Rechtsstaat mit Augenmaß: Geraer Urteil stoppt vorschnelle Nazi-Keule
Ein Amtsrichter in Gera hat den Streit zwischen Stephan Brandner und dem Spiegel-Journalisten Peter Maxwill inhaltlich geprüft und dabei die politische Realität anerkannt.
Der AfD-Abgeordnete Brandner bezeichnete einen Spiegel-Journalisten auf X als „Relotius-Langnasensmiley-Fas***st“.
© IMAGO / Silas SteinGera. – Am 16. September 2025 verhandelte das Amtsgericht Gera im Verfahren des AfD-Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner gegen den Spiegel-Journalisten Peter Maxwill. Auslöser war ein Beitrag auf X, in dem Brandner den Journalisten kritisierte: „Wahrscheinlich kommt auch dieser Relotius-Langnasensmiley-Fas***st zu der Auffassung, die AfD hätte verloren. Tränenlachsmiley“, hatte er auf der Plattform geschrieben.
Dieser Angriff stand im Zusammenhang mit einem Kommentar Maxwills, der das Ergebnis der Oberbürgermeisterwahl in Pirna einordnete: „Das Wahldebakel von Pirna ist kein Sieg der AfD, kein Ausdruck eines neuartigen Rechtsrucks. Der neue OB hat im ersten Wahlgang das gleiche Wahlergebnis wie vor sechs Jahren und auch jetzt keine absolute Mehrheit.“
Richter legt Äußerung im Kontext aus
Während das Landgericht Berlin II und das Kammergericht Berlin zuvor eine eng gefasste Betrachtung vornahmen, entschied der Vorsitzende Richter in Gera, die streitige Formulierung im Kontext zu würdigen, wie Brandners Anwalt Sascha Schlösser auf X ausführte. Maßgeblich sei demnach, welches Verständnis der durchschnittliche Leser heute mit Begriffen wie „Nazi” oder „Faschist” verbinde.
Dabei zeigte der Richter, dass er die öffentliche Debatte genau verfolgt, und verwies auf Beiträge in der Süddeutschen Zeitung, der Zeit, der NZZ und dem Spiegel. Seiner Einschätzung nach habe der Angriff einen Zweck erfüllt. Er sollte den politischen Gegner demnach „aus seiner politischen Borniertheit“ herausholen, so Schlösser in seiner Stellungnahme.
„Faschist ist nicht gleich Faschist“
Der Vorsitzende machte besonders deutlich, dass der Begriff nicht einheitlich verstanden wird. Wörtlich sagte er: „Faschist ist nicht gleich Faschist.“ Unter Bezugnahme auf einen Artikel der Zeit führte er aus, dass der Ausdruck entweder analytisch oder als politischer Kampfbegriff verwendet werde. Damit entsprach die Argumentation dem Vortrag der Brandner-Seite, die die Äußerung als „Aufweckappell“ eingeordnet hatte.
Der Richter betonte zudem, dass die Aussage im Kontext einer konkreten Debatte gefallen sei. Maxwill und Brandner hätten die von ihm als „Provinzwahlen“ bezeichneten Ergebnisse in Sachsen jeweils für ihre Deutungen genutzt. Eine rein beleidigende Schmähkritik habe er daher nicht erkennen können. Gleichzeitig räumte er ein, dass die heutige politische Verwendung des Begriffs „Faschist” problematisch sei. Zwar sei sie nicht wünschenswert, aber Realität im öffentlichen Schlagabtausch.