NÖ-Wahl

ÖVP auf der Flucht vor dem schwarzen „tiefen Staat“

Bei der Landtagswahl in Niederösterreich droht der ÖVP in ihrem Kernbundesland ein Waterloo. Es ist auch die Folge einer Aneinanderreihung von Skandalen auf allen Ebenen.

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ÖVP auf der Flucht vor dem schwarzen „tiefen Staat“
Johanna Mikl-Leitner© Karl Wilfing from Poysdorf, Österreich, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Seit der Herauslösung des „roten Wiens“ aus Niederösterreich vor über 100 Jahren ist es ein ehernes Gesetz, dass ein schwarzer Landeshauptmann im größten und einflussreichsten Bundesland regiert. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde die absolute Mehrheit nur zweimal (1993 und 1998) verfehlt, nun droht das historisch schlechteste Ergebnis für die Volkspartei, die bei 40 Prozent herumgrundelt. Wohl auch, um von zahlreichen Skandalen abzulenken, fährt die ÖVPNÖ einen recht inhaltsleeren Wahlkampf, der auf die blau-gelben Landesfarben und die Spitzenkandidatin Mikl-Leitner zugeschnitten ist. Dabei haben ihr viele kritische Bürger längst nicht verziehen, dass sie die „Mutter der Impfpflicht“ war.

„System Pröll“ als schweres Erbe …

Johanna Mikl-Leitner ist die erste Frau an der Spitze Niederösterreichs und sie übernahm kein leichtes Erbe: Zuvor zog Erwin Pröll ein Vierteljahrhundert lang die Fäden im Land – und nach Ansicht vieler Polit-Beobachter mittelbar auch in der Bundespartei. Es war die Rede vom „System Pröll“, dessen Charakteristik der langjährige schwarze Landtagsmandatar Alfred Dirnberger vor zehn Jahren mit der Beschreibung „Diktatur, Zensur und Repression“ beschrieb.

Der einstige Landesvater konnte schalten und walten, wie er beliebte – bei medialer Kritik drohte er mit dem Abzug von Inseratenschaltungen befreundeter Unternehmen. Ab 2007 flossen zudem insgesamt mehr als 1,35 Mio. Euro an Förderungen aus Steuergeld an die nach dem Alt-Landeshauptmann benannte Privatstiftung mit schwammig formulierten Stiftungszweck. Im Vorstand saßen neben Pröll auch noch der Raiffeisen-Chef sowie der damalige Vizechef der NÖ Landesversicherung.

… das nur scheinbar ausgeschlagen wurde

Pröll ging 2017, die Gelder mussten später zurückgezahlt werden, doch das System blieb. Zur Sicherung von Macht und Geld nutzte man etliche Grauzonen aus. Legten ominöse Grundstückdeals im Weinviertel oder großflächige Werbung für Mikl-Leitner auf einer Schutzwesten-Aktion für den Schulweg vor allem ein bedenkliches Sittenbild offen, lag bei der Wohnbauförderung schon mehr im Argen. Was mit dem Ausverkauf der Immo-Darlehen an eine ausländische Bank begann, endete in einem Verlust von 2,3 Mrd. Euro.

Einzig: Der einstige schwarze Finanzlandesrat sah das anders und hielt die Veranlagungen für „sehr, sehr erfolgreich“. Der Name dieses Mannes: Wolfgang Sobotka, später in einer Postenrochade im Tausch mit Mikl-Leitner ins Innenministerium beordert und heute Nationalratspräsident, dessen Führungsstil in einem Korruptions-U-Ausschuss, in dem er selbst Auskunftsperson war, so parteilich erschient, dass die Oppositionsparteien im Bund dafür den Neologismus „Sobotage“ prägten.

Innenministeriale Interventionen

Der studierte Musiklehrer, dem der Wochenblick im Herbst den wenig schmeichelhaften Titel des „Mostviertel-Dons“ verpasste, sollte einst selbst ins Visier geraten. Laut dem Portal „ZackZack“ soll dieser als Innenminister ein reges System politischer Interventionen unterhalten haben. Es steht der Vorwurf im Raum, dass dies so weit gegangen sei, dass er eine Steuerprüfung bei seinem inzwischen aufgelösten Verein „Alois-Mock-Institut“ einstellen haben lassen. Es gilt die Unschuldsvermutung; das satte Sponsoring von 152.000 Euro seitens nö. Landesunternehmen ist aber unbestritten.

