Fünf Lehren aus der Aiwanger-Affäre

Die Entscheidung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, keine Konsequenzen aus der Flugblattaffäre um seinen Koalitionspartner und Stellvertreter Hubert Aiwanger zu ziehen, hat zwar heftige Reaktionen ausgelöst, doch lassen sich daraus auch Lehren ziehen. Welche das sind, erläutert Bruno Wolters in seinem Kommentar für FREILICH.

Kommentar von
4.9.2023
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5 Minuten Lesezeit
Fünf Lehren aus der Aiwanger-Affäre
Markus Söder und Hubert Aiwanger© IMAGO / Sven Simon

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat am Sonntagvormittag in einer eilig einberufenen Pressekonferenz bekannt gegeben, dass er an seinem Stellvertreter und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) festhalten will. Hintergrund ist die Affäre um ein angeblich von Aiwanger als Schüler verfasstes Schmähflugblatt. Er selbst bestritt jede Beteiligung, später bekannte sich sein Bruder zu der Urheberschaft. Mit dieser Ankündigung Söders endete eine tagelange Hexenjagd in der bundesdeutschen Medienlandschaft und Politik. Für einen Akteur des rechten Spektrums gibt es jedoch einige interessante Beobachtungen.

1.) Wer zusammenhält, gewinnt.

Aiwanger und seine Partei haben den von der Süddeutschen Zeitung ausgelösten Shitstorm einfach ausgesessen und konnten so relativ unbeschadet aus dem Medienspektakel hervorgehen. Natürlich gab es viel Kritik, vor allem die politischen Gegner in der Presse und von links rührten die Trommel, um Aiwanger zu beschädigen, aber es zeigte sich, dass diese Kritik wirkungslos blieb. Schaut man in die Kommentarspalten der Sozialen Medien, so hört man viel Zuspruch für Aiwanger. Viele haben das schmutzige Spiel vor der Landtagswahl in einem Monat durchschaut.

Dass dabei ein ehemaliger sozialdemokratischer Lehrer von Aiwanger das angeblich von ihm verfasste Flugblatt jahrzehntelang aufbewahrte, um es dann an Medien weiterzugeben, hat viele Wähler und Beobachter regelrecht angewidert, spricht hier doch ein gewisser denunziatorischer und sabotierender Geist aus den Handlungen des Lehrers. Doch die Geschlossenheit der Partei und Aiwangers engster Umgebung konnte diese Umtriebe abwehren – niemand forderte den Ausschluss Aiwangers oder stürzte sich aus Angst vor den Medien ins eigene Schwert, um seine Sauberkeit zu demonstrieren. Liebe AfD: Unbedingt aufschreiben und das nächste Mal nachmachen, wenn wegen irgendwelcher Chatprotokolle oder ähnlichem eine Sau durchs Dorf getrieben wird! Wer zusammensteht, kann jeden Sturm überstehen.

2.) Geduld zahlt sich aus.

Aiwanger hat sich nicht treiben und zu unüberlegten Handlungen verleiten lassen. Kein Rücktritt, keine ellenlangen Erklärungen und Entschuldigungen, kein tägliches „mea culpa“! Der FW-Parteichef, der in den letzten Tagen sicher nicht die beste Kommunikationsstrategie verfolgte, hat alles richtig gemacht: Er war geduldig, hat abgewartet und ist immer nur so weit über das Stöckchen gesprungen, wie es nötig war.

Aiwanger ist nicht fluchtartig zu einer Gedenkstätte für NS-Verbrechen aufgebrochen oder hat eine Sühnereise nach Israel unternommen – im Gegenteil: Er hat gar nichts getan. Abstreiten der Vorwürfe, sogar eine gewisse Angriffslust war zu spüren. Jetzt hat er den Lohn dafür bekommen: Die Medienkampagne lief ins Leere und Söder hielt an ihm fest. Möglicherweise können die Freien Wähler im Oktober sogar an der Wahlurne davon profitieren.

3.) Das linke Juste Milieu ist verzweifelt.

Dass ausgerechnet ein ehemaliger linker Lehrer Aiwangers diesen Shitstorm entfachte, zeigt die Verzweiflung des Mainstreams. Die wichtigste Waffe der letzten Jahrzehnte, um auch den größten und stärksten Nicht-Linken wieder zu disziplinieren, ist stumpf geworden. Nazivorwürfe interessieren immer weniger. Die großen Töne einer Katharina Schulze von den bayerischen Grünen, die nun durch den angeblichen antisemitischen Vorfall das Ansehen Bayerns beschädigt sah, verpufften allesamt. Auch die sehr angesäuerten Kommentare linker Journalisten, die in München fast die Rückkehr der NSDAP in Gestalt Aiwangers heraufbeschwören wollten, konnten keinen Schaden anrichten. Kein Rücktritt Aiwangers, kein Schwarz-Grün nach der nächsten Wahl. Die Moralisierung der Politik – ein beliebtes Instrument der Linken – funktioniert nicht mehr.

