China und der Taiwan-Konflikt

Eine Bestandsaufnahme (4)

In seinem sechsteiligen Beitrag für FREILICH geht Fabian Küble ausführlich auf den Taiwan-Konflikt, allgemein die Situation Chinas sowie die Positionierung des Westens, Europas und vor allem Deutschlands ein. Im vierten Teil seiner Reihe geht es um den Versuch Chinas, sich vom Westen unabhängig zu machen.

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6 Minuten Lesezeit

Dieser Text ist Teil einer sechsteiligen Artikelserie: Teil 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 finden Sie hier.


Die Wirtschaft ist Dreh- und Angelpunkt der chinesischen Entwicklung und dessen Machtentfaltung. Chinas gesamter Aufstieg und heutige Macht ist im Wesentlichen der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte geschuldet. Somit steht und fällt der weitere Aufstieg Chinas mit dessen weiteren wirtschaftlichen Aufstieg. Aus diesem Grund ist China als aufstrebende Wirtschaftsmacht hier allerdings auch besonders angreifbar.

Gefahr durch westliche Sanktionen

Der Westen versucht mit zunehmender Verzweiflung alle Staaten, die nicht nach seiner Pfeife tanzen zu sanktionieren. Wie überforderte Eltern mit renitenten Kindern wird versucht, die aus westlicher Sicht uneinsichtigen Staaten zu bestrafen und auf den Pfad der Tugend zu zwingen. Vor allem die USA sind mittlerweile virtuos im Umgang mit wirtschaftlichen Sanktionsregimen, die meist unter dem Bruch der Regeln der WTO rechtswidrig durchgesetzt werden. Längst gilt die vom Westen selbst so gerne propagierte „regelbasierte internationale Ordnung“ nur noch dann, wenn es dem Westen selbst in den Kram passt. Nach Belieben bricht der Westen diese regelbasierte Ordnung, um eigene ideologische („Werte“) und/oder wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Dazu missbrauchen die USA regelmäßig auch ungeniert ihren US-Dollar, was dessen Stellung als „Welt-Leitwährung“ jedoch zusehends untergräbt und damit langfristig auch die Position der USA selbst schwächt.

Das die westlichen Wirtschaftssanktionen zusehends an Durchschlagskraft verlieren, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass der Westen im Verhältnis zur restlichen Welt immer weiter an Wirtschaftskraft einbüßt. Konnte der Westen 1990 noch knapp 80 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung auf sich vereinigen, sind es mittlerweile nur noch ca. 36 Prozent. Die restliche Welt macht hingegen bereits über 64 Prozent der Weltwirtschaftsleistung aus. Bei den Devisenreserven kontrolliert die nicht-westliche Welt mittlerweile sogar über 70Prozent. Und die Verhältnisse verschieben sich stetig weiter zu Ungunsten des Westens und zu Gunsten der nicht-westlichen Staaten, allen voran China. Wenn man bedenkt, dass seit 1990 die Zahl der zum „Westen“ gehörenden Staaten beträchtlich gewachsen ist, nicht zuletzt durch die Integration der osteuropäischen Staaten, ist der relative Machtverlust des Westens im Verhältnis zur übrigen Welt umso größer.

Wenn große Teile der restlichen Welt dem Westen nicht folgen, wie beispielsweise aktuell bei den westlichen Russland-Sanktionen, haben diese Maßnahmen nur sehr begrenzten Nutzen und können sich sogar ins Gegenteil verkehren, indem sie am Ende dem sanktionierenden Westen mehr schaden als dem sanktionierten Staat, der eigentlich durch die Sanktionen geschwächt werden soll. Nichtsdestotrotz ist China aktuell wirtschaftlich noch sehr abhängig vom Westen, da ein erheblicher Teil seiner Exporte dorthin gehen. So sind die USA Chinas größter Handelspartner. Zwar ist dies wie so oft eine gegenseitige Abhängigkeit und die westlichen Staaten würden sich im Zuge eines Wirtschaftskrieges mit gegenseitigen Boykotten auch selbst ruinieren, doch würden derartige Maßnahmen zweifelsohne auch die Handelsnation China empfindlich treffen.


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Alternativen zum Westen

Deshalb versucht China wirtschaftlich nicht nur weiter zu wachsen, sondern seine Wirtschaft gleichzeitig auch zu diversifizieren und sie so langfristig gegenüber westlichen „Strafmaßnahmen“ resilienter zu machen. Sowohl gegenüber dem Westen als Handelspartner, als auch von deren Technik. So versucht China zusehends eigene technologische Standards zu entwickeln, womit die chinesische Produktion und Technik unabhängiger von Vorentwicklungen und Maschinen aus dem Westen werden soll. Dies geschieht aktuell nicht zuletzt Im IT-Bereich.

