Staatsrechtler: Wahlausschüsse in Thüringen nicht mehr existent
Ein Obergutachten des Staatsrechtlers Michael Elicker stellt klar: Die Richter- und Staatsanwaltswahlausschüsse in Thüringen existieren seit der Landtagswahl 2024 nicht mehr.
Das Gutachten von Elicker (Mitte) wurde am Mittwoch im Thüringer Landtag vorgestellt.
© IMAGO / Funke Foto ServicesErfurt. – In Erfurt hat die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag ein von ihr in Auftrag gegebenes Obergutachten zur Rechtmäßigkeit der Richter- und Staatsanwaltswahlausschüsse vorgestellt. Das von dem Staatsrechtler Michael Elicker erstellte Gutachten kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Nach der Landtagswahl vom 1. September 2024 existieren die Gremien rechtlich nicht mehr.
Elicker bewertet die bisherige Annahme, die Ausschüsse könnten bis zu einer Neubesetzung weiterarbeiten, als unzulässige Konstruktion. Auch die vom Justizministerium in Auftrag gegebene Vorprüfung durch Michael Brenner sei rechtlich nicht tragfähig.
Diskontinuität als zentrales Verfassungsprinzip
Im Zentrum der Argumentation steht der Grundsatz der Diskontinuität. Demnach enden mit dem Ende einer Wahlperiode nicht nur die Mandate der Abgeordneten, sondern auch die von ihnen besetzten Ausschüsse. Eine Verlängerung durch ein einfaches Gesetz ist demnach ausgeschlossen.
In seinem Gutachten betont Elicker, dass Ausschüsse des Landtags zwar als Institution nach Ablauf der Wahlperiode abstrakt fortbestehen könnten, jedoch nur als „Hülle“, die vom neuen Parlament zwingend neu zu besetzen sei.
Kritik am Justizministerium
Das Gutachten setzt sich besonders scharf mit der These auseinander, die Ausschüsse könnten in einer Art „Übergangszeit“ handlungsfähig bleiben. Eine solche Lösung bezeichnet Elicker als demokratietheoretisch nicht haltbar. Übergangsmodelle ohne demokratische Legitimation seien „dilatorische Formeln“, wie man sie aus autoritären Systemen kenne. Die Folge: Sowohl der Richterwahlausschuss als auch der Staatsanwaltswahlausschuss seien aktuell nicht beschlussfähig. Ihre Tätigkeit stelle einen institutionellen Rechtsbruch dar.
Schlösser: „Institutioneller Rechtsbruch“
Unterstützung erhält Elicker von der AfD-Fraktion, die das Obergutachten als Bestätigung ihrer Rechtsauffassung wertet. Der justizpolitische Sprecher der AfD, Sascha Schlösser, erklärte dazu in einer Presseaussendung: „Die Argumentation des Justizministeriums, wonach die Wahlausschüsse bis zur Neuwahl im Amt bleiben, basiert auf einer politisch motivierten Fehlinterpretation des Thüringer Rechts und allgemein gültiger vorkonstitutioneller Grundsätze“. Der Grundsatz der Diskontinuität sei „verfassungsfest“ und lasse sich nicht durch einfache gesetzliche Verlängerungsklauseln aushebeln. „Die derzeitigen Rumpfausschüsse haben keine demokratische Legitimation mehr – ihre fortgesetzte Tätigkeit stellt einen institutionellen Rechtsbruch dar.“
Elicker: Fehlende Legitimation nicht heilbar
In seinem abschließenden Urteil kritisiert Elicker die Einschätzung des Ministeriumsgutachtens scharf. Dieses sei eher „ein Thesenpapier mit ersichtlich interessengeleiteter Tendenz“ und verfehle die Aufgabe, die Rechtslage objektiv zu beleuchten. Der Versuch, Wahlausschüsse ohne aktuelle demokratische Erneuerung am Leben zu halten, sei von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Als Beispiel zieht er den historischen Vergleich mit Taiwan: Selbst dort, wo Mandate ursprünglich unbegrenzt weiterlaufen sollten, seien irgendwann Nachbesetzungen notwendig geworden.