Die CDU als Totengräber Deutschlands

In seinem Kommentar für FREILICH bezeichnet Kevin Dorow die CDU als Totengräber der BRD. Gleichzeitig sterben die christlich-demokratischen Parteien in Europa einen langsamen, politischen Tod – verdient, so der Autor. Immerhin hat zumindest die CDU in Deutschland den gesellschaftlichen Linksruck mit all seinen Folgen für die Gesellschaft zu verantworten.

Kommentar von
22.7.2023
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8 Minuten Lesezeit
Die CDU als Totengräber Deutschlands
Kevin Dorow

Groß war der Unmut auf der linken Seite des deutschen Parteienspektrums, als der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz Ende Juni 2023 öffentlichkeitswirksam Bündnis 90/Die Grünen zum „Hauptgegner“ der Christdemokratie erklärte. Die grüne Bundesgeschäftsführerin Emily Büning reagierte in Anbetracht des Zeitpunkts besonders empört, denn „einen Tag, nachdem die AfD eine Landratswahl gewonnen hat“ dürfen „andere demokratische Parteien“ einander nicht zu „Hauptgegnern“ ausrufen – der Bezug zu Sonneberg war natürlich unumgänglich. Anhänger der SPD und FPD witterten ebenso ihre Chance auf moralische Bonuspunkte in ihrem Brandmauer-Demokratenkonto und empörten sich gegenüber Medienvertretern oder ihren Followern in den Sozialen Medien. Viel interessanter als diese erwartbaren Reaktionen sind jedoch die aus der eigenen Partei – denn die wohl wahrnehmbarste Kritik stammte aus der CDU selbst:

„Natürlich ist unser ideologischer Hauptgegner die AfD“, teilte etwa der CDU-Parteivize Andreas Jung gegenüber dem SWR mit. Auch der inzwischen Ex-Generalsekretär Mario Czaja sieht den „politischen Feind“ in denjenigen, welche „die Demokratie bekämpfen wollen“ – mithin ist hiermit natürlich die AfD gemeint. Auch der Schleswig-Holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther – ohnehin bereits Linksausleger innerhalb seiner Partei – lehnte die Aussagen des Herrn Bundesvorsitzenden ab und forderte, „in der Sprache sauber zu sein“. Ein Umstand, der wohl aber auch damit zusammenhängen dürfte, dass Günther selbst in seinem Bundesland eine Koalition mit den Grünen bildet – womit er bundesweit allerdings auch kein Exot ist: In insgesamt sechs Bundesländern stellt die CDU gemeinsam mit der Partei der Habecks, Baerbocks und Roths eine Landesregierung.

Man könnte sich da natürlich nun berechtigterweise die Frage stellen: „Wer würde mit seinem Hauptgegner denn tagein, tagaus auf freiwilliger Basis zusammenarbeiten?“ Eine Frage, die sich mit einem einfachen Wort beantworten lässt: Ein Hochstapler – denn nichts anderes ist die CDU, oder besser gesagt, die Christdemokratie in Deutschland und Europa personifiziert. Sie gibt sich als etwas aus, dass sie nicht ist. Sie ist weder konservativ noch demokratisch oder gar christlich. Doch diese Erscheinung ist keine neue, sondern eine altbewährte – und sie ist Bestandteil der DNS eben jenes politischen Milieus, das sich vorwiegend durch Duckmäusertum, Opportunismus und Anpasseritis auszeichnet. Und wer sich die Wahlprogramme der Grünen sowie CDU in den 80er-Jahren anschaut und diese mit eben jenen aus der vergangenen Bundestagswahl vergleicht, der wird schnell feststellen: Kaum ein parteipolitisches Milieu ist in seiner Programmatik so flexibel wie die Christdemokratie.

