„Der woke Bildungsbürger ist Teil des Problems“
Maximilian Krah hielt am 16. Januar im Hamburger Rathaus eine Rede über das deutsche Bürgertum. FREILICH hat mit ihm über Problembürger, Kaiser Wilhelm II. und seine Klageabsicht gegen Tichys Einblick gesprochen. Zur Veranstaltung hatte die Hamburger AfD unter dem Titel „Das deutsche Bürgertum – eine Erfolgsgeschichte?“ geladen.
FREILICH: Sie haben soeben im großen Festsaal des Hamburger Rathauses eine Rede über das deutsche Bildungsbürgertum gehalten. In einem Saal von überwältigender Schönheit und Pracht. Einem Saal voller Marmor, Fresken, Säulen und Pilastern im Stil des Historismus. Wäre dieses Denkmal auch ohne das deutsche Bildungsbürgertum möglich gewesen?
Maximilian Krah: Nein, das ist Stein und Ornament gewordenes Bürgertum. Und es erinnert uns damit an die gigantische Kulturleistung dieser deutschen Bildungsnation. Und es führt uns im Übrigen auch vor Augen, wie tief wir gesunken sind. Insofern hat das Bürgertum schon einmal gezeigt, was es kann. Wir sollten als politische Rechte immer auch schauen, was wir davon wiederbeleben können. Aber es wäre falsch, aus dieser Idee der Wiederbelebung zu schlussfolgern, dass Bürgerlichkeit die Antwort auf die politischen Herausforderungen unserer Zeit ist. In der Gegenwart ist Bürgerlichkeit ein Habitus, kein politisches Programm.
Sie haben gesagt, dass das deutsche Bürgertum der Treiber des Problems ist, der Treiber des woken Mainstreams. Haben Sie auch eine Lösung?
Zunächst besteht einmal die Frage: Was will die politische Rechte tun, um der woken Welle entgegenzuwirken? Ich denke, eins muss klar sein. Die Antwort auf die Woken ist es sicherlich nicht, ausschließlich auf die Bürgerlichen zu setzen. Sondern uns muss klar sein, dass wir für das Deutschland, das wir haben wollen, diese bürgerliche Tradition wiederbeleben wollen. Aber weil eben die Bürgerlichen tatsächlich Träger des Woken sind, müssen wir erkennen, diejenigen Menschen, die wir erreichen, sind die hart arbeitende untere und mittlere Mittelschicht, die von den politischen Entscheidungen der Woken schwer betroffen sind. Wir müssen zunächst die Verlierer dieser woken Welle von uns zu überzeugen und dann einzelne Vertreter der Bürgerlichen daran zu erinnern, dass die woke Politik auch gegen ihre Interessen verstößt.
Wo ist der deutsche Bildungsbürger zu Hause? In Deutschland, in Europa oder in der Welt?
Die Idee des Bildungsbürgertums ist die Amalgamierung des Bourgeois mit dem akademisch gebildeten Beamten durch die Sozialisationsmaschine der Universität. Die heutige deutsche Massenuniversität ist keine Sozialisationsmaschine mehr, und wenn sie eine wäre, würde alles andere herauskommen als ein Bildungsbürger, der solche Säle wie im Hamburger Rathaus bauen kann. Insofern ist der deutsche Bildungsbürger heute vor allen Dingen eine Chimäre, ein erhabenes Bild der Vergangenheit. Und sicherlich auch eine Hoffnung, dass man es dereinst wieder bewegen kann.
War die Gesellschaft des Kaiserreichs einem Bildungsbürgertum zuträglicher, das Säle wie den Hamburger Rathaussaal konzeptionieren und bauen konnte, als es die bundesrepublikanische Gesellschaft heute ist?
Ich glaube nicht, dass das am ollen Kaiser Wilhelm gelegen hat, dass man solche Festsäle bauen konnte. Hamburg war ja republikanisch. Ausschlaggebend war, dass der Geist die Masse bewegt. Und da geht es in Deutschland um die Rückgewinnung eines Geistes, der ein Verständnis für Tradition, Natur und Nation hat. Und um diesen Geist wiederzugewinnen, brauche ich wahrscheinlich keinen Kaiser Wilhelm mit Zwirbelbart und Pickelhaube. Sicherlich lohnt es sich aber, das Kaiserreich genauer anzuschauen, weil es viele Dinge sehr gut gemacht hat, die heute zu Unrecht schlechtgeredet werden.