Des Weiteren versucht die chinesische Staatsführung die Binnenkonjunktur anzukurbeln, um vom Export unabhängiger zu werden. In den Jahren vor den Lockdowns ist der chinesische Konsum durchschnittlich um über sieben Prozent pro Jahr gewachsen. Die Binnennachfrage wird daher zu einem nicht unerheblichen Pfeiler der Gesamtkonjunktur und kann so bis zu einem bestimmten Punkt mögliche zukünftige Einbußen im Außenhandel ausgleichen. Zeitgleich erschließt sich China weltweit neue Handelspartner und bindet diese durch Verträge und Investitionsabkommen möglichst fest und langfristig an sich. Für Afrika ist China heute bereits der größte Handelspartner und China investiert drei Mal so viel in Afrika wie die USA. Das Projekt der neuen Seidenstraße ist nur ein Versuch, das eurasische Umfeld wirtschaftlich zu erschließen und möglichst eng an sich zu binden. Aber auch durch Handelsabkommen und Freihandelszonen im eignen Umfeld, wie die erst Anfang 2022 gegründete RCEP (dt. deutsch Regionale umfassende Wirtschaftspartnerschaft, Anm. d. Red.), versucht China sich vom Westen unabhängiger zu machen. RCEP umfasst über 30 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung, sowie 30 Prozent der Weltbevölkerung und ist damit die größte Freihandelszone der Welt.

Auch das BRICS-Format, als eine von China dominierte Alternative zum westlichen G7-Format, entfaltet eine immer größere Strahlkraft. Von Asien über den Nahen Osten und Afrika bis hin zu Süd- und Mittel-Amerika gibt es eine ganze Reihe von Schwellenländern mit teils erheblichem Potential, die zuletzt im Gespräch waren, dem Club der BRICS-Staaten beizutreten. Darunter vor allem auch rohstoffreiche Länder wie Saudi-Arabien oder der Iran. In einer Epoche zusehender Rohstoffknappheit, ist dies ein weiterer entscheidender wirtschaftlicher und geopolitischer Faktor. Volkswirtschaften und Wirtschaftsblöcke, die erleichterten und womöglich sogar exklusiven Zugang zu Rohstoffen und günstiger Energie haben, besitzen einen gewaltigen Vorteil gegenüber allen Konkurrenten.

Wirtschaftliche Bedeutung Taiwan

Langfristig werden nicht nur die USA weltweit an Bedeutung und Einfluss verlieren. Auch Taiwan dürfte mittelfristig international an Bedeutung verlieren – insbesondere für den Westen. Denn aktuell ist der Westen noch in erheblichem Maße von der taiwanesischen Halbleiterindustrie abhängig. Beinahe alle westlichen Hochtechnologieprodukte sind auf moderne Halbleiter angewiesen. Die meisten und qualitativ hochwertigsten kommen aktuell noch aus Taiwan. Nirgends auf dem Planeten werden annähernd so viele hochwertige Chips hergestellt wie dort. Entwickler aus Taiwan halten einen globalen Marktanteil von weit mehr als 50 Prozent. Damit besteht für den Westen ein nicht unerhebliches wirtschaftliches Interesse an der weiteren Unabhängigkeit Taiwans. Sowohl im Hinblick darauf, auch weiterhin freien Zugang zu den für die moderne Technik so wichtigen Halbleitern zu haben, als auch umgekehrt diesen „Schatz“ nicht in chinesische Hände fallen zu lassen. Somit ist das Interesse Taiwans nach staatlicher Unabhängigkeit und das strategische Interesse des Westens, freien Zugang zu den taiwanesischen Halbleitern zu haben, aktuell kongruent. Dies erhöht das Risiko einer westlichen Intervention erheblich, was wiederum in einer Risikoabwägung Chinas die möglichen Kosten erheblich in die Höhe treibt und damit aktuell noch eine potenziell abschreckende Wirkung entfalten dürfte.

Doch sowohl die USA als auch die EU (und auch China selbst) haben bereits mehrere hundert Milliarden Dollar/Euro umfassende Investitionspakete zum Aufbau und Ausbau der heimischen Halbleiterindustrie beschlossen. So soll beispielsweise bei Magdeburg in Deutschland für über 17 Milliarden Euro eine Halbleiterfabrik entstehen. Wenn diese europäischen und amerikanischen Fabriken erst einmal erfolgreich produzieren, nimmt die technologische Abhängigkeit von Taiwan und damit automatisch auch deren strategische Bedeutung rapide ab. Dann hat Taiwan abseits der ideologischen und geostrategischen Betrachtungsweise erheblich weniger Bedeutung für den Westen. Damit dürfte dann aber auch die Bereitschaft des Westens, sich notfalls unter erheblichen eigenen Opfern für Taiwan zu engagieren deutlich sinken. Die relative Abhängigkeit von Taiwan in diesem einen Bereich lässt sich mittelfristig beseitigen, die deutlich tiefergehende und vielfältigere Abhängigkeit von China wird hingegen so schnell nicht zu beheben sein. Sie wird mittelfristig bleiben und wenn überhaupt nur in einigen wenigen, speziell ausgewählten Teilbereichen verringert werden können.


Zur Person:

Fabian Küble, 29 Jahre, kommt aus Baden-Württemberg und lebt in Sachsen. Er hat Politikwissenschaften studiert und ist stellvertretender Landesvorsitzender der JA Sachsen sowie Mitglied im JA-Bundesvorstand.