Der „Fluch“ einer Volkspartei

Als sich die CDU im Jahre 1945 als eine „Union aller christlich orientierten Kräfte“ zusammenschloss, war das Ziel klar: Man wollte über die eigentliche Parteiklientel der einstigen Zentrums-Partei hinauswirken und somit Katholiken, Reformer und Protestanten ansprechen – zu einem Zeitpunkt, in dem damit bis auf einige wenige Atheisten so gut wie das gesamte Volk gemeint war – mithin als Volkspartei wirken und jede Form von gesellschaftlicher Schicht ansprechen. Eine Volkspartei, die eine möglichst heterogene Masse ansprechen möchte, muss auch selbst personell sowie ideologisch heterogen aufgestellt sein und eine entsprechend große Flexibilität in beiderlei Hinsicht aufweisen können. Positionen müssen binnen kürzester Zeit ausgetauscht werden, um dem Wählerwillen zur nächsten Wahl gerecht zu werden – und sollte inhaltlich gefestigtes Personal sich diesem Prozess sträuben, so muss es gefügig gemacht oder zumindest ruhig gehalten werden. Wer nicht einwilligt, fliegt, wird mit dem Verlust seines Postens bestraft oder gar aus der Partei getrieben. Die Folge ist eine natürliche Selektion der politisch Anpassungsfähigen, der Opportunisten, der Moderaten; und das von Beginn an.

Christentum: Der „Markenkern“ der CDU?

Der Nordrhein-Westfälische CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst selbst sagte im September 2022 in einem Interview mit der FAZ in ungewohnter Ehrlichkeit: „Der Markenkern der CDU war nie das Konservative, sondern das Christliche“ – eine Aussage, mit der jedwede inhaltliche Leere gerechtfertigt werden soll. Denn wie sagte bereits der Historiker Frank Bösch zum 75. Geburtstag der CDU? „Christlich ist ein dehnbarer Begriff“. Dabei ist dieser Begriff trotz seiner umfangreichen Interpretier- und Umsetzbarkeit in der Parteipolitik nicht einmal umstritten:

Nach der Niederlage zur vergangenen Bundestagswahl wurde so durch den Mainzer Geschichtsprofessor Andreas Rödder – Bestandteil eines „Expertenteams“, das zur Aufarbeitung der verlorenen Bundestagswahl 2021 einberufen wurde – vorgeschlagen, die CDU von ihrem „C“ zu bereinigen. Eben jene Person war bereits bei zwei Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz Bestandteil des Schattenkabinetts unter der Spitzenkandidatin Julia Klöckner und zählt amüsanter Weise parteiintern als – da kommt das Stichwort – „Konservativer“. Er selbst sieht das C zwar als „eingeführten Markennamen“, der für viele Parteimitglieder nach wie vor „ein festes Identitätsmerkmal“ darstelle, doch in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft könne das C für Nichtchristen abschreckend wirken, sodass es „gute Gründe für eine Flurbereinigung in der Namensfrage“ gäbe, mit der sich „die CDU sichtbar und im Einklang mit Center-right-Parteien in Europa in der Tradition der westlichen Werte und der Aufklärung verorten könnte.“

Würde die CDU einen solchen Schritt gehen, so stünde sie, wie Rödder selbst bereits anschnitt, dort, wo andere christdemokratische Parteien in der europäischen Parteienlandschaft sich bereits befinden. In der Schweiz haben sich die Mitglieder der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) im Oktober 2020 so auch für den Abschied vom „C“ entschieden. Nach einer Parteifusion lautet der Name der CVP nun ironischerweise sinnbildlich „Die Mitte“. Der Grund hierfür am Rande: Natürlich wie immer die „Erschließung neuer Wählerschichten“.

Protestantismus und weltanschauliche Flexibilität

Und die Debatte hierüber ist nicht einmal eine neue: Die Diskussion, ob die Union nun christlich-konservativ oder doch eher wiederum liberal zu verorten ist, geht bis in die 1960er-Jahre zurück. Bereits hier herrschte eine gewaltige Identitätskrise, die auf den drei Flügeln der Christdemokratie – christlichem Konservatismus, (Neo-)Liberalismus, katholischer Soziallehre – fußte. Schon hier war inhaltliche Flexibilität notwendig und – in der Folge – somit auch eine Personalpolitik, die weltanschaulich gefestigte Individuen dauerhaft benachteiligte. Interessant hierbei ist auch zu erwähnen, dass viele führende CDU-Politiker aus sogenannten „Mischehen“ stammten und als Katholiken häufig protestantische Frauen aufwiesen und umgekehrt – und das zu einem Zeitpunkt, zu dem dies bei Weitem noch nicht üblich war.