Sie sind in der letzten Zeit heftig für Ihre Nähe zu China kritisiert worden. Was sagen Sie zu der Kritik, dass eine engere wirtschaftliche Kooperation mit China – etwa durch eine Kooperation mit Huawei im Bereich der 5G-Technologie – ein Sicherheitsrisiko birgt?
Ich bin kein Verfechter einer engeren Kooperation; ich bin aber dagegen, dass wir uns in einen Wirtschafts- und Sanktionskrieg hineinziehen lassen, weil ich zur Kenntnis nehme, dass der Außenhandel für die deutsche Wirtschaft existenziell ist. Ich bin durchaus dagegen, wirtschaftliche Beziehungen übermäßig auszubauen, weil ich gegen Abhängigkeiten bin. Man darf sich auch nicht von seinem größten Wirtschaftspartner – China – zu abhängig machen.
Was die IT-Infrastruktur und insbesondere 5G angeht, gilt, dass souverän ist, wer Alternativen hat. Es gibt auf der Welt fünf Ausstatter für 5G-Technik. Von diesen sind vier amerikanisch dominiert und einer ist asiatisch, das ist Huawei. Ich denke, dass ein Anteil von 20 Prozent Huawei helfen kann, unsere Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu begrenzen. Würden wir – wie es Angela Merkel damals wollte – Huawei 20 Prozent geben, kann es sein, dass sich dort Sicherheitsfragen ergeben, aber wir gewinnen dadurch Unabhängigkeit.
Der polnisch-amerikanische Journalist Matthew Tyrmand bezeichnet die Kommunistische Partei Chinas als ein „transatlantisches Verbrechersyndikat“, welches die USA und die EU umfassen infiltriert habe. Wie beurteilen Sie diese Aussage als EU-Abgeordneter?
Na ja, es ist ja nun hinlänglich bekannt, dass sich Herr Tyrmand seit Monaten befleißigt, Verleumdungen gegen mich ins Internet zu stellen. Ich halte die derzeitige Stimmung in den Vereinigten Staaten gegenüber China in Teilen für obsessiv. Wir müssen zunächst einmal einsehen, dass China das bevölkerungsreichste Land der Erde ist und dass es damit auch zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde aufgestiegen ist. Das ist – unter Umständen – ein Konkurrenzproblem für die Vereinigten Staaten als einzig verbliebene Supermacht der Welt. Aber für Europa ist das kein Problem, weil wir nicht den Anspruch erheben, weltweit präsent zu sein.
Die Interessenlage der Vereinigten Staaten ist daher nicht zwingend die Interessenlage der Europäer. Unsere Interessenlage besteht darin, auf der Basis der Wahrung unserer Souveränität Handelsbeziehungen zum gegenseitigen und eigenen Vorteil aufzubauen. Uns muss es darum gehen, unsere Industrie am Laufen zu halten. Solange 25 Prozent der chinesischen Autoindustrie in deutscher Hand sind, kann ich vor solchen Eskalationen nur warnen. Wir haben seit dem Ukrainekrieg eine Vervierfachung unserer Energiekosten, würden wir jetzt noch den chinesischen Markt verlieren, hieße das, dass die gesamte deutsche Autoindustrie insolvenzreif wäre. Das mag im amerikanischen Interesse liegen; im deutschen Interesse liegt’s nicht. Insofern werde ich den Konflikt mit Mr. Tyrmand auch lustvoll weiterführen.
Matt Tyrmand wirft Ihnen auf Creative Destruction Media vor, der „Mann der Kommunistischen Partei Chinas in Brüssel“ zu sein. Marco Gallina hat in einem Artikel auf Tichys Einblick nahegelegt, dass Sie durch Geldzuwendungen fremder Staaten zu einem „langen Arm ausländischer Mächte“ geworden sind…
Also, wir haben Tichys Einblick diesbezüglich anwaltlich abmahnen lassen und zur Unterlassung aufgefordert. Dem sind sie nicht nachgekommen. Das Ganze werden wir also ins Klageverfahren überführen. In dem Artikel selbst schreibt Marco Gallina einerseits, ich sei der „lange Arm“ dieser Staaten und schreibt gleichzeitig hinein, es gebe keinen Beweis, dass jemals auch nur ein Cent geflossen sei. Es handelt sich ganz klar um eine Schmähkampagne. Gott sei Dank gibt das deutsche Medienrecht es her, dass man sich nicht verleumden lassen muss.
