Neutralität nach Bedarf – Wie Brandenburgs Bildungsminister Schule politisiert
Dulden staatliche Stellen politische Wertungen im schulischen Raum, wird Neutralität zur Verhandlungssache. Benjamin Filter zeigt am Beispiel einer Antwort des brandenburgischen Bildungsministeriums, wie schnell aus politischer Bildung institutionelle Parteinahme werden kann.
Steffen Freibergs Antwort zu einer umstrittenen Ausstellung an einer Berufsschule wirft grundlegende Fragen zur politischen Neutralität staatlicher Bildungseinrichtungen auf.
© IMAGO / dts NachrichtenagenturManchmal verrät eine ministerielle Antwort mehr als jede parlamentarische Anfrage. Die Stellungnahme von Steffen Freiberg, Brandenburgs Minister für Bildung, Jugend und Sport, zur Ausstellung eines Plakats am Oberstufenzentrum Dahme-Spreewald gehört in diese Kategorie. Sie ist weniger die Verteidigung eines schulischen Einzelfalls als die Offenlegung eines politischen Selbstverständnisses – eines Verständnisses, in dem staatliche Neutralität offenbar zur Verfügungsmasse geworden ist.

Der Anlass ist schnell erzählt: Im Foyer einer öffentlichen Berufsschule in Königs Wusterhausen wird ein Plakat mit dem Titel „Wenn Nazis online gehen“ ausgestellt. In Wort und Bild wird dabei die AfD in einen unmittelbaren Deutungszusammenhang mit dem Nationalsozialismus gestellt. Nicht als Diskussionsgrundlage, nicht als kontroverser Vergleich, sondern als suggestive Setzung. Präsentiert in einem schulischen Raum, begleitet durch Schulsozialarbeit, legitimiert durch den pädagogischen Rahmen. Die Frage, ob hier die politische Neutralitätspflicht verletzt wurde, ist keine ideologische Zumutung. Sie ist eine Selbstverständlichkeit in einem Rechtsstaat.
Politische Neutralität ist keine Ansichtssache
Steffen Freiberg sieht das anders. In seiner Antwort erklärt er den Vorwurf für unbegründet. Die Ausstellung sei schülerinitiiert, freiwillig, bislang nicht beanstandet. Außerdem – und hier wird es grundsätzlicher – verlange der Beutelsbacher Konsens keine Neutralität gegenüber „verfassungsfeindlichen Tendenzen“. Dieser Satz markiert den eigentlichen Bruch.
Denn was der Minister hier vornimmt, ist keine bloße Bewertung eines Plakats, sondern eine Neujustierung staatlicher Zurückhaltung. Öffentliche Schule erscheint in dieser Lesart nicht mehr als gebundener Raum des Staates, sondern als politisch nutzbare Bühne, solange sich die richtige Haltung dahinter versammelt. Was von Schülern stammt, wird neutralisiert. Was freiwillig ist, entschärft. Was keinen Widerspruch auslöst, legitimiert. Das ist politisch bequem – und rechtlich falsch.
Schulen sind keine neutralen Räume, trotz staatlicher Verantwortung, sondern ihretwegen. Wer schulische Räume öffnet, Inhalte pädagogisch begleitet und ihnen institutionelle Sichtbarkeit verleiht, handelt staatlich. Diese Verantwortung lässt sich nicht an Beteiligungsformate delegieren. Der Staat bleibt Staat – auch dann, wenn er sich pädagogisch verkleidet.
Der Staat bleibt Staat – auch im Klassenzimmer
Besonders aufschlussreich ist der Umgang Steffen Freibergs mit dem Beutelsbacher Konsens. Was einst als Schutzwall gegen politische Überwältigung gedacht war, wird hier zur Rechtfertigungsformel für politische Zuschreibung. Der Konsens verbietet Indoktrination, weil sie Urteilsfähigkeit ersetzt durch moralische Vorentscheidung. Eine staatlich legitimierte Gleichsetzung einer nicht verbotenen Partei mit dem Nationalsozialismus ist genau das: ein vorformuliertes Urteil.
Der Minister argumentiert, Neutralität sei gegenüber „verfassungsfeindlichen Tendenzen“ nicht erforderlich. Doch genau hier verlässt die Argumentation den Boden des Rechtsstaats. Denn nicht Ministerien, Schulsozialarbeiter oder Ausstellungstexte entscheiden darüber, wer verfassungsfeindlich ist, sondern Gerichte. Solange keine Verbotsentscheidung vorliegt, ist staatliche Zurückhaltung keine Option, sondern Pflicht. Alles andere ist keine politische Bildung, sondern staatliche Gesinnungszuschreibung.
Fast schon beiläufig verweist Steffen Freiberg darauf, dass es bislang keine Beschwerden gegeben habe. Als hinge die Geltung rechtsstaatlicher Prinzipien davon ab, ob jemand den Mut oder die Mehrheit hat, sie einzufordern. Neutralität ist kein Mehrheitsvotum. Sie ist ein Ordnungsprinzip.
Wenn Neutralität selektiv wird, wird Bildung zur Parteinahme
Was hier verteidigt wird, ist nicht politische Bildung, sondern ein pädagogischer Aktivismus, der seine eigene Parteilichkeit nicht mehr erkennt. Man hält sich für neutral, weil man sich moralisch im Recht wähnt. Das ist der klassische Irrtum aller Gesinnungspolitik.
Gerade Schulen sollten Orte sein, an denen politische Konflikte offen verhandelt werden – nicht vorentschieden. Wer jungen Menschen Urteilsfähigkeit vermitteln will, darf ihnen das Urteil nicht vorab liefern. Auch – und gerade – dann nicht, wenn es gut gemeint ist.
Wenn politische Neutralität nur noch dort gilt, wo sie niemanden stört, dann ist sie keine mehr. Dann wird aus politischer Bildung eine stille Form staatlicher Parteinahme. Und aus dem Klassenzimmer einen Raum moralischer Etikettierung. Dass dieser Maßstab vom Bildungsminister selbst vertreten wird, ist kein Detail. Es ist ein Warnsignal.





