Tadsen (AfD): „Unser Kontinent schlittert jeden Tag weiter in eine Identitätskrise hinein“

Erst vor wenigen Tagen landeten an nur einem Tag 1.300 Migranten auf der italienischen Insel Lampedusa. Der Ort steht symbolisch für die anhaltende Migrationskrise in Europa. Zwei Abgeordnete der AfD-Fraktion Mecklenburg-Vorpommern machten sich vor einigen Wochen auf den Weg, um sich vor Ort selbst ein Bild zu machen. Sie sprachen mit örtlichen Experten, Einwohnern und Kommunalpolitikern. Daraus ist nun eine eigene Dokumentation entstanden, die die Ursachen, Hintergründe und Folgen der ungebremsten Migration nach Europa beleuchtet. Wir sprachen mit dem Reiseteilnehmer und migrationspolitischen Sprecher Jan-Phillip Tadsen.

Interview von
21.11.2023
/
7 Minuten Lesezeit
Tadsen (AfD): „Unser Kontinent schlittert jeden Tag weiter in eine Identitätskrise hinein“
Jan-Phillip Tadsen© AfD-Fraktion Mecklenburg-Vorpommern

Herr Tadsen, Mitte Oktober reisten Sie mit ihrem Abgeordnetenkollegen Nikolaus Kramer nach Sizilien und dann weiter nach Lampedusa. Mit welcher Intention haben Sie diese Reise angetreten? 

Mir ging es bei einer solchen Reise in erster Linie darum, die Situation vor Ort nicht nur aus ständiger Lektüre nachzuvollziehen, sondern einmal weitere Sinne einsetzen zu können. Es ging mir um direkte Wahrnehmung von Angesicht zu Angesicht. Ein solcher Anspruch ist in den wenigen Tagen natürlich nur in Ausschnitten möglich gewesen. Schon aber die eindrucksvollen Impressionen von direkt auf Lampedusa anlandenden Menschen haben diese Intention getroffen. Als ich in die Gesichter dieser meist jungen Männer schaute, wurde mir noch einmal sehr klar, wie jede dieser Personen absehbar ihr Schicksal in unseren Ländern gestalten muss, obwohl die strukturellen Bedingungen dafür schlechter denn je sind. Die fehlenden Perspektiven für viele dieser Menschen in den Zielländern bergen zukünftig mit großer Wahrscheinlichkeit noch mehr Gewalt und Konflikte auf unsere Straßen.

Ein weiterer Grund für die Reise war das Auftreten der Linken-Abgeordneten Pulz-Debler bei uns im Landtag. Sie ist engstens mit linksradikalen NGOs im Mittelmeer vernetzt und verteidigt deren Arbeit mit einer moralisierend verbrämten Wählervergessenheit, die selbst in linken Parteien wohl nur selten anzufinden ist. In einer Plenarsitzung äußerte sie gar öffentlich, sich für ihr „Deutsch- und Weiß-Sein“ zu schämen. Es ist diese volksferne Haltung nicht nur von Frau Pulz-Debler – immerhin Mitglied der die Landesregierung tragenden Fraktion Die Linke –, die mich bis heute stark motiviert ein umfassenderes Bild des Migrationsproblems hier in MV wie im Mittelmeer zu zeigen!

Was für Eindrücke konnten sie vor Ort mitnehmen? Inwieweit haben diese Ihnen auch für die Einordnung und Ausrichtung ihrer Arbeit als migrationspolitischer Sprecher vor Ort geholfen?

Parlamentarische Arbeit braucht die direkte Erfahrung, um dann abstrahieren zu können. In der Migrationspolitik heißt das natürlich auch sich mit der italienischen Situation auseinanderzusetzen. Stichwörter hierfür sind etwa, eine deutlich stärker auf die Sicherheit der Italiener achtende Unterbringungspraxis in auch militärisch bewachten Hotspots. Das ist ein Kontrastbild zur Situation in der Erstaufnahmeeinrichtung Stern Buchholz in Mecklenburg-Vorpommern. Oder auch der mittlerweile routinierte Anspruch italienischer Behörden, die Menschen aus dem Hotspot Lampedusas möglichst schnell aufs Festland zu verbringen. Wie wir wissen, reisen nicht wenige dieser Menschen früher oder später weiter nach vor allem Deutschland und Frankreich.

Die Reise nach Lampedusa hat uns auch gezeigt, dass die vor Ort lebenden Menschen ihre Insel als etablierte Zwischenstation des ungesteuerten Migrationsgeschehens wahrnehmen. Von der EU erwartet man keine Lösung und die konkreten Handlungsspielräume der italienischen Regierung betrachtet man eher desillusioniert. Die Menschen gehen traditionell ihren täglichen Geschäften nach und genießen auch das Leben. Und doch sind viele Bürger der Ansicht, dass diese Tragödie im Interesse aller Beteiligten unbedingt ein Ende finden muss. 

