China und der Taiwan-Konflikt

Eine Bestandsaufnahme (5)

In seinem sechsteiligen Beitrag für FREILICH geht Fabian Küble ausführlich auf den Taiwan-Konflikt, allgemein die Situation Chinas sowie die Positionierung des Westens, Europas und vor allem Deutschlands ein. Im fünften Teil seiner Reihe dreht sich alles rund ums chinesische Militär.

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7 Minuten Lesezeit

Dieser Text ist Teil einer sechsteiligen Artikelserie: Teil 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 finden Sie hier.


Das chinesische Militär befindet sich aktuell in einer Phase umfangreicher Aufrüstung und Modernisierung. Aktuell beträgt das chinesische Militärbudget mit schätzungsweise knapp 250 Milliarden Dollar weniger als ein Drittel dessen der USA. Doch wird die Differenz stetig kleiner. Mit weiter steigender Wirtschaftsleistung kann auch das Militärbudget weiter gesteigert werden. Darüber hinaus beträgt der prozentuale Anteil am BIP mit circa 1,7 Prozent bisher weniger als die Hälfte dessen, was die USA prozentual für ihr Militär aufwenden. Langfristig könnte China also auch hier noch deutlichere Steigerungen vornehmen. Bereits heute hat China die zahlenmäßig größte Marine. Bei der Zahl großer Zerstörer und Flugzeugträger, bei welchen die USA noch die Nase vorne haben, wird mit Hochdruck daran gearbeitet, zu den USA aufzuschließen. Ein dritter Flugzeugträger soll bereits in Kürze vom Stapel laufen. Im Bereich der unbemannten Drohnenboote ist China hingegen bereits führend. Nukleararsenal und Interkontinentalraketen werden ebenfalls modernisiert. Bei der Entwicklung neuartiger Hyperschallwaffen hat China bereits die Nase vorne. Wo China hin will, hat Staats- und Parteichef Xi Jinping vor fünf Jahren so formuliert: Bis 2035 solle die Modernisierung des Militärs umgesetzt sein und bis zur Mitte des Jahrhunderts soll China eine Weltklasse-Armee aufgebaut haben.

Chinesische Aufrüstung

Dabei geht es für China nicht nur darum, respektiert zu werden und mit den USA auf Augenhöhe agieren zu können. Für die Handelsmacht China ist die Sicherung der internationalen Handelsrouten überlebenswichtig und entscheidend für eine langfristig sichere wirtschaftliche Entwicklung. Dabei spielt das Militär, vor allem die Marine, eine entscheidende Rolle. Anders als die USA versteht sich China bislang jedoch nicht als globale Militärmacht. China versucht nicht „Weltpolizist“ zu sein und überall in der Welt militärisch zu intervenieren. Auch als Werte- beziehungsweise Ideologie-Exporteur ist es bisher nicht in Erscheinung getreten. Anders als der Westen mit seinen selbsternannten „universalistischen Werten“, verfolgt China keine ideologisch-/wertegeleitete Außenpolitik und erhebt für sein System auch keinen weltweiten universalen Geltungsanspruch. Zumindest hat China dies bisher nicht getan und lässt auch keinerlei Absichten erkennen, dies zukünftig zu wollen. Der Volksrepublik ist es egal, wie andere Länder und Regionen politisch organisiert sind, es strebt nur nach Stabilität und guten Handelsbeziehungen. Letzteres selbstverständlich zum größtmöglichen eigenen Vorteil. Dies tun jedoch alle potenten Nationen. Lediglich in der eigenen Region, im asiatisch-pazifischen Raum, verfolgt China eine Strategie der regionalen Dominanz und setzen dabei auch auf Militärpräsenz. Dabei sollen vor allem die USA als konkurrierende Großmacht sukzessive zurückgedrängt werden.

Die (militärische) Überlegenheit gegenüber Taiwan wird mit jedem Jahr drückender und mit jedem Jahr schließt China mehr zu den USA auf und erringt zusehends eine regionale Dominanz und Überlegenheit. Da China sein gesamtes Militär auf die nähere asiatische Nachbarschaft konzentriert und anders als die USA nicht den Anspruch hat, die ganze Welt militärisch zu dominieren – die USA hingegen als noch Welt-Hegemon ihre Truppen über den ganzen Globus, auf unzähligen Stützpunkten verstreut stationiert haben und diese sich auch nur eingeschränkt flexibel verlegen lassen – besteht nach Ansicht einiger US-amerikanischer Militär-Analysten bereits heute eine potenzielle chinesische Übermacht in Asien. In vielen Simulationen hat die USA bereits das Nachsehen. Spätestens aber um das Jahr 2030 herum werden die USA nach Ansicht vieler Analysten militärisch endgültig ins Hintertreffen geraten. Eine direkte Konfrontation in Asien könnten die USA dann nicht mehr gewinnen.

Militärstrategie

Dazu kommt noch der strategische Standortvorteil Chinas. Asien/ Eurasien ist die Zukunftsregion des 21. Jahrhunderts und China ist mittendrin. Es ist quasi das Kraftzentrum in der Mitte – das Reich der Mitte eben. Die USA sind trotz vieler Stützpunkte und großer Truppenpräsenz geografisch weit weg. Die Nachschubwege quer über den gesamten Pazifik sind lang und im Konfliktfall gefährlich. China hingegen kann äußerst schnell und flexibel, ohne große Probleme, Nachschub überall ins nähere asiatische Umfeld transportieren. Vom chinesischen Festland nach Taiwan sind es nur circa 200 km, vom amerikanischen Festland aus hingegen über 8.000 km. Selbiges gilt im Konfliktfall auch für die US-Basen in den umliegenden Staaten wie etwa auf den Philippinen. Im Falle eines Konflikts dürfte es für die USA ungleich schwerer sein diese zu halten. Sind die USA nach einem Konflikt aber erstmal aus dieser Region vertrieben, wird China die Lücke füllen und die USA werden niemals mehr die Stärke und die Möglichkeit haben, zurückzukommen. Es wäre das Ende der US-Hegemonie in Asien und der Beginn eines unabhängigen asiatischen Großraums – gleichwohl unter chinesischer Dominanz.


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Strategischer Ausblick

Unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen und militärischen Entwicklungsfähigkeit Chinas und zugleich der gegenläufigen, negativen Entwicklungsperspektive des Westens, allen voran den USA, wäre es für die Volksrepublik strategisch klüger, Taiwan erst in zehn oder 15 Jahren anzugreifen, wenn dies denn überhaupt als ernsthafte Option erwogen wird. Die Voraussetzungen für einen schnellen Erfolg, aufgrund der größeren eigenen Stärke, bei gleichzeitiger geringerer Stärke des potenziellen Gegners, sowie einer erhöhten Resilienz gegenüber westlichen Gegenmaßnahmen, wären dann nochmals um ein Vielfaches höher als heute. Aus taktischer Sicht macht es für China daher mehr Sinn, zu warten, weiter zu wachsen und zu rüsten und dem Westen bei seinem durch Klima-, Einwanderungs- und Gesellschaftsideologie größtenteils selbst verschuldeten Niedergang zuzusehen. Irgendwann ist die Übermacht gegenüber Taiwan sowie die relative Stärke gegenüber den USA so groß und gewaltig, dass sich Widerstand von Seiten Taiwans und den USA rational kaum mehr lohnen würde und damit vor allem auch die USA von einem aktiven Eingreifen abgeschreckt wären. Widerstand ist dann höchstens noch symbolisch zu erwarten, sowie eingeschränkt wirtschaftlich. Womöglich würde dann bereits die Androhung militärischer Gewalt ausreichen, um Taiwan zu einem Einlenken und damit zu einer „friedlichen“ Wiedervereinigung zu bewegen. Es spricht tatsächlich vieles dafür, dass eben dies die Strategie ist, welche die Staatsführung der Volksrepublik gegenwärtig verfolgt.

Für ein früheres Losschlagen, bereits in den nächsten Jahren, sprechen vor allem zwei Szenarien. Einerseits dann, wenn das extrem gespaltene und zerstrittene Amerika durch innenpolitische Vorgänge, wie innere Unruhen oder gar einen Bürgerkrieg, temporär so geschwächt wären, dass sie außenpolitisch quasi handlungsunfähig würden und sie zumindest keine weitreichenden Entscheidungen, wie den Beginn eines (Wirtschafts-)Krieges, mehr fällen könnten. In einem solchen Szenario würde China vermutlich die Gunst der Stunde nutzen und Taiwan bereits früher eingliedern, als es ansonsten der Fall wäre.

