Der französische Blick auf Assimilation und Remigration

Nachdem der Begriff „Remigration“ im Februar durch alle Medien geisterte, distanzierten sich der Rassemblement National und Marine Le Pen von diesem Konzept als „völlig antirepublikanisch“ und „antibürgerlich“. In seinem Kommentar für FREILICH erklärt Matisse Royer, was sich hinter dieser Haltung verbirgt.

Kommentar von
23.4.2024
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5 Minuten Lesezeit
Der französische Blick auf Assimilation und Remigration
Marine Le Pen© IMAGO / ZUMA Wire

In den letzten Wochen hat eine Konfrontation zwischen dem Rassemblement National (RN) und der AfD die politische Sphäre der europäischen Rechten vor dem Hintergrund der Migrationspolitik erschüttert. Zum Hintergrund: RN und AfD sind in derselben europäischen Fraktion und Partei, Identität und Demokratie (ID), verbündet. Die Kontroverse hat ihre Wurzeln in der deutschen Politik: Mehrere führende Vertreter der AfD und des konservativen Flügels der CDU trafen sich in Potsdam mit dem identitären Aktivisten Martin Sellner, um über ein Projekt zur „Remigration“ zu diskutieren.

Marine Le Pen sprach sich öffentlich gegen diese Idee aus und forderte eine Klarstellung von der AfD. Die deutsche Partei antwortete, zunächst durch Maximilian Krah, Spitzenkandidat für die Europawahl, dann durch Alice Weidel, Co-Vorsitzende der Partei. Im Kern der Debatte stehen sich zwei Linien gegenüber: Eine Linie der Assimilation, verkörpert durch den RN, und eine Linie der Remigration, verkörpert durch die AfD. Die Wirklichkeit hinter diesen Etiketten ist komplex. Sie soll im Folgenden näher beleuchtet werden.

Ein Streit zwischen Partnern

Zunächst schreibt Maximilian Krah, dass „die Einwanderung massiv beschränkt und vor allem nach Herkunftsregionen differenziert werden muss“. Damit leugnet Krah nicht die Realität der Integration von Ausländern in ein Volk. Dennoch, so Krah, „zeigt die Erfahrung, dass es für bestimmte Gruppen von Einwanderern schwierig, wenn nicht sogar praktisch unmöglich ist, sich an eine deutsche und europäische Umgebung anzupassen“. Remigration findet also vor dem Hintergrund gescheiterter Integration statt. Dabei handelt es sich um ein demokratisches und gewaltfreies Konzept, wie Krah betont: „Es sind nicht die polizeilichen Maßnahmen, die zur Remigration führen“. „Die Remigration derjenigen, die sich nicht integrieren wollen oder können, erfordert ihre Kooperation“, „dafür müssen die richtigen Anreize geschaffen werden“.

Für ihn ist dies erstens der Akt eines „identitätsbewussten Volkes“, das „selbstbewusst seine Ordnung auf seinem eigenen Territorium durchsetzt“. Zweitens gehe es auch um einen Umbau des Wohlfahrtsstaates. Der AfD-Europaabgeordnete stellt fest, dass „der derzeitige Sozialstaat die Einwanderung fördert und die Remigration behindert. Dies muss grundlegend korrigiert werden.“ Schließlich gehe es auch um „gezielte Investitionen in den Herkunftsländern“. Mit den einzelnen Rückkehrländern sollen finanzielle und diplomatische Abkommen geschlossen werden.

Quoten und Zuwanderungsstopp als erster Schritt

Zweitens, so Martin Sellner, müssen Identitäts- und Migrationspolitik miteinander verknüpft werden. Denn der Anteil, den ein Land übernehmen kann, hängt sowohl von seiner identitären Vitalität als auch von sozioökonomischen Faktoren ab. Europa habe heute viel von dieser Vitalität verloren, weil es vom Ethnomasochismus zerfressen sei. Sellner schlägt deshalb ein Quotensystem vor, wie es die USA vor dem Hart-Celler-Act hatten. Angesichts unserer eigenen Identitätsschwäche und der Identitätsstärke der anderen müssen wir die Aufnahmefähigkeit der europäischen Länder bewerten.

Darüber hinaus ist die Remigration in einen rechtlichen, wirtschaftlichen, logistischen und moralischen Kontext eingebettet. Im gegenwärtigen Kontext ist eine Assimilation unmöglich, da die Integrationskapazität sowohl in sozioökonomischer als auch in ethnisch-kultureller Hinsicht überschritten wurde: Die Völker Europas, vor allem im Westen, werden ausgetauscht. Dies sei mathematisch erklärbar. Für Sellner müssen demokratische Wege gefunden werden, um die autochthone Mehrheit zu erhalten.