In den Gesprächen mit uns wurde auch immer wieder darauf verwiesen, dass Deutschland als Bremser, Bedenkenträger und Anreizgeber in der Migrationspolitik betrachtet wird. Und ja, dieser Vorwurf ist schon aufgrund der von italienischen Gerichten dokumentierten Zusammenarbeit von deutschen NGOs und Menschenhändlern sowie der teilweisen Finanzierung dieser NGOs über den Bundeshaushalt nicht nur nachvollziehbar, sondern offenkundig. Mir ist deshalb auch klar geworden, dass wir den politischen Kampf gegen die Unterstützernetzwerke dieser pseudohumanitären Organisationen wohl auch als AfD noch ausweiten sollten. Gerade deren enge Verknüpfung in vor allem linke Parteien entlarvt die neuerdings pastoral vorgetragenen Reden von Landespolitikern, die plötzlich gerne über „Begrenzung und Ordnung“ sprechen. Diese Milieus sind das zentrale Problem, ihnen müssen wir auf allen gesellschaftlichen Ebenen entgegentreten – auch außerparlamentarisch!

Mit der aktuellen italienischen Mitte-Rechts Regierung unter der Führung der Ministerpräsidentin Georgia Meloni verbanden vermutlich viele Rechte in Europa die Hoffnung eines Aufbruchs und einer grundsätzlichen migrationspolitischen Wende in Italien. Nun überwiegt in vielen Fällen jedoch die Enttäuschung. Auch in der Dokumentation sprach zumindest die Ex-Bürgermeisterin von Lampedusa Angela Maraventano von mangelndem Willen und Mut. Muss man für die Meloni-Regierung konstatieren, dass sie aufgrund des Drucks der internationalen Abhängigkeiten (Brüssel und Co.) in der Migrationspolitik gescheitert ist oder müssen wir ihr nur mehr Zeit geben? Und welche realen Handlungsmöglichkeiten und politischen Steuerungsinstrumente hat eine rechte Regierung in diesem Fall eigentlich zur Verfügung? 

Diese Frage wird ja zuletzt immer wieder gestellt. Ich sehe das tatsächlich pragmatischer als andere. Es gibt den vielleicht heutzutage schon etwas abgedroschen wirkenden Spruch, demzufolge „Politik die Kunst des Möglichen“ sei. Ich selbst bin sehr froh darüber, dass wir in Italien eine Regierung mit Frau Meloni und Herrn Salvini haben. Diese beiden talentierten Politiker haben auch in ihrem Land einen Kampf gegen sehr starke linke Netzwerke zu führen und sie müssen eine strukturell ebenfalls vor großen Herausforderungen stehende Volkswirtschaft für die Zukunft fit machen. Das erfordert großes politisches Geschick. 

Gelingt ihnen das eine längere Zeit, bin ich der festen Überzeugung, dass die italienische Regierung für uns ein guter Ansprechpartner sein wird, wenn es darum geht, neue migrationspolitische Konzepte durchzusetzen. Die Migrationsfrage ist auch eine europäische Frage, an der wir als AfD nicht einfach besserwisserisch und im Zweifel isoliert vorbeigehen können. Es braucht ganz neue Mehrheiten auf EU-Ebene. Deshalb wird die Wahl zum Europaparlament sehr spannend werden!  

Mit dem ungebremsten Massenmigration, steigenden Umfragewerten der AfD und auch immer mehr Hilferufen und Warnungen aus den Kommunen, die an ihre Belastungsgrenzen kommen, kam es in der Vergangenheit auch immer wieder zu sogenannten Asylgipfeln der Länder und des Bundes. Wie sind die Beschlüsse und Ergebnisse dieser Gipfel zu bewerten? Reine Kosmetikmaßnahmen und Placebos für die Bürger oder doch ein Signal für ein politisches Umdenken in der Migrationsfrage? 