Auch im Privaten wiesen Parteivertreter der Union so eine außergewöhnlich stark kompromissbereite Lebenseinstellung auf, die durch weitaus mehr Anpassungsfähigkeit gezeichnet war, als es in der breiten Masse gelebt wurde. Und damit geht eben auch eine gewisse Wandelbarkeit einher, insbesondere durch den protestantischen Einfluss im privaten, aber auch parteipolitischen Umfeld. Denn gerade die protestantische Kirche zeigte über das vergangene Jahrhundert hinweg eine enorme Wandelbarkeit auf: Etliche Protestanten, auch Geistliche, schlossen sich der Friedensbewegungen, den Anti-Atom-Protesten, der sexuellen Liberalisierung und feministischen Bewegungen an. Katholische Soziallehre spielte irgendwo in der Gründungszeit vielleicht einmal eine Rolle – doch der katholisch-traditionalistische Einfluss ist gerade aufgrund seiner geringeren Offenheit gegenüber Wandlung und Anpassung schnell dem protestantischen Einfluss gewichen.

Inhaltsleere als „Neuaufstellung“

Auf ihrer eigenen Netzseite beschreiben die Christdemokraten diese politische Heimatlosigkeit mit Blick auf das 21. Jahrhundert etwa wie folgt: „Unter Wolfgang Schäuble und Angela Merkel hat sich die CDU seit der Jahrtausendwende inhaltlich weiterentwickelt und neu aufgestellt. So gelang es, auf die neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu reagieren.“ Was diese „inhaltliche Weiterentwicklung“ sowie „Neuaufstellung“ in der Realität bedeuten, können wir tagtäglich beobachten: Ein historisch unvergleichbarer Linksruck im medialen, politischen sowie gesellschaftlichen Bereich, der seinesgleichen sucht. Dadurch, dass die einstige als angeblich „konservativ“ bekannte und etablierte Kraft ihr Personal und Programm in gewohnter Manier an den Kurs der abgelösten rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder – inzwischen Persona non grata im politischen Mainstream – angepasst hat, vollendeten sie so das, was die 68er bei ihrem Marsch durch die Institutionen nicht schafften: die endgültige Etablierung linken, antideutschen, neomarxistischen Gedankenguts im gesellschaftlichen Mainstream.

Die CDU war es, die den massiven Ausbau sogenannter „klimafreundlicher“ Technologien wie etwa Windkraft vorantrieb, während gleichzeitig der für die deutsche Energieversorgung katastrophale Atomausstieg beschlossen wurde. Die Energiewende ist ein Kind christdemokratischer Technologie – und jetzt, in bekannter, christdemokratischer Manier, lehnen sie eben jene Maßnahmen in der Opposition ab und stehen just in dem Moment, in dem sie nicht mehr das Kanzleramt besetzen, plötzlich im kompletten Gegensatz zu einer Position, die sie vorher über vier Legislaturperioden hinweg bezogen haben; und schießen in dieser Oppositionsrolle die eigenen Aussagen nach Empfinden des linken polit-medialen Komplexes einmal „zu weit“ über das Ziel hinaus, so wird zügig zurückgerudert; man habe es ja gar nicht so gemeint – Stichwort „Sozialtourismus“. So geht Christdemokratie, und so lässt sie sich in ganz Europa beobachten.

Doch zeitgleich lässt sich auf dem europäischen Kontinent eben auch die letztliche Konsequenz eben jener Wendehalsigkeit beobachten: Die niederländische Christen-Democratisch Appèl, die flämische Christen-Democratisch en Vlaams, die Democrazia Cristiana in Italien, die Österreichische Volkspartei, – sie alle sterben oder starben bereits einen langsamen, politischen Tod. Lediglich diejenigen, die ohne Flexibilität einen tatsächlich nationalkonservativen Kurs fahren, bleiben von politischer Relevanz – die Fidesz in Ungarn ist hierfür das Idealbeispiel, die PiS in Polen sei auch genannt.

Posten über Position

Mit dem im Jahre 1987 durch Franz-Josef Strauß geformten Grundsatz, rechts der Union dürfe es keine „demokratisch legitimierte Kraft geben“, wurde der in CDU und CSU gelebte Parteienopportunismus unvergleichbar präzise auf einen Satz heruntergebrochen. Der Fokus lag weniger darauf, die Überzeugung von eigenen Parteizielen in den Vordergrund zu stellen, sondern vielmehr die eigene Machterhaltung. „Posten über Position“ ist die Devise, mit der die Christdemokratie sich über Jahrzehnte hinweg in Deutschland behaupten konnte.

51 von 74 Jahren führte die Union die Bundesregierung – wer sich in Anbetracht dieser Tatsache die „guten alten Zeiten“ unter der Union eines Adenauers, Kohls oder Franz-Josef Strauß zurücksehnt, belügt sich selbst und verkennt, dass die hiesigen Zustände zu einem gewaltigen Anteil auf das Konto der Christdemokratie gehen. Sie haben den gesellschaftlichen Linksruck ermöglicht, immer wieder sogar begünstigt und hierfür zu keinem Zeitpunkt Reue gezeigt. Die zuvor bereits genannte Energiewende ist nur ein kleiner Ausschnitt des großen Trugbildes der Christdemokratie: Die gleichgeschlechtliche Ehe, explodierte Abtreibungszahlen, Hormontherapien und Geschlechtsumwandlungen für Minderjährige, die Aussetzung der Wehrpflicht, der aktive Austausch des eigenen Volkes durch gesteuerte Massenmigration, die Förderung linksextremer Vereine unter dem Deckmantel „zivilgesellschaftlicher Organisationen“, die zu einem europaweit unvergleichbar starken linken Mosaik geführt haben – sie alle sind das Ergebnis christdemokratischer Politik.

Das Ende der Christdemokratie als Chance

Und selbst, wenn wir noch weiter in die Vergangenheit blicken: Die großen Ergebnisse der vergangenen Jahrzehnte, für die sich die Christdemokratie in Deutschland verantwortlich zeigt, sind die Währungsreform, die soziale Marktwirtschaft, die Westbindung, die Wiederbewaffnung und das „Ja“ zur bundesrepublikanischen Teilstaatlichkeit. Keine einzige dieser „Errungenschaften“ ist konservativ – vielmehr progressiv, vielleicht sogar revolutionär. Die Union war nie skeptisch gegenüber vermeintlichem Fortschritt – ganz im Gegenteil. Es ging immer nur darum, die überwiegend instinktiv rechts handelnde und denkende Bevölkerung durch Stammtischparolen und Augenwischerei außerhalb des urbanen Milieus anzusprechen.

Die Union ist nicht konservativ, war es nie und wird es auch niemals werden. Wer tatsächlich darauf setzt, durch sein Kreuz bei einer Wahl wirklich Erhaltenswertes zu erhalten, ist bei den Christdemokraten an der falschen Stelle. Volk, Natur, Heimat, deutsche Werte wie Fleiß, Pünktlichkeit, Aufopferungsbereitschaft – all das ist für den opportunen Christdemokraten, also dem, der es tatsächlich schafft, sich bis an die Spitze der Landes- und Bundespartei zu kämpfen, nur Mittel zum Zweck. Die zutiefst undemokratische und unchristliche Christdemokratie hat ihren Zenit schon längst überschritten – und Deutschland, ja ganz Europa, können über diese Entwicklung froh sein. Denn in dem Moment, in dem eben jene Werte nicht mehr durch positionslose Opportunisten vertreten werden, sondern durch Überzeugungstäter, die mit Leib und Seele Politik im Auftrag ihres Volkes ausüben, kann es mit unserem Land wirklich wieder bergauf gehen.


Zur Person:

Kevin Dorow wurde 1998 in Norddeutschland geboren. Er absolvierte ein Volontariat bei der Verlagsgruppe Lesen & Schenken und schreibt seitdem für verschiedene konservative Publikationen. Politisch engagiert er sich in der AfD.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.