Jurist warnt: „Vermehrung des deutschen Volkes ist gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“
Die AfD Niedersachsen hat gefordert, ein Begrüßungsgeld ausschließlich an deutsche Familien zu vergeben. Laut einem Richter verstößt die „Vermehrung des deutschen Volkes” jedoch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Der Richter und Unternehmensberater Chan-jo Jun hat mehrere rechtliche Bedenken gegen die AfD-Forderung nach einer Begrüßungsprämie ausschließlich für Babys mit deutscher Staatsangehörigkeit.
© IMAGO / dts NachrichtenagenturHannover/München. – In Niedersachsen sorgte zuletzt ein Vorstoß der AfD für heftige politische Debatten: Die Partei fordert ein staatliches Begrüßungsgeld für Neugeborene, allerdings nur für Babys mit deutscher Staatsangehörigkeit. Vorgesehen sind 2.000 Euro pro Kind, beim dritten oder vierten sogar 2.500 Euro. Zudem sollen Familien bis zu 36 Monate lang monatlich 125 Euro erhalten. Voraussetzung ist, dass die Eltern seit mindestens einem Jahr im Bundesland leben.

Die AfD-Abgeordnete Vanessa Behrendt begründete die Forderung wie folgt: „Wir wollen, dass sich Deutsche Kinder leisten können. Wir wollen, dass Deutsche Kinder bekommen.“ Zugleich zweifelte sie daran, ob staatliche Leistungen auch jenen zugutekommen sollten, „die gerade aus dem Flixbus gestiegen sind“. Während die AfD das Modell als gezielte Investition sieht, warnen SPD und Grüne vor einer diskriminierenden Schieflage. Die SPD-Politikerin Andrea Prell etwa sprach von einem „Zeichen der Ausgrenzung“ und betonte, dass jede Familie, die im Land lebt und arbeitet, Unterstützung verdiene.
Richter sieht mögliche Europarechtswidrigkeit
Der Jurist Chan-jo Jun, der 2022 auf Vorschlag der Fraktion der Grünen vom Bayerischen Landtag zum stellvertretenden nichtberuflichen Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs gewählt wurde, analysierte den Vorstoß auf seinem YouTube-Kanal aus juristischer Perspektive. Er ordnete die AfD-Idee darin bereits auf europäischer Ebene als potenziell problematisch ein. Ein Gesetz, das ein Begrüßungsgeld ausschließlich für Deutsche vorsehe, sei „möglicherweise mit eher hoher Wahrscheinlichkeit europarechtswidrig“, da es EU-Bürger diskriminiere.
Keine Gründe für Ungleichbehandlung
Auch verfassungsrechtlich hält Jun den Vorschlag für kaum haltbar. Zwar sei es denkbar, Touristen oder Austauschschüler, die sich nur kurz im Land aufhalten, von Leistungen auszunehmen, dafür gebe es legitime Erwägungen. Doch diese Motivation sei bereits durch das im AfD-Antrag enthaltene Wohnsitzerfordernis abgedeckt. Jun führte aus, dass geprüft werden müsse, warum deutsche Babys anders behandelt werden sollten als amerikanische Babys. Das Wohnsitzkriterium bilde eine Bindung an das Land schließlich bereits ab. „Warum muss es dann zusätzlich noch die Staatsangehörigkeit sein?“, fragt er und stellt fest, dass die Begründung des Antrags „nicht so richtig gute Gründe“ liefere. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei zudem klar, dass Sozialleistungen nicht ohne sachlichen Grund an die Staatsangehörigkeit geknüpft werden dürfen. Aus rechtlicher Sicht ist die Forderung für Jun daher nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Juristisch geht es jedoch nicht nur um die Verfassungswidrigkeit, sondern auch um die Frage, ob der Vorschlag eine verfassungsfeindliche Haltung erkennen lässt. Laut Jun wäre dies der Fall, wenn die eigentliche Motivation eine Differenzierung „nach Abstammung“ sei oder wenn dahinter die Absicht stehe, eine Umvolkung zu verhindern. In solchen Fällen würde das Vorhaben den Kern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung berühren, insbesondere wenn die Menschenwürde von In- und Ausländern unterschiedlich bewertet würde.
In einer zusammenfassenden Einschätzung formulierte Jun unmissverständlich, dass eine Babyprämie zwar grundsätzlich zulässig sein könne, jedoch nur, wenn es einen legitimen Grund für die Benachteiligung von Nichtdeutschen gebe. Genau das sei hier jedoch nicht erkennbar. Auf der Plattform X erklärte er dazu: „Die 2.000 € Babyprämie wäre zulässig, wenn es einen billigenswerten Grund für die Benachteiligung von Nicht-Deutschen gäbe. Die Vermehrung des deutschen Volkes ist kein verfassungsmäßiger Zweck, sondern sogar ein Ausgehen gegen die fdGO.“