Ein weiterer entscheidender Grund schon früher loszuschlagen wäre für China wohl dann gegeben, wenn die USA als der große Rivale einseitig den Status Quo in erheblichem Maße zum Nachteil Chinas verändern und die Unabhängigkeit Taiwans vorantreiben würden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die USA sich dazu entschließen sollten, Taiwan als unabhängigen Staat anzuerkennen, oder sich mit eigenem Militär direkt vor Ort einzumischen. Da die Zeit gegen die USA läuft, wäre es für diese wiederum von Vorteil, möglichst bald Fakten zu schaffen und den Konflikt, wenn nötig, eskalieren zu lassen. Damit bleibt die Lage dramatisch angespannt und hat dauerhaftes Eskalationspotential. Dabei dürfte aus genannten Gründen das Eskalationsmoment in diesem Jahrzehnt noch bei den Vereinigten Staaten liegen, während es in den 30ern zusehends bei China liegen dürfte.

Militärische Gegenmaßnahmen

Das heißt jedoch nicht, dass unterhalb der Schwelle eines eskalierenden Krieges China langfristig westliche beziehungsweise US-amerikanische Provokation tatenlos und unbeantwortet hinnehmen wird. Ansonsten würde es seine eigene Autorität untergraben und an Glaubwürdigkeit verlieren. Dies kann sich keine Großmacht leisten, erst recht keine aufstrebende. Es ist daher durchaus denkbar, dass wir zur Abschreckung sowie zur Untermauerung des chinesischen Standpunktes, in den kommenden Jahren einzelne, vorübergehende – durchaus auch drastische – Maßnahmen, unterhalb eines großangelegten Krieges beziehungsweise einer Invasion, erleben könnten. Von der vorübergehenden Errichtung einer Seeblockade um, und/oder einer Flugverbotszone nach/ über Taiwan, bis hin zu einem begrenzten Militärschlag auf Militäreinrichtungen in Taiwan – etwa durch präzise Raketen – ähnlich wie es die USA regelmäßig im Nahen Osten praktizieren, käme dafür vieles in Frage. Dies würde den Konflikt zwar vorübergehend auf eine neue Eskalationsstufe heben, würde zugleich jedoch auch den USA verdeutlichen, dass sie die gezogene rote Linie nicht weiter überschreiten dürfen, wenn sie nicht bereit sind, notfalls bis zum Äußersten zu gehen. Und dass die USA, vor allem die normalen amerikanischen Bürger, dazu bereit sind, ist doch äußerst unwahrscheinlich.

Denn wenn sich die USA dort aktiv militärisch involvieren würden, würde dies auch unterhalb einer nuklearen Eskalation Kosten, Verluste und Opferzahlen bedeuten, wie sie die USA noch nicht erlebt haben. Auch die wirtschaftlichen und finanziellen und damit letztlich auch sozialen Kosten wären unvorstellbar. Das könnten die USA wohl kaum lange durchhalten und dürfte die amerikanischen Bürger endgültig auf die Barrikaden treiben. Denn für andere, fremde Länder zu sterben und hohe Preise zu zahlen, dazu sind die meisten Amerikaner schon lange nicht mehr bereit. Schon das Afghanistan-Desaster hat dies spätestens mit dem Abzug 2021 deutlich gezeigt und auch das aktuelle Engagement in der Ukraine scheint das Maximale dessen zu sein, was zu akzeptieren die Mehrheit der Amerikaner geradeso noch bereit ist. Doch im Vergleich zu einem Konflikt mit China wäre der aktuelle Konflikt mit Russland ein laues Lüftchen.


Zur Person:

Fabian Küble, 29 Jahre, kommt aus Baden-Württemberg und lebt in Sachsen. Er hat Politikwissenschaften studiert und ist stellvertretender Landesvorsitzender der JA Sachsen sowie Mitglied im JA-Bundesvorstand.