Zwischen Haltung und Not: Parteien und ihre Stellung zu Russland

Bundestag (Symbolbild)
© PixabayDer Krieg in der Ukraine bringt die Bundesrepublik mit ihren vielen wirtschaftlichen und politischen Verbindungen in eine missliche Lage. Der Umgang mit der Situation ist eine anhaltende Diskussion. Die Parteien nehmen dabei unterschiedliche Positionen ein.
Berlin. – Die aktuelle Lage in Osteuropa hat frischen Wind in den Bundestag gebracht. Der Ukraine-Krieg spaltet die deutsche Parteienlandschaft – vor allem die Grünen nehmen dabei gewisse Extrempositionen ein. Wenn nötig, versorge man die Ukraine noch jahrelang mit schweren Waffen, erklärte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Für sie ist die Bedeutung des Konflikts klar: „Die Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit, unsere Friedensordnung […].“ Es ist eine der klarsten und offensivsten Bekenntnisse zur Unterstützung der Regierung Selenskyj. Sie verteidigte auch das erklärte Ziel des ukrainischen Militärstabes, die seit 2014 annektierte Halbinsel Krim wieder dem ukrainischen Staatsgebiet zuzuführen. Baerbock warf dem russischen Präsidenten in einem Interview mit der Bild am Sonntag vor, dass dieser mit einem „Energiekrieg“ Europa zu spalten versuche. Weiterhin lehnte die Ministerin alle Vorschläge zur Öffnung der Pipelines Nord Stream 2 ab.
Einen „schnellstmöglichen Waffenstillstand“ fordern indes Teile der SPD und düpieren damit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die übrigen Koalitionsparteien. Scholz hatte bereits in der Vergangenheit einen russischen „Diktatfrieden“ abgelehnt, doch bringt diesen die unklare Stellung seiner Partei gegenüber Russland doch in Erklärungsnot. Er selbst wurde zuletzt von Medienkreisen aufgrund seines Kurses kritisiert. Welt-Redakteur Christoph Schlitz betonte: „Kanzler Scholz hat die Ukraine verraten“, bekam hierfür jedoch auch eine Menge Kritik und Zuspruch im Netz.
SPD-Aufruf verstimmt Koalitionspartner
CDU-Politiker Norbert Röttgen formulierte etwa auf Twitter: „Während in der SPD Forderungen nach Friedensverhandlungen aufgestellt werden, mobilisiert Putin weiter Soldaten und Material, um die Ukraine auszulöschen.“ Die Grünen-Abgeordnete Sara Nanni warf den Sozialdemokraten vor, mit ihren Forderungen die „Zerstörung“ der ukrainischen Gesellschaft zu befeuern. Hier zeigt sich ein Riss innerhalb der Regierung: Während Teile der SPD eher vermittelnd und abbremsend auf die aktuellen Entwicklungen wirken möchten, wollen die Grünen weiter eskalieren. Unterstützung erhalten sie dabei von der Union, deren außenpolitischer Kurs mit wenigen Ausnahmen dem der Grünen ähnelt.
Entgegen dieser vermeintlich klaren Linie in der deutschen Polit-Landschaft ist besonders in den sogenannten „Neuen Bundesländern“ eine deutliche Mehrheit für die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu Russland. Laut einer MDR-Umfrage gehen zwar 96 Prozent der Befragten von einer „nachhaltigen Störung“ der internationalen Beziehungen aus, jedoch verurteilten über 50 Prozent die vorhandenen Sanktionen gegen Russland. Ministerpräsident Kretschmer (CDU) kritisierte eine „Verengung“ der diplomatischen Möglichkeiten und forderte einen Waffenstillstand zur Aufnahme von Friedensgesprächen. Dafür wurde er vom ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk per Twitter-Kommentar für einen Besuch der Ukraine ausgeladen: „Sie sind unerwünscht.“ Kretschmer wird von seinen Kritikern Unehrlichkeit vorgeworfen, er habe in der Vergangenheit immer wieder Verhältnisse im Bund kritisiert, die er in Sachsen vorlebte. Beobachter vermuten in diesem Handeln eine Strategie, um Wähler der AfD zu gewinnen.
Diplomatische Lösung kein Tabuthema
Die AfD zeigt sich derweil gewissermaßen neutral. Sie lehnt den kriegerischen Kurs der Grünen und Union ab und forderte wiederholt diplomatische Gespräche zwischen den Kriegsparteien. Der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke sprach sich im Sommerinterview für die Öffnung der Ostseepipeline Nord Stream 2 aus und verwies auf die guten deutsch-russischen Beziehungen auf dem Energiemarkt in der Vergangenheit. Einige vereinzelte Stimmen aus dem Westen sehen diesen oft als „pro-russisch“ bezeichneten Weg als falsch an, jedoch agierte die Partei bisher geschlossen – zumindest, wenn man das Abstimmungsverhalten im Bundestag betrachtet. So stimmten nur vier der insgesamt 80 Mann starken AfD-Fraktion im April für den Gesetzesentwurf „Frieden und Freiheit in Europa verteidigen – Umfassende Unterstützung für die Ukraine“.
Im Zuge der Landtagswahlen in Niedersachsen formulierte AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla zur Sache: „Die Bundesregierung ruiniert mit ihrem Wirtschaftskrieg gegen Russland unser Land. Der Gaspreis ist vervierzehnfacht, der Strompreis um 2.000 Prozent gestiegen. […] Deutschland hat eine Alternative. Einzig die AfD kämpft für Bürger und Unternehmen. Mit unserer deutschlandweiten Kampagne ‚Unser Land zuerst!‘ werden wir den Protest auf die Straße bringen. Wir geben dem bürgerlichen Protest eine Stimme.“
FDP und Linke farblos
Linkspartei und FDP konnten bisher in der ganzen Diskussion nur wenige eigene Akzente setzen. So forderte die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann vor kurzem das deutsche Volk zur „Opferbereitschaft“ auf, jedoch konnten die Liberalen bis jetzt nicht aus dem Schatten ihres grünen Koalitionspartners heraustreten. Zu sehr dominieren die Grünen die aktuellen außenpolitischen Diskussionen. Die Linken stehen vor demselben Problem wie die AfD, denn ein Teil der Partei sieht Putin kritisch, während ein anderer Teil eher zur Parteinahme auf Seite der Russen neigt. Dieser Konflikt sorgte auf dem letzten Parteitag für einigen Streit und konnte schließlich auch moderiert werden. Beobachter zweifeln jedoch an der Nachhaltigkeit dieser Lösung. Zu unterschiedlich sind die vielen Interessen mittlerweile in der Partei, zu schlecht ist die aktuelle Verfassung der Partei nach der letzten desaströsen Wahlniederlage, die fast den Wiedereinzug in den Bundestag kostete.
Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, inwiefern die Parteien ihre eigenen Positionen und parteiinternen Konflikte lösen werden. Heikel könnte hierbei die Landtagswahl in Niedersachsen sein: Sollte der amtierende SPD-Ministerpräsident Stephan Weil abgewählt werden, würde das den Druck auf Scholz erhöhen. Zudem würde der Hamburger mit dem Hannoveraner einen wichtigen Verbündeten im internen Machtgefüge verlieren. Weitere Wahlniederlagen bei den nächsten Landtagswahlen 2023 in Bremen, Hessen und Bayern könnten die SPD ins Rutschen bringen. Auch die AfD muss in Niedersachsen zittern, denn ein Wiedereinzug scheint aktuell keine sichere Sache zu sein.