Die Folge ist aber auch, dass wir mit mehr solcher verzweifelten Angriffe rechnen müssen. Linke, die, wie bereits erwähnt, Politik bewusst mit Moral verwechseln, um ihre Ziele zu erreichen, können aus naheliegenden Gründen in der Sache nicht gewinnen. Strom kommt schließlich nicht nur aus der Steckdose und ein Wunsch bleibt nur ein Wunsch. Sie müssen sich also jetzt selbst radikalisieren, um gegen die „Normalisierung“ rechter Politik gewappnet zu sein. Auf Twitter sieht man bereits erste anonyme Akteure, die von einem Zivilisationsbruch schwadronieren und meinen, dass der neue Faschismus über München hereinbreche, weil es für ein dummes Flugblatt keine „Konsequenzen“ gegeben habe.

Der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel hat es auf den Punkt gebracht: Warum soll man sich als Nazi in seiner Jugend deradikalisieren, wenn man 30 Jahre später dafür wieder medial verprügelt wird? Die Wahrheit ist: Die Linke will keine deradikalisierten Nazis, weil ohne das Schreckgespenst „Nazi“ die politische Basis für die Linke wegbricht. Aiwanger hat hier also mehrfach gegen die Regeln des linken Mainstreams verstoßen: Wegen des Flugblatts, das in seiner Schultasche gefunden wurde, und jetzt 2023 mit seiner Nonchalance, „dafür keine Verantwortung zu übernehmen“. Linke mögen eigentlich Nazis – aber nur, wenn sie sich entschuldigen und zurücktreten.

4.) Linke Diskursräume werden kleiner.

Insgesamt bedeuten die obigen Beobachtungen, dass die linken Diskursräume kleiner werden. Die Linke kann immer weniger bestimmen, was gesagt und gedacht werden darf. Das ist für sie natürlich problematisch, aber für alle Nicht-Linken ein großer Gewinn. Vor ein paar Jahren wäre ein Fall Aiwanger, wie er jetzt eingetreten ist, undenkbar gewesen. Aiwanger wäre nach dem ersten Tag zurückgetreten und Söder hätte Krokodilstränen vergossen. Doch nun prallen die Vorwürfe und Machtdynamiken der alten BRD zumindest an CSU und Freien Wählern ab.

Natürlich hat eine Landesregierung andere Spielräume als etwa die AfD, aber die AfD sollte sich dennoch daran halten. Zwar hat die Rechtspartei dazugelernt und ist immer weniger bereit, den täglichen Kotau vor den linken Diskurshütern zu machen, aber der Fall Aiwanger sollte genug Spielraum aufgezeigt haben: Wenn selbst ein Minister so etwas aushalten kann, dann sollte es auch eine Partei können. Die durch den Rückzug der Linken freigewordenen Diskursräume müssen nun aktiv besetzt werden. Nur Mut!

5.) Der scheinkonservative Trick funktioniert leider immer noch.

Eines hat sich jedoch bestätigt: Rechts blinken und links abbiegen geht immer noch. In den Sozialen Medien fanden sich hier und da AfD-Wähler, die nun Aiwanger und die Freien Wähler unterstützen wollen. „Jetzt erst recht!“ – lautete die Devise. Aiwanger hat sich hier als Damm gegen die linke Empörungswelle erwiesen, Söder hat als fränkischer Bulle den Grünen die Stirn geboten – das muss doch jetzt echte rechte Politik und Haltung sein! Nein, bedauerlicherweise nicht. So wie für die Linke das ganze Spektakel ein Desaster ist, ist es für CSU und FW ein Geschenk des Himmels für die nächsten Wahlen.

Der blasse Scheinkonservatismus bekommt durch die Affäre Aiwanger in Bayern vielleicht eine kleine Atempause. Wichtig für jeden AfD-Sympathisanten, aber auch AfD-Mitglied, sollte sein, hier nicht den Christsozialen und Freien Wählern auf den Leim zu gehen. Weder muss man Aiwanger aus falscher Solidarität verteidigen – schließlich wird er ja von den Linken angegriffen – noch muss man ihn jetzt mit der gleichen Keule erschlagen wollen, wie es die Linken versucht haben. Beide Extreme sind falsch. Der richtige Ansatz könnte sein, immer wieder auf die links-grün-konservative Regierung des Kabinetts Söder-Aiwanger in den letzten fünf Jahren hinzuweisen – da gibt es genug Material, sodass weder Anbiederung noch Nazi-Keule nötig sind.


Zur Person:

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Im Sommer 2020 war er Mitgründer des konservativen Onlinemagazins konflikt. Im Jahr 2021 folgte das Buch Postliberal im Verlag Antaios. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei FREILICH. Seine Interessensgebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

Twitter: https://twitter.com/Bruno_Wolters

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