Wie sieht es denn mit dem US-amerikanischen Medienrecht aus? Beabsichtigen Sie auch, Matt Tyrmand abzumahnen?
Dies nur insofern, wenn er Statements in Deutschland abgibt, weil der Rechtsschutz gegen derartige Unterstellungen nach amerikanischen Recht, wenn man als Verleumdeter selbst Politiker ist, sehr viel schlechter ist. Eigentlich können Sie in Amerika nahezu alles verbreiten, während bei uns der Verbreiter solcher Verleumdungen auch den Beweis erbringen muss. Letztendlich bin ich Politiker in Europa und Deutschland. Das, was in den USA passiert, nehme ich mit einem gewissen Unbehagen zur Kenntnis. In Deutschland muss ich es mir Gott sei Dank nicht bieten lassen, in meinem eigenen Wahlgebiet verleumdet zu werden.
Sie sind in den letzten Monaten von Medien aus dem konservativ-patriotischen Lager angegriffen worden. Unter den Onlinezeitungen wären zu nennen Tichys Einblick und Creative Destruction Media sowie ein Mitschnitt eines Gesprächs mit Ihnen, der von Project Veritas veröffentlicht wurde.
Tichys Einblick würde ich nicht als patriotisch und konservativ bezeichnen. Roland Tichy vertritt eine klassisch liberale Richtung. Creative Destruction Media und Project Veritas stehen ausschließlich mit Matthew Tyrmand in Beziehung. Das heißt, wir haben in Wahrheit nur Mr. Tyrmand. Der wurde in Deutschland ausschließlich von Marco Gallina in einem Artikel auf Tichys Einblick rezipiert. Tyrmand ist der Einzige, der diese Vorwürfe erhebt und Tichy hat davon abgeschrieben.
Was ist mit Herrn Tyrmands Tweet, in den eine Project Veritas-Tonaufnahme von Ihnen eingebettet ist?
Tyrmand ist Project Veritas. Tyrmand ist ein maßgeblicher Mitarbeiter von Project Veritas.
Wer hat den von Tyrmand veröffentlichten Gesprächsmitschnitt mit Ihnen aufgenommen?
Das weiß ich nicht. Ich war in New York. Ich war Ehrengast eines Empfangs des New York Young Republican Clubs, dessen Mitglied ich bin. Offensichtlich war dort jemand, der im Auftrag von Mr Tyrmand mitgeschnitten hat. Ich halte auch mein veröffentlichtes Zitat für völlig unproblematisch, weil ich in der Aussage ja recht behalten habe. Meine Zahlenangabe stimmte ja. Man mag sich über den schlechten Stil echauffieren, dass Gespräche heimlich mitgeschnitten werden, aber der Gesprächsinhalt war komplett harmlos.
Wie ordnen Sie Project Veritas auf dem politischen Spektrum ein?
Was die USA betrifft libertär, was die Außenpolitik betrifft neokonservativ. Project Veritas ist nicht klassisch konservativ, das Projekt vertritt nicht die Idee der Multipolarität und des Partikularismus, sondern es ist globalistisch, universalistisch und neokonservativ. Daher überrascht es mich nicht, dass mich Neocons als bekannten Vertreter einer eher multipolaren Welt und eines ethnopluralen Verständnisses nicht mögen. Wenn jemand wie ich sagt, dass jede Weltregion sich nach ihren eigenen Wertvorstellungen organisieren soll und dass es nicht korrekt ist, dass der Westen aus einer liberalen Überlegenheit heraus allen vorschreibt, was sie zu tun und zu lassen haben, wenn das nicht zu Widerspruch von Verfechtern der Idee des westlichen Globalismus führen würde, dann würde ich etwas falsch machen.
Herr Krah, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Maximilian Krah ist promovierter Jurist und AfD-Abgeordneter im Europäischen Parlament. Der gebürtige Sachse ist seit 2022 Mitglied im Bundesvorstand der AfD und kandidierte im selben Jahr zum Oberbürgermeister von Dresden.
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