Chatkontrolle durch die Hintertür: EU will „freiwillig“ mitlesen
Die neue EU-Linie zur Chatkontrolle verzichtet zwar vorerst auf eine Pflichtüberwachung, schafft aber Strukturen, die den Weg für eine umfassende digitale Kontrolle ebnen könnten. Bürgerrechtler und politische Kritiker warnen.
Obwohl Messenger-Dienste vorerst keine verpflichtende Überwachung durchführen müssen, schlagen Experten und Kritiker wegen der EU-Pläne Alarm.
© IMAGO / MiSBrüssel. – Nach jahrelangem Hin und Her haben die EU-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Linie zur sogenannten Chatkontrolle beschlossen. Die ursprünglich geplante Pflicht zur systematischen Durchsuchung privater Nachrichten ist damit vorerst vom Tisch. Dienste wie WhatsApp oder Signal sind demnach nicht dazu verpflichtet, Chats automatisiert nach Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs zu durchsuchen – ein Punkt, an dem insbesondere die deutsche Bundesregierung festgehalten hatte.

Der Rat der Mitgliedstaaten setzt stattdessen auf ein freiwilliges Vorgehen der Anbieter. Die bislang zeitlich begrenzte Ausnahmeregelung, die Plattformen trotz strenger Datenschutzauflagen das Scannen bestimmter Inhalte erlaubt, soll dauerhaft gelten. Drei Jahre nach Inkrafttreten soll die EU-Kommission evaluieren, ob schärfere Regeln notwendig sind.
Freiwillige Maßnahmen und Schutzvorgaben
Auch ohne eine verpflichtende Scanpflicht sollen Messenger und Plattformen stärker gegen Missbrauchsdarstellungen vorgehen. Vorgesehen ist, dass Anbieter Risiken für Minderjährige identifizieren und reduzieren müssen. Dazu gehört auch, Altersangaben nachweisbar zu prüfen und Altersgrenzen durchzusetzen. Ergänzend plant die EU die Einrichtung eines eigenen Zentrums zur Bekämpfung sexuellen Kindesmissbrauchs im Netz. Dieses soll eng mit nationalen Behörden und Plattformen kooperieren.
Nun beginnen mit der Positionierung des Rates die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament. Erst wenn sich beide Institutionen einigen, kann der Rechtsakt in Kraft treten. Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission stammt aus dem Jahr 2022.
Experten warnen vor Verlust der Anonymität
Bürgerrechtsorganisationen begrüßen zwar, dass keine verpflichtende Chatkontrolle eingeführt wird, sie kritisieren jedoch auch die freiwilligen Maßnahmen. Ein Sprecher der Organisation Digitalcourage betonte, dass auch freiwillige Kontrollen ein tiefgreifender Eingriff in die Privatsphäre und nicht zu rechtfertigen seien. Zudem gefährde die geplante Überprüfung von Altersgrenzen die grundsätzliche Möglichkeit, sich im Netz anonym zu bewegen. In einem Brief hatten Forscher aus mehreren EU-Ländern die Mitgliedstaaten ebenfalls vor den geplanten Maßnahmen gewarnt.
Auch andere Kritiker betrachten die jüngste Einigung als weiteren Schritt in Richtung Überwachungsstaat. Sie argumentieren, die EU verfolge eine Strategie der kleinen Schritte: Erst werde nur wenig umgesetzt und sobald man sich daran gewöhnt habe, folge die vollständige Kontrolle.
FPÖ sieht gefährliches Überwachungsinstrument
Auch von der FPÖ kommt massive Kritik. Die freiheitliche EU-Abgeordnete Petra Steger spricht von einem gefährlichen Kompromiss. „Was der Rat der EU hier ausgehandelt hat, ist und bleibt hochgefährlich.“ Die geplante Verordnung ermögliche weiterhin Eingriffe, „die in einer Demokratie absolut nichts verloren haben“, so die Abgeordnete in einer Presseaussendung.
Steger verweist darauf, dass selbst der Europäische Datenschutzbeauftragte die freiwillige Chatkontrolle strikt ablehnt: „Und das völlig zu Recht. Eine ‚freiwillige‘ Massenüberwachung ist genauso verfassungswidrig wie eine verpflichtende. Die EU-Kommission konnte bis heute nicht belegen, dass diese Maßnahmen verhältnismäßig oder überhaupt wirksam wären.“
Pflicht zur Altersverifikation als Gefahr
Steger sieht die geplante Pflicht zur Altersprüfung für Online-Dienste besonders kritisch: „Diese Altersprüfpflicht führt zwangsläufig zu einem umfassenden Identitätszwang im Netz. Experten sprechen von einem ‚inhärenten Risiko schwerwiegender Datenschutzverletzungen und Diskriminierung‘ – und sie haben recht. Die Konsequenz wäre nichts anderes als die weitgehende Abschaffung der Anonymität im Internet.“ Zudem ermögliche der Entwurf künftig Netzsperren auf behördliche Anordnung. Steger bezeichnet dies als Angriff auf die Informationsfreiheit: „Das ist Zensur durch die Hintertür. Solche Methoden kennt man aus autoritären Staaten – und jetzt sollen sie in der EU salonfähig werden? Das ist völlig inakzeptabel.“
Die FPÖ-Abgeordnete sieht darin einen weiteren Schritt hin zu einem europäischen Überwachungsapparat und verweist auf bereits bestehende Regulierungen, wie den Digital Services Act. „Dieser Kompromiss ist kein Sieg für die Bürgerrechte – er ist ein Sieg für Überwachungsbefürworter“, so Steger. Die EU müsse endlich begreifen, dass Bürgerrechte „nicht verhandelbar“ seien.




