgt: „Diese Daten sind nicht zufriedenstellend.“
Regionale Unterschiede innerhalb Deutschlands
Doch auch innerhalb Deutschlands zeigen sich deutliche Unterschiede bei den Impfquoten. Sachsen ist bei der Masernimpfung mit nur 55 Prozent unter Zweijährigen bundesweites Schlusslicht, während Schleswig-Holstein mit 84 Prozent die Spitzenposition einnimmt. Auffällig ist die hohe Impfskepsis in Baden-Württemberg, wo lediglich 69 Prozent der Kinder gegen Kinderlähmung geimpft sind – im Vergleich zu 82 Prozent in Niedersachsen. Bei Impfungen gegen Grippe oder HPV hingegen liegen die östlichen Bundesländer zum Teil vor den westlichen.