Assimilation als Stütze für Frankreich

So hat sich Marine Le Pen im Zusammenhang mit der Remigration öffentlich gegen diese Idee ausgesprochen. Obwohl die RN das Geburtsortprinzip ablehnt und straffällig gewordene Ausländer ausweisen möchte, lehnt sie beispielsweise die Remigration von nicht assimilierten Bürgern ab. Marine Le Pen hält dieses Konzept für „völlig antirepublikanisch“ und „antibürgerlich“. Denn für die RN ist die Assimilation ein grundlegender Wert für die Bewahrung der nationalen Identität, die im Sinne einer Willkommenskultur eine Konstante der Akzeptanz des Anderen verkörpert. Die Idee dahinter ist, dass Frankreich diese Aufnahmepflicht hat, da es vor der Welt ein Ideal verkörpert. Die Assimilation würde auch die Chancengleichheit fördern, indem sie allen Bürgern, unabhängig von ihrer Herkunft, die gleichen Möglichkeiten bietet, in unserer Gesellschaft erfolgreich zu sein.

Schließlich wird die Assimilation als ein wesentlicher Pfeiler des Zusammenlebens und der nationalen Einheit angesehen. Das Rassemblement National verkörpert diesen Gedanken sehr gut. In ihr finden sich sowohl gebürtige Franzosen als auch europäische Einwanderer, aber auch Nicht-Europäer wie Schwarze und Araber aus den ehemaligen Kolonien oder frühere Einwanderer, aber auch die Einwanderer von heute und bald die Einwanderer von morgen. Die Einwanderung wird wegen ihrer Masse, ihrer Illegalität, aber auch wegen der gegenwärtigen Schwäche Frankreichs bei der Assimilation kritisiert. Tatsächlich gelingt es Frankreich nicht, sie zu integrieren, das heißt diese Massen dazu zu bringen, Frankreich zu bewundern und zu lieben. Auf dieser Grundlage möchte das Rassemblement National die Einwanderung reduzieren und eine starke Identitätspolitik betreiben, um wieder assimilieren zu können.

Assimilation als administrative Aufgabe

Die Assimilationslinie ist also eine administrative Konzeption der Nation. Ein „Staatsnationalismus“. Der RN verkörpert die Verteidigung des republikanischen Nationalmythos und erkennt nur das französische Volk an, das einfach einer Gruppe von Menschen entspricht, die unter einer gemeinsamen Verwaltung leben. So verleugnet der RN die Realität der Bretagne, Korsikas, des Elsass und Flanderns, indem er sich weigert, ihre Völker anzuerkennen und die Dezentralisierung ablehnt. Die Autonomie wird als Angriff auf die Einheit der Republik betrachtet.

Die vom nationalen Mythos gefärbte Linie des „Staatsnationalismus“ ist eine überholte Auffassung. Die Partei befindet sich immer noch in einer Position der Unterwerfung und Entschuldigung gegenüber der Linken. Offensichtlich hat die französische Partei aufgrund ihrer Eurofeindlichkeit und ihrer Distanz zu Deutschen noch nie von einem der wichtigsten Sätze der deutschen Rechten gehört: „Wer sich distanziert, hat schon verloren“. Dieser Satz hat Zukunft, solange die Franzosen am universalistischen Nationalmythos festhalten, aber angesichts der Realität ändern sich die Meinungen.

Eine Lösung muss gefunden werden

Heute ist die politische Debatte zu begrenzt und es gibt keine politische Antwort auf dieses große Problem, das in der Geschichte der Menschheit beispiellos ist. Wir müssen uns der Grenzen der Einwanderung bewusst werden. Remigration ist nicht die Ablehnung der menschlichen Realität der Assimilation, sie findet in einem individuellen und nicht in einem politischen Kontext statt. Angesichts der gegenwärtigen Einwanderungsinvasion – und das Schlimmste steht uns noch bevor – drängt die Zeit, unseren Untergang zu verhindern.

Assimilation, die dazu neigt, Staatsbürgerschaft mit Volk, Verwaltung mit Nation zu verwechseln, ist nicht der richtige Weg. Europa kann die Massen von gestern, heute und morgen aus Afrika und dem Nahen Osten nicht integrieren. Wir wollen nicht mit Extremisten verwechselt werden, wir stellen nur fest, was wir alle sehen, und wir sprechen uns einfach für ein europäisches Europa aus.

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Zur Person:

Matisse Royer, Jahrgang 2001, studiert Medizin in Südfrankreich und engagiert sich für soziale und politische Belange auf Korsika, in der Bretagne und darüber hinaus in ganz Europa.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.