Warum die Koalition gescheitert ist: FREILICH im Exklusivgespräch mit FPÖ-Verhandlern
Nach rund 40-tägigen Verhandlungen wurden auch die Verhandlungen zwischen den Freiheitlichen und der Volkspartei ergebnislos beendet. Aus Sicht der FPÖ lag dies vor allem an der ÖVP.
Wien. – Seit Mittwoch ist es offiziell. Die Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP sind gescheitert. FREILICH sprach mit mehreren hochrangigen FPÖ-Politikern, um die Hintergründe zu beleuchten. Den Beginn machte der Nationalratsabgeordnete Hubert Fuchs. Er war für die FPÖ federführend bei den Budget- und Finanzverhandlungen. „Am Anfang war uns klar, dass es schnell gehen muss. Sowohl wir als auch die ÖVP wollten das drohende Defizitverfahren der Europäischen Union abwenden. Solange das im Vordergrund stand, waren die Sitzungen sehr produktiv“, erzählt Fuchs.
Doch dann schlug die Stimmung in der ÖVP um. Wie Fuchs schildert, war es nicht einfach, Termine für Verhandlungen zu finden. „Man hat der ÖVP angemerkt, dass sie es nicht eilig hat“, so Fuchs. Die FPÖ habe zwar eine Bankenabgabe gefordert, um das Finanzloch in der österreichischen Staatskasse zu stopfen. Man wäre aber schon davon abgekommen, wenn die ÖVP in anderen Punkten Zugeständnisse gemacht hätte. Dies sei aber nicht geschehen, erklärte er gegenüber den Medienvertretern. Demnach wollte die ÖVP weder von einer Beteiligung der Kirchen noch der Wirtschaftskammer etwas hören.
Coronaaufarbeitung zur Seite geschoben
Das veränderte Verhandlungsverhalten bestätigte auch Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak. Die ÖVP habe sich im Gesundheitsbereich ebenfalls destruktiv verhalten. „Bei der Aufarbeitung der Coronapolitik hat uns die ÖVP das Gespräch komplett verweigert. Sie haben alle unsere Forderungen mit dem Spruch 'Wir wollen nicht in den Rückspiegel schauen' abgetan. Von der Einrichtung eines Coronafonds und einer kritischen Aufarbeitung der Coronazeit wollten die ÖVP-Verhandler nichts wissen“, so Kaniak.
Dagmar Belakowitsch, Sozialsprecherin der FPÖ und Mitverhandlerin in der Untergruppe Soziales, schilderte Ähnliches. Sie hat bereits 2017 für ihre Partei verhandelt und sieht einen Unterschied von Welten. „Das hat sich vor allem in der Person von August Wöginger gezeigt. Während wir 2017 von Anfang an konstruktiv und kompromissbereit zusammengearbeitet haben, war davon in den aktuellen Verhandlungen nichts zu spüren.“ Belakowitsch beobachtete von Anfang an Desinteresse und Orientierungslosigkeit seitens der Volkspartei nach Fertigstellung des Budgets. Sie stellte auch fest, dass die Verhandler weisungsgebunden waren und vor Ort kaum auf neue Vorschläge eingingen. Was die ÖVP aber immer wieder betont habe, sei die Notwendigkeit legaler Zuwanderung. Es sei von „500.000 Arbeitskräften aus Drittstaaten“ für die nächsten zehn Jahre die Rede gewesen. „Die ÖVP hatte überhaupt keinen Fokus auf die Ausbildung eigener Fachkräfte im Inland“, so Belakowitsch.
Nicht eine, sondern „drei bis vier ÖVPs“
FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker hatte das Gefühl, mit „drei bis vier verschiedenen ÖVPs“ zu verhandeln. „Wenn man mich fragt, hätte Stocker die Koalition schon gewollt. Aber ob er durfte, ist eine andere Frage“, so Hafenecker. Ein großes Problem sei für ihn gewesen, dass sich die ÖVP unbedingt in die inneren Angelegenheiten der FPÖ einmischen wollte, während man selbst zerstritten und orientierungslos war. Hafenecker geht aber davon aus, dass die ÖVP anfangs durchaus an der Koalition interessiert war. „Die ÖVP hat wohl nicht mit dem internationalen Druck von außen gerechnet“, analysiert der Generalsekretär.
„ÖVP wollte nur Zeit gewinnen“
Ähnlich das Fazit vom zweiten FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. „Wir wurden gebraucht, um Zeit zu gewinnen. Die eigentlichen Verhandlungen hat die ÖVP hinter den Kulissen geführt, mit sich selbst, mit der SPÖ und mit internationalen Mächten. So führt man keine Koalitionsverhandlungen“, so die Kritik.
Schnedlitz betonte auch, dass es der FPÖ immer darum gegangen sei, sich zuerst inhaltlich zu einigen und sich dann erst um die Verteilung der Ministerien zu kümmern. Der Zugang der ÖVP sei aber ein anderer gewesen. Deshalb sei man darauf eingegangen und habe von blauer Seite früher als ursprünglich geplant über die Ressorts verhandelt. Die ÖVP habe den ersten Vorschlag gemacht, den Schnedlitz als „völlig inakzeptabel“ bezeichnete. Darin habe die ÖVP die Ressorts Innen, Außen und Finanzen für sich beansprucht und insgesamt mehr Ministerien als unter Kurz. Das zweite Angebot der ÖVP habe sich vom ersten nur insofern unterschieden, als man bereit gewesen wäre, die Landesverteidigung abzugeben. Auch damit konnte sich die FPÖ nicht abfinden, da dies aus ihrer Sicht in keiner Weise die Kräfteverhältnisse widerspiegelte. „Wir haben der ÖVP daher ein faires Gegenangebot gemacht, das wie folgt aussah“, zeichnet Schnedlitz nach:
FPÖ: Kanzler, Kanzleramt, Finanzen, Inneres, Arbeit, Gesundheit
ÖVP: Äußeres sowie EU-Angelegenheiten, Verkehr, Wirtschaft, Landesverteidigung, Landwirtschaft, Soziales, Bildung
Unabhängig: Justiz
Die ÖVP soll dieses Angebot abgelehnt und ein neues vorgelegt haben. Dieses sei dem zweiten weitgehend gleichwertig gewesen, nur dass man auf das Finanzministerium verzichtet, dafür aber gleichzeitig die Medienkompetenz des Kanzlers für sich beansprucht hätte. „Das letzte Angebot übertraf in seiner Dreistigkeit die drei vorangegangenen noch einmal deutlich“, so Schnedlitz. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sei für die FPÖ klar gewesen, dass die Gespräche aussichtslos seien.