Ich denke schon, dass der Ernst der Lage in Deutschland zunehmend in den anderen Parteien allein aus Gründen des Selbsterhalts registriert wird. Hierfür sprechen in meinen Augen etwa die interessanten rhetorischen Manöver selbst von dem einen oder anderen grünen Spitzenfunktionär. Und damit ist jetzt explizit nicht Boris Palmer gemeint. Interessant ist auch, wie Jens Spahn schon seit Monaten argumentatives Gelände betritt, das den Ursachen der Krise wirklich näherkommt. Dazu würde mich ohne Ironie die Meinung von dem wirklich miserabel arbeitenden Verfassungsschützer Thomas Haldenwang einmal genauer interessieren. Und das gerade mit Blick auf das Hohelied einer mantrahaft vorgetragenen Menschenwürde-Diktion. Wenn man die öffentliche Intensivierung der migrationspolitischen Debatte optimistisch bewerten möchte, dann kann die Hoffnung wachsen, dass die traditionellen (etablierten) Parteienbindungen umfassender erodieren, als dies noch vor wenigen Jahren denkbar erschien. Im besten Falle sehen die alten Volksparteien bei der Lösung der Migrationskrise dann nur noch von der Oppositionsbank aus zu!

In diesem Sinne bedarf es natürlich weiterhin eines einordnenden Blicks auf die neuen Maßnahmen. Es bleibt abzuwarten, welchen konkreten Effekt einzelne Ergebnisse des jüngsten Bund-Länder-Gipfels entfalten können. In meinen Augen wurde die Kernproblematik aber eindeutig nicht angefasst. Viele migrationswillige Menschen können weiterhin fast gänzlich ungehindert nach Deutschland einreisen und haben dann eine große Community aus den Herkunftsstaaten vor Ort. Sie profitieren in jedem Fall von den alltäglichen und finanziellen Anreizen bei uns, was weiterhin als persönliche Vorteilsbildung aktiv in die jeweilige Heimat kommuniziert wird. Dagegen werden Bezahlkarte oder kleine Stellschräubchen bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht nichts effektiv ausrichten können.  

Und deshalb ist die Grenzfrage die eigentlich wirklich politische Frage zur Lösung der Migrationskrise. Nur wenn wir zukünftig wieder selber bestimmen können, wer in unser Land kommt, wird der Zusammenhalt wieder spürbar gestärkt werden können. Ohne eine noch deutlich stärker in die Parlamente gewählte AfD und ohne neue Netzwerkbildung kritischer Akteure werden interessierte Kreise aber noch weiter versuchen, diese notwendige Fragestellung an den Rand zu setzen. Dass dies noch immer gelingt, hängt sicherlich mit der derzeitigen politischen Hegemonie in Deutschland zusammen. Jasper von Altenbockum schrieb dazu erst vor kurzem: „Zeichen dieser [linken] Dominanz ist eine Debattenkultur im permanenten Moralmodus, die jeden Ansatz von Realismus als zynisch bekämpft.“ Gegen diese linke Hypermoral müssen wir mit Fakten und Leidenschaft die Herzen unserer Bürger gewinnen. Dabei geht es nicht nur um maximierte Wählerstimmen, es geht um die Etablierung einer echten Regierungsalternative. Die reale Chance dafür ist jetzt da!

In der Dokumentation ihrer Fraktion wird häufig davon gesprochen, dass sich die Migrationsdebatten in Deutschland vor allem von einer Reihe von Illusionen verabschieden müsse. Was meinen Sie damit genau?

Die Überwindung von Illusionen heißt für mich vor allem nüchterne Analyse mit einem zielorientierten Anspruch zu verbinden. Konkret: Die Fakten zu den Folgen der unkontrollierten Migration in Europa sprechen sehr deutlich dafür, dass wir ein elementares Interesse an einer robusten Bekämpfung des Schleppergeschäfts im Mittelmeer im Sinne eines wirksamen EU-Außengrenzschutzes haben. Eine von uns interviewte Gastronomin aus Lampedusas kritisierte sehr leidenschaftlich, dass die Europäische Union faktisch wie ein Komplize der kriminellen Menschenausbeuter auftritt. Während das Sterben weitergeht, schlittert unser Kontinent jeden Tag weiter in eine perspektivisch kaum beherrschbare Identitätskrise hinein.

Meine Antwort gegen diese Feststellung ist nach dieser Reise klar: Eine nach australischem Vorbild militärisch organisierte Seeblockade verbunden mit einer breit angelegten Informationskampagne sowie international organsierten Schutzzentren auf dem afrikanischen Kontinent. Auch für Europas Außengrenzen brauchen wir eine Migrationswende in Deutschland. Eventuell wird in Ostdeutschland schon bald ein erster Schritt dafür möglich sein. Gespräche mit vor allem jungen Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern geben mir in den letzten Wochen verstärkt Hoffnung darauf!

Herr Tadsen, vielen Dank für Ihre Zeit!


Zur Person:

Jan-Phillip Tadsen ist Politikwissenschaftler und seit 2021 Abgeordneter der AfD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern.