AfD-NRW-Chef Martin Vincentz: „Bürgermeister im Westen sind nur noch eine Frage der Zeit“
Bei den Kommunalwahlen in NRW hat sich die AfD verdreifacht und sieht in den Ergebnissen ein Signal für ihre wachsende Stärke im Westen. Im FREILICH-Interview betont Vincentz, dass Bürgermeisterposten für die AfD im Westen bald Realität sein werden.
AfD-NRW-Landeschef Dr. Martin Vincentz.
© AfD NRWFREILICH: Herr Vincentz, wie bewerten Sie das Abschneiden der AfD bei den Kommunalwahlen in NRW, insbesondere bei den Stichwahlen am letzten Sonntag? Erwartung erfüllt, Enttäuschung oder etwas dazwischen?
Martin Vincentz: „Licht und Schatten“ – das ist die typische Politikerantwort auf diese Frage. Ich persönlich empfände es als schlimm, wenn wir eine Wahl mit „Erwartung erfüllt“ abschließen müssten, weil das nur zeigen würde, dass unsere Erwartungen zu niedrig gewesen wären.
Wir haben uns als AfD NRW insgesamt verdreifacht, stellen künftig rund 1.800 kommunale Vertreter und haben es erstmals in mehrere Stichwahlen geschafft. Das ist ein wichtiger Schritt und wir nehmen es demütig zur Kenntnis, aber wir wollen uns nicht darauf ausruhen.
In einigen Städten, etwa in Gelsenkirchen, Hagen oder Duisburg, haben AfD-Kandidaten die Stichwahlen verloren. Welche Ursachen sehen Sie dafür – in strategischer, personeller oder inhaltlicher Hinsicht?
Weder noch. „Ändern Sie nicht Ihre Meinung, ändern Sie die Politik“ – das war eines der Gründungsmottos der Alternative für Deutschland. Unser Programm ist ebenso belastbar wie unsere Mitglieder und ihre Art, Politik zu machen. Das trifft besonders auf unsere OB-Kandidaten zu. Mit Norbert Emmerich, Michael Eiche und Carsten Groß hatten wir absolut patente Kandidaten – das mussten selbst unsere Gegner anerkennen.
Die anderen Parteien haben am Sonntag bei den Stichwahlen Pyrrhussiege errungen. Die immer absurderen Bündnisse, deren einziger Programmpunkt „alle gegen die AfD“ lautet, werden uns noch schneller noch stärker machen. CDU- und FDP-Wähler werden sich in Stichwahlsituationen zunehmend für die AfD entscheiden – ungeachtet dessen, was Hendrik Wüst oder Henning Höne gern hätten. Auf Dauer wird sich die Basis dieser Parteien nicht befehlen lassen, gegen das eigene Programm zu stimmen, nur um SPD- und Grünen-Kandidaten ins Amt zu hieven.
„Alle gegen die AfD“ ist keine Strategie, sondern eine Masche, die ein Verfallsdatum hat – vielerorts die nächste Kommunalwahl.
Wo lagen Ihre Stärken und Schwächen beim Aktivieren Ihrer Wählerschaft? In welchen Bevölkerungssegmenten konnte die AfD mobilisieren und in welchen nicht?
Die SPD-Hochburgen im Ruhrgebiet fallen zunehmend an die AfD, auf dem Land geraten CDU-Bastionen ins Wanken, und sogar in den grünen Metropolen legten wir teils kräftig zu. Gleichzeitig bleiben die Milieubezüge bei CDU und SPD stark. Anders als in weiten Teilen Ostdeutschlands gibt es bei uns aufgrund der längeren schwarzen und roten Geschichte eine viel stärkere Parteienbindung. Das geht natürlich Hand in Hand mit der demografischen Entwicklung.
Man kann es finden, wie man möchte, aber Fakt ist: Das Wahlergebnis der AfD wird überall in Deutschland vor allem von der Generation im Alter von 60 Jahren und älter geprägt. Da ist die Datenlage eindeutig. Bekanntlich gibt es allein mehr wahlberechtigte Frauen, die 70 Jahre oder älter sind, als U30-Wähler insgesamt. Heißt: Wahlentscheidend sind vielfach genau die Alterskohorten, die in Westdeutschland und insbesondere in NRW traditionell stark CDU und SPD anhängen. In vielen Familien gibt es regelrechte „Dynastien“ von CDU- oder SPD-Generationen.
AfD-Mitglieder und AfD-Wähler sind anders. Wir sind ein politisches Start-up. Keiner wählt AfD, weil Oma und Opa das auch schon gemacht haben oder weil die AfD in meinem Dorf nur sekundär Partei und primär Karrierenetzwerk ist. Nein. Wer AfD wählt und Mitglied wird, tut es aus Überzeugung. Es ist eine aktive Entscheidung. Und das sieht man:
In den nordrhein-westfälischen Innenstädten konnte man oft beobachten, dass AfD-Infostände stark besucht und die der anderen Parteien regelrecht verwaist waren. Mit einem Bruchteil der Mittel, aber einem Vielfachen an Einsatz haben unsere AfD-Mitglieder im Wahlkampf Unglaubliches geleistet. Das hat man erst jüngst in den Stichwahlen gesehen. Hier haben wir über unseren internen Rundbrief alle Mitglieder aufgerufen, den Stichwahlkreisen zu helfen. Die Resonanz war unglaublich. Teilweise sind die Menschen enorme Entfernungen gefahren, um morgens um vier Uhr vor der Arbeit zu flyern.
Man sieht immer wieder: CDU und SPD kämpfen um Mandate, wir für unsere Heimat.
Welche Lehren ziehen Sie für die zukünftige Ausrichtung der AfD NRW – inhaltlich, organisatorisch und kommunikativ – aus den Ergebnissen dieser Wahlen?
Ich erinnere mich gut an Zeiten, in denen man darum kämpfen musste, von einer künftigen AfD-Regierung auch nur zu sprechen. Es war unvorstellbar – selbst und gerade für AfD-Mitglieder. Formulierungen wie „Eine AfD-Regierung wird …“ wurden als unrealistisch, ja als verrückt abgetan.
Selbiges nach der enttäuschenden Landtagswahl 2022, bei der wir mit wenigen Tausend Stimmen über der Fünf-Prozent-Marke gerade noch den Wiedereinzug schafften. Ich formulierte kurz danach das Ziel, dass wir in absehbarer Zeit zweistellig werden müssen – zweistellig in NRW, das schien undenkbar.
Nun haben die Stichwahlen ein weiteres vermeintliches Tabu abgeräumt: AfD-Bürgermeister im Westen sind nicht mehr undenkbar, sondern nur noch eine Frage der Zeit. Die AfD ist eine starke Marke und hat ein ausgezeichnetes Programm. Unsere Hauptaufgabe in den nächsten Jahren wird es sein, das rasante Wachstum zu gestalten. Das hat abstraktere Dimensionen wie die Professionalisierung unserer Kommunikation in vielen Details, die Skalierung von Strukturen, aber auch ganz konkrete wie den flächendeckenden Wahlantritt zur nächsten Kommunalwahl.
Zwar stehen auch FDP und Grüne, die mehr Mitglieder zählen, vor vergleichbaren Herausforderungen, die enorme Masse an Kandidaten zu stellen, die für einen flächendeckenden Wahlantritt nötig sind, doch sie sollten nicht unser Maßstab sein. Da wir die Zahl unserer Mitglieder seit 2022 mehr als verdoppeln konnten und nach wie vor rund zweieinhalbtausend Anträge in Prüfung sind, bin ich jedoch zuversichtlich, dass wir dieses Ziel erreichen werden.
Das Abschneiden der AfD in NRW bei Kommunalwahlen und Stichwahlen wird vielfach als Indikator für ihre Entwicklung im Westen Deutschlands gesehen. Welche Lehren ziehen Sie für die Rolle der AfD in Nordrhein-Westfalen im Bundeskontext?
Als bevölkerungsreichstes Bundesland haben Kommunalwahlen in NRW natürlich Strahlkraft. Wenn NRW hustet, bebt Deutschland – allein schon aufgrund seiner Größe.
Dabei ist und bleibt NRW zumindest auf unmittelbar absehbare Zeit – auch aus den oben genannten Gründen – für die AfD ein schwieriges Terrain. Natürlich gibt es auch generelle Unterschiede zwischen Ost und West. Ich finde es aber wichtig, dass wir uns nicht spalten lassen und damit das Spiel der Gegenseite betreiben. Wir heißen nicht Alternative für Westdeutschland oder Alternative für Ostdeutschland, sondern Alternative für Deutschland. Jedes Bundesland hat einen eigenen Charakter und braucht eine eigene Ansprache.
Unter Berücksichtigung der Wahlergebnisse: Welche konkreten Ziele setzen Sie sich für die nächste Kommunalwahl, die nächste Landtagswahl oder sogar für den Bundestagswahlkampf? Und wie wollen Sie diese Ziele erreichen?
Die Kommunalwahl in NRW war auch eine Volksabstimmung über die Landes- und Bundespolitik. Den anderen Parteien ist das sehr bewusst, auch wenn sie mantraartig das Gegenteil behaupteten. CDU und SPD haben ihre historisch schlechtesten Ergebnisse eingefahren. Sowohl im Konrad-Adenauer- als auch im Willy-Brandt-Haus werden die Lichter abends länger an geblieben sein.
Regulär wäre der nächste Wahltermin für NRW die Landtagswahl 2027. Angesichts der aktuellen Entwicklung muss man jedoch inzwischen die Frage stellen, ob das unselige Merz-Kabinett das kommende Jahr politisch überlebt oder ob Deutschland schon bald erneut wählt.
In jedem Fall ist die Signalwirkung der NRW-Kommunalwahlen enorm: Wir haben bewiesen, dass wir bereit für mehr Verantwortung sind und sich die Wähler in Nordrhein-Westfalen genau das wünschen: mehr AfD.
Dabei muss man auch bedenken: Dass sich insbesondere linke Medien darüber freuen, dass das Kommunalwahlergebnis leicht unter dem Ergebnis der Bundestagswahl lag, zeigt, dass sie Politik nicht verstanden haben. Jeder Politikwissenschaftler weiß: AfD-Ergebnisse liegen überall, sowohl in West- als auch in Ostdeutschland, bei Kommunalwahlen unter dem Bundestags- bzw. Landtagsschnitt. Dass wir so stark abgeschnitten haben, wie wir es haben, deutet bereits darauf hin, dass wir in Bund und Land sehr robuste Ergebnisse einfahren werden.
Mein ganz persönliches Ziel? 2027 bei der Landtagswahl die Räumlichkeiten der SPD übernehmen.
Herr Vincentz, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Dr. Martin Vincentz ist ein deutscher AfD-Politiker und Arzt. Seit 2017 ist er Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen für die AfD. Seit Februar 2022 ist er Landesvorsitzender der AfD Nordrhein-Westfalen und seit Mai 2022 Vorsitzender der AfD-Landtagsfraktion.