Damit war er aber offenbar nicht alleine: Laut Chatprotokollen des Handys von Michael Kloibmüller – unter Mikl-Leitner und Sobotka ein mächtiger Ressortchef in Innenministerium – soll auch „Hanni“ sich in doppelter Hinsicht im Sinne der „Familie“ betätigt haben. So soll sie vor und nach dem Wechsel in die Landespolitik ihrem Neffen ein Praktikum im Zuständigkeitsbereich ihres Ex-Ressorts verschafft haben. Postenwünsche von Parteifreunden wurden an sie oder den einstigen Adlatus Kloibmüller herangetragen. Für FPÖNÖ-Chef Udo Landbauer zeigte dies, dass die Landeshauptfrau „in der ÖVP-Korruptionsmaschinerie und beim Postenschacher mittendrin statt nur dabei“ ist.

Nützliche Blendgranaten

Immer wieder das Innenministerium – das Kernressort in Wien ist fest in schwarzer Hand, und dabei vor allem in der Hand der ÖVP Niederösterreich. Neben Sobotka und Mikl-Leitner sind beziehungsweise waren auch noch Prokop und der aktuelle Ressortchef Karner aus dem Bundesland dabei. Nehammer ist zwar formell Wiener, aber eng mit dem ÖVPNÖ-Geflecht verwoben. Zu diesen fünf de-facto-Niederösterreichern gesellen sich zwei Oberösterreicher (Strasser, Fekter) und ein Tiroler (Platter) – man stellte in diesem Jahrtausend also die Mehrheit der schwarzen Innenminister.

Wird es heiß, dann ist dabei Angriff stets die beste Verteidigung. Als die Causa um die Wohnbau-Darlehen im Wahlkampf 2018 erneut hochzukochen drohte, kam ihr die aufgebauschte Liederbuch-Affäre, an der FPÖNÖ-Chef Landbauer letztlich keinerlei Schuld hatte, zupass. Und als FPÖ-Bundeschef Kickl mit den „schwarzen Netzwerken“ im Innenministerium aufräumen wollte, forderte die ÖVP im Sog von „Ibiza“ mit einer Argumentation seinen Kopf, weil er angeblich nicht gegen Parteifreunde ermitteln könne. Nach dieser Logik hätte später Nehammer aus dem Amt scheiden müssen, statt zum Kanzler befördert zu werden – auch er war im fraglichen Zeitraum Generalsekretär.

Pyrrhussieg als letzte schwarze Hoffnung

Mikl-Leitner und die ihren treten mit den blau-gelben Landesfarben statt mit der türkisen beziehungsweise schwarzen Parteifarbe und als „Niederösterreich-Partei“ auf. Ähnlich wie in Tirol wohl mit dem Kalkül, die Schwäche der Bundespartei nicht abfärben zu lassen. Doch die Parteizentralen in St. Pölten und Wien sind zu eng verwoben, als dass dies allzu erfolgreich passieren könnte. Kommt die ÖVP im Land mit einem blauen Auge davon, dann hauptsächlich wegen der Schwäche der SPÖ, die davon nicht profitieren kann. Die Freiheitlichen hingegen könnten erstmals die 20-Prozent-Marke knacken.

Und selbst wenn die Volkspartei halbwegs ungeschoren davon kommt: Die schiefen Optiken werden nicht aufhören. Dies illustriert auch die Causa um eine Wohnbaugesellschaft, die nach dem Entzug der Gemeinnützigkeit 52 Mio. an Sanktionszahlungen nach St. Pölten hätte abführen sollen; vor der Insolvenz gingen aber nur 6,6 Mio. Euro ein. Der zuständige ÖVP-Landesrat verließ sich auf mündliche Ratenzusagen. Nun weist er jede Schuld von sich und bestritt die Existenz einer Stundungsvereinbarung, deren mutmaßlich dubioses Zustandekommen hingegen sogar ein Gerichtsurteil als erwiesen sah.