Freilich #34: Am Weg zur Volkspartei?

„Gesichert rechtsextremistisch“: AfD-Einstufung laut Jurist ohne Rechtsgrundlage

Die Einstufung der gesamten AfD als „gesichert rechtsextremistisch” sorgt seit Wochen für Diskussionen – nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland. Auch unter Juristen wirft die Einstufung Fragen auf.

/
/
3 Minuten Lesezeit
„Gesichert rechtsextremistisch“: AfD-Einstufung laut Jurist ohne Rechtsgrundlage

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die gesamte AfD als „gesichert rechtsextremistische“ Bestrebung eingestuft. Die Partei hat daraufhin Klage eingereicht.

© IMAGO / Bernd Elmenthaler

Berlin. – Die Einstufung der Bundes-AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wirft juristische Fragen auf. Der ehemalige NDR-Chefredakteur und Rechtswissenschaftler Joachim Wagner kritisierte jüngst im Legal Tribune Online (LTO), dass eine gesetzliche Grundlage für eine solche Einstufung fehlt und diese somit rechtswidrig sein könnte. Dabei stützt er sich auf aktuelle sowie frühere Gerichtsurteile und rechtstheoretische Überlegungen.

Keine Kategorie „gesichert extremistisch“

Laut Wagners Analyse ist der zentrale Streitpunkt nicht die inhaltliche Bewertung der AfD-Zitate, sondern ein formeller: Das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) kennt die Kategorie „gesichert rechtsextremistisch“ gar nicht. In der von der Partei eingereichten Klageschrift heißt es, dass § 16 Abs. 1 und 2 BVerfSchG lediglich die Information der Öffentlichkeit über „Bestrebungen und Tätigkeiten“ vorsieht, die „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet (...) sind“, sofern „hinreichend gewichtige Anhaltspunkte“ vorliegen. Die Formulierung erlaubt demnach die Berichterstattung über Verdachtsfälle, eine gesetzliche Grundlage für die Bekanntgabe erwiesener verfassungsfeindlicher Bestrebungen fehlt jedoch.

Trotzdem vertritt das BfV in einem AfD-Gutachten die Auffassung, dass § 16 BVerfSchG sowohl die Verdachts- als auch die Tatsachenberichterstattung gestattet. Dabei stützt es sich auf Urteile des Verwaltungsgerichts Köln, des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts im Zusammenhang mit der Jungen Alternative und dem „Flügel“. Wagner stellt die naheliegende Frage: Wie kann eine Vorschrift, die nur den Verdachtsfall regelt, gleichzeitig als Grundlage für die Kategorie „gesichert extremistisch“ dienen?

Gerichte schufen Fakten, Gesetzgeber zog nach

Ein Blick in die Rechtsprechung zeigt: Bereits 2013 entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), dass die Berichterstattungsbefugnis des Verfassungsschutzes dann greift, wenn das Vorliegen einer verfassungsfeindlichen Bestrebung „tatsächlich feststeht“. Damit bestätigte das Gericht eine bereits etablierte Praxis, denn in den Jahresberichten des Verfassungsschutzes wurden lange nur „gesichert extremistische“ Bestrebungen genannt.

Unklar ist allerdings, woher diese Kategorisierung stammt. Verfassungsschutzexperten wie Prof. Gunter Warg und Dr. Sven Jürgensen vermuten, so Wagner, dass die internen Differenzierungen „Prüffall“, „Verdachtsfall“ und „gesichert extremistisch“ zwar bereits seit Langem existieren, jedoch erst durch Rechtsprechung und Gesetzgeber nachträglich normativ untermauert wurden.

Laut Wagner ist dieses Vorgehen kein Einzelfall. So wurde etwa 1989 das BVerfSchG geändert, um die zuvor illegale Praxis der jährlichen Verfassungsschutzberichte gesetzlich abzusichern. 2013 entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) erneut, dass die Verdachtsberichterstattung ohne gesetzliche Grundlage rechtswidrig sei, woraufhin der Gesetzgeber 2015 nachbesserte. Eine explizite Erwähnung von „gesichert extremistischen“ Bestrebungen blieb dabei jedoch aus. Die Einstufung „gesichert rechtsextremistisch“ sei laut Jürgensen daher bis heute keine „gesetzliche Kategorie“.

Erst-Recht-Schluss als Begründung

Seit der Gesetzesänderung von 2015 wird häufig die Argumentation vorgebracht, dass die Berichterstattung über „gesichert rechtsextremistische“ Bestrebungen durch einen sogenannten Erst-Recht-Schluss gedeckt sei. Wenn das Gesetz eine Bekanntmachung im Verdachtsfall zulasse, müsse dies erst recht für erwiesene Fälle gelten. Diese Argumentation wird von Verwaltungsgerichten und großen Teilen der Rechtswissenschaft geteilt.

Wagner ist jedoch anderer Meinung: Zwei zentrale Argumente sprächen dagegen: der klare Wortlaut des Gesetzes, das diese Kategorie gar nicht kenne, und der sogenannte Gesetzesvorbehalt aus dem Grundgesetz. Demnach müssen alle wesentlichen Regelungen, auch staatliche Bewertungen mit grundrechtlicher Relevanz, ausdrücklich gesetzlich geregelt sein.

Grundrechtseingriff ohne Ermächtigung?

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kann die öffentliche Nennung einer Partei in einem Verfassungsschutzbericht einer „mittelbar belastenden, negativen Sanktion“ gleichkommen, die einen Eingriff in die Grundrechte darstellt. Deshalb benötige die öffentliche Bekanntgabe laut Karsten Brandt vom Bundesinnenministerium eine „einfachgesetzliche Ermächtigung“.

Die AfD sieht sich durch die Hochstufung erheblich geschädigt. In der Klageerwiderung der Kanzlei Höcker heißt es, man wolle der Partei „die Existenzgrundlage entziehen“. Es drohe eine „negative Abschreckungswirkung“, zudem befürchte man einen „nicht wieder gut zu machenden Schaden“ für Wähler, Spender, Interessenten und Mitglieder. Besonders problematisch sei die Wirkung auf Beamte, Soldaten, Richter und Staatsanwälte, da politische Gegner nicht nur ein Parteiverbotsverfahren, sondern auch dienstrechtliche Maßnahmen fordern. Laut Wagner sind diese Effekte ein Beleg dafür, dass die Einstufung der AfD als „gesichert extremistisch“ nach der Rechtsprechung des BVerfG „eigentlich einer eigenständigen Rechtsgrundlage“ bedarf.

Kann FREILICH auf Ihre Unterstützung zählen?

FREILICH steht für mutigen, konservativ-freiheitlichen Journalismus, der in einer zunehmend gleichgeschalteten Medienlandschaft unverzichtbar ist. Wir berichten mutig über Themen, die oft zu kurz kommen, und geben einer konservativen Öffentlichkeit eine starke Stimme. Schon mit einer Spende ab 4 Euro helfen Sie uns, weiterhin kritisch und unabhängig zu arbeiten.

Helfen auch Sie mit, konservativen Journalismus zu stärken. Jeder Beitrag zählt!