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Bischof Heße: Mit „Wir schaffen das“ verhinderte Merkel „humanitäre Katastrophe“

Zehn Jahre nach der Migrationskrise stellt sich Erzbischof Stefan Heße demonstrativ hinter Angela Merkel. Ihr berühmter Satz „Wir schaffen das“ sei richtig gewesen und habe eine „humanitäre Katastrophe“ verhindert.

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Bischof Heße: Mit „Wir schaffen das“ verhinderte Merkel „humanitäre Katastrophe“

Den Satz „Wir schaffen das“ von Angela Merkel hörte und höre Heße „weiterhin als Ermutigung für Geflüchtete und Helfer“.

© IMAGO / BREUEL-BILD

Hamburg. – Zehn Jahre nach dem Höhepunkt der Migrationskrise stellt sich der Hamburger Erzbischof Stefan Heße erneut hinter die damalige Entscheidung von Angela Merkel. Der Satz „Wir schaffen das“, so Heße, sei 2015 gefallen, als die Zahl der aus Syrien, dem Irak und Afghanistan kommenden Menschen stark anstieg. Internationale Flüchtlingsorganisationen seien damals mit der Versorgung überfordert gewesen, erklärt er im Gespräch mit der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA).

„Ich hörte und höre den Satz weiterhin als Ermutigung für Geflüchtete und Helfer“, erklärte der Sonderbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen. „Hätte Merkel gesagt: 'Das geht alles gar nicht', wären die Flüchtlinge wohl in eine viel größere humanitäre Katastrophe hineingeschlittert.“ Der Satz sei zukunftsgerichtet gewesen und habe viele zum Handeln motiviert.

„Es gab gar keine andere Chance“

Die Entscheidung Merkels, die Grenzen offenzuhalten, sei richtig gewesen. „Es gab gar keine andere Chance, daher war es richtig“, so Heße. Die eigentliche Herausforderung liege jedoch darin, dass sich einige Länder abschotten würden. „Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Asylsystem, um die Herausforderung von Flucht und Migration zu bewältigen.“

In der Bilanz der vergangenen zehn Jahre sieht der Erzbischof große Fortschritte. „Viele 2015 geflüchtete Menschen sind gut integriert. Sie haben Arbeit gefunden, etwa im Gesundheitsbereich oder beispielsweise als Busfahrer.“ Der Syrienkrieg habe sogar konkrete Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt gehabt: „Als Assad im vergangenen Jahr gestürzt wurde, fürchteten viele Betreiber von Altenheimen, dass nun alle Syrer wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Viele Einrichtungen hätten damit ihre Pflegekräfte verloren und ihren Betrieb einstellen müssen.“

„Hunderttausende aus Syrien sind eingebürgert worden und Teil unserer Gesellschaft und unserer Arbeitswelt“, betonte Heße. „Merkels Satz sollte deshalb nicht schlechtgeredet werden. Wir haben sicher nicht alles geschafft. Aber wir haben viel geschafft, und das verdient Anerkennung.“

Kritik an deutscher Migrationswende

Heße kritisierte den aktuellen Kurs der Bundesregierung deutlich. „Migration ist und bleibt eine Herausforderung. Das möchte ich nicht kleinreden“. Aber eine aufgeheizte Debatte und „populistische Scheinlösungen“ helfe nicht weiter. Er plädiert stattdessen für gemeinsame, pragmatische Lösungen in Europa. „Ein wesentlicher Aspekt ist dabei, eine gerechte und faire Verteilung zu erreichen.“

Zur Aussetzung des Familiennachzugs äußerte er sich konkret: „Insbesondere die Aussetzung des Familiennachzugs halte ich für problematisch, weil gerade dieser die Integration fördert. Wenn Menschen zusammenstehen in ihren familiären Beziehungen, ist das für sie bestärkend.“

Heße bewertet auch die Aussetzung weiterer Aufnahmeprogramme, etwa für afghanische Ortskräfte, kritisch. Diese Programme seien wichtig, da sie sichere und legale Wege der Migration ermöglichen. Positiv bewertet er hingegen, dass der Koalitionsvertrag Deutschland als Einwanderungsland anerkennt und das Asylrecht festschreibt.

„Kirche muss an Seite der Schwachen stehen“

Auf den Vorwurf, die Kirchenrufe zur Aufnahme von Migranten würden zur Überforderung von Kommunen beitragen, reagiert Heße selbstbewusst: „Ich finde es richtig, dass die Kirche an der Seite dieser Menschen steht. Die Kirche muss sich immer an die Seite der Schwachen stellen.“ Auch die evangelische Kirche und andere zivilgesellschaftliche Akteure leisteten viel. „Wir versuchen, das, was wir fordern, auch selbst umzusetzen.“

Zur im Jahr 2023 beschlossenen EU-Asylreform äußerte sich der Geistliche ambivalent. „Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, die beschlossen wurde und die die Mitgliedsstaaten nun umsetzen müssen, ist ein lang ausgehandelter Kompromiss. Dieser ist erst einmal zu würdigen.“ Doch es gebe auch Schattenseiten: „Schwierig finde ich, dass künftig sogenannte Screening-Verfahren an den Außengrenzen stattfinden sollen und dass dazu haftähnliche Aufnahmelager entstehen sollen.“ Die Menschen müssten sich frei bewegen und wichtige Einrichtungen in der Nähe erreichen können.

Migration weiterhin als große Herausforderung

Mit Blick auf die Zukunft zeigte sich Heße überzeugt, dass das Thema Migration an Relevanz gewinnen wird. „Die Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre zeigen mir, dass Flucht und Migration in Zukunft noch zunehmen werden.“ Er verwies dabei auf die steigende Zahl internationaler Konflikte und den Klimawandel: „Hinzukommt Migration, die durch den Klimawandel bedingt ist. Da sehen wir gerade erst die Anfänge. Migration wird vielleicht neben dem Klimawandel die größte Herausforderung der Menschheit werden. Daran dürfen die Gesellschaft und auch die Kirche nicht vorbeischauen.“

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