Asylindustrie: Sächsischer Verein soll sich fast eine Million Euro erschlichen haben
Ein Verein aus Torgau steht im Verdacht, bei der Betreuung minderjähriger Migranten fast eine Million Euro zu Unrecht kassiert zu haben. Dabei geht es um gefälschte Gehaltsnachweise, fingierte Mitarbeiterlisten und persönliche Bereicherung.
In der Migrationswelle 2015/2016 sah der Verein JES eine Chance, seine Dienste anzubieten. Nun müssen sich die Verantwortlichen wegen des Verdachts auf Betrug vor Gericht verantworten. (Symbolbild)
© IMAGO / Funke Foto ServicesLeipzig/Torgau. – Als im Jahr 2015 zahlreiche sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Sachsen kamen, mussten die Landkreise innerhalb kürzester Zeit Unterkünfte und Betreuungsstrukturen schaffen. In dieser Ausnahmesituation bot der Verein „Jung. Engagiert. Sozial” (JES) aus Torgau seine Unterstützung an. Heute steht er im Zentrum eines Prozesses vor dem Landgericht Leipzig – wegen des Verdachts auf massiven Betrug, wie die Leipziger Volkszeitung berichtet.
Vereinsvorsitzende und Buchhalter angeklagt
Die Staatsanwaltschaft erhebt gegen die damalige Vereinsvorsitzende Silvia G. (67) den Vorwurf des gewerbsmäßigen Betrugs. Gegen den Buchhalter Carsten B. (47) den Vorwurf der Beihilfe dazu. Dem Verein wird vorgeworfen, zwischen Februar 2016 und Juli 2017 falsche Angaben gegenüber dem Landkreis gemacht zu haben. Betroffen sind Einrichtungen in Wermsdorf, Dahlen und Trossin.
Laut Anklage haben die Verantwortlichen Gehaltsabrechnungen manipuliert, um höhere Vergütungen abzurechnen. So sollen sie fiktive oder überhöhte Löhne angegeben und Mitarbeiterlisten geschönt haben. Teilweise waren die genannten Personen gar nicht mehr oder nur noch als freie Mitarbeiter tätig. Als das Landratsamt Belege anforderte, sollen gefälschte Dokumente vorgelegt worden sein.
„Druck war enorm“
„769.000 Euro wurden zu Unrecht abgerechnet“, erklärte die Oberstaatsanwältin im Gerichtssaal. „Die tatsächlichen Ausgaben waren wesentlich geringer.“ Der Angeklagten wird vorgeworfen, sich regelmäßig Geld in die eigene Tasche gesteckt zu haben.
Vor Gericht räumte Silvia G. Fehler ein, verwies aber auch auf die außergewöhnliche Situation: „Wir haben uns mit dem Verein ohne Eigenkapital in diese Aufgabe gestürzt. Niemand wusste, wie das in der Kürze der Zeit gelingen soll. Der Druck vom Landratsamt, Fachkräfte einzustellen, war enorm.“ Die Suche nach qualifiziertem Personal sei damals extrem schwierig gewesen.
Notlösung bei Personaleinsatz
Die damalige Leiterin des Jugendamtes bestätigte die angespannten Umstände: „Bei der ambulanten Hilfe mussten deshalb Kompromisse gemacht werden.“ Anstelle einer regulären Betriebserlaubnis erhielt JES eine „Duldung“ – eine Übergangslösung, die geringere Anforderungen an das Personal stellte. So durften neben ausgebildeten Erziehern auch „geeignetes Personal“ ohne formelle Qualifikation eingesetzt werden. Gleichzeitig stellte sie klar: „Der Verein hatte die Pflicht, personelle Veränderungen unverzüglich mitzuteilen.“ Das Jugendamt sei selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Zahlen in den Unterlagen korrekt seien.
„Meine Mandantin war vollständig überfordert“
Silvia G.s Verteidiger betonte die schwierige Lage seiner Mandantin: „Meine Mandantin räumt ein, dass sie vollständig überfordert war.“ Der Druck sei außergewöhnlich hoch gewesen: „Frau G. wurde geradezu angefleht, mit ihrem Verein die geforderten Leistungen zu erbringen.“ Er sprach von „Unzulänglichkeiten“ im Betrieb, wies aber den Vorwurf der Zeugnisfälschung zurück.
Buchhalter Carsten B., der die Lohnabrechnungen erstellt hatte, wies den Vorwurf vorsätzlichen Handelns zurück. Er habe die Angaben von Silvia G. übernommen: „Ich habe das leider alles ohne Prüfung übernommen.“ Auf Nachfrage der Richterin, ob ihm Unstimmigkeiten nicht hätten auffallen müssen, entgegnete er: „Das habe ich nicht erkannt.“ Aufgrund der großen Zahl an Vorgängen könne er sich heute nur noch eingeschränkt erinnern. JES beschäftigte in Spitzenzeiten 60 bis 70 Mitarbeiter. Silvia G. bestätigte, dass fehlerhafte Personalaufstellungen auf ihre Anweisungen zurückgehen könnten: „Es kann sein, dass ich Herrn B. angewiesen haben, das zu unterschreiben.“
Verein in Auflösung – Schadensersatz offen
Der Prozess wird sich voraussichtlich bis November hinziehen und es sind zahlreiche weitere Zeugen geladen. Im Rechtsgespräch deuteten die Juristen laut der Leipziger Volkszeitung an, dass Silvia G. im Falle eines Geständnisses mit einer Bewährungsstrafe zwischen 1,4 und 1,8 Jahren rechnen kann.
Die finanziellen Folgen sind ungewiss. Bereits Anfang 2025 wurde die Angeklagte vom Oberlandesgericht verurteilt, 350.000 Euro an das Landratsamt zurückzuzahlen. Der Verein JES befindet sich in Liquidation und das Haus der Angeklagten wurde laut Angaben ihres Anwalts zwangsversteigert.