Kampf um die Deutungshoheit: Wikipedia nennt Potsdamer Treffen „Plan zur Deportation“

Auf der Wikipedia tobt seit letztem Donnerstag ein Kampf um die Deutung eines Vernetzungstreffens für rechte Projekte vom November des Vorjahres. Wikipedia-Nutzer framen die Konferenz als sinistres Geheimtreffen. Doch es regt sich Widerstand gegen die Politisierung durch linke Wikipedianer.

Analyse von
15.1.2024
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10 Minuten Lesezeit
Kampf um die Deutungshoheit: Wikipedia nennt Potsdamer Treffen „Plan zur Deportation“
Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte Correctiv eine Recherche über ein angebliches Geheimtreffen.© IMAGO / photothek

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist wegen ihrer Diskursmacht bei politischen Artikeln hart umkämpft. Das lässt sich gerade am Artikel „Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam 2023“ beobachten. Der Dokumentarfilmer Markus Fiedler macht „mafiöse Sozialstrukturen“ dafür verantwortlich, dass linke Administratoren die Deutungshoheit über politische Themen an sich reißen konnten. So konnten zwei Wikipedianer im Alleingang die Bundes-AfD und sämtliche Landesverbände als „rechtsextrem“ brandmarken (FREILICH berichtete).

Erster Akt: „Masterplan zur Remigration“

Am Abend des 11. Januar erstellte der Nutzer „Ziko“ den Wikipedia-Artikel „Masterplan zur Remigration“. Tags zuvor hatte das linke Netzwerk Correctiv über einen angeblichen „Geheimplan gegen Deutschland“ berichtet: Bei einem Vernetzungstreffen im November vergangenen Jahres in einer Potsdamer Villa habe Martin Sellner vor Unternehmern und Politikern (AfD und CDU) die „Vertreibung von Millionen Menschen“ aus Deutschland gefordert. Sellners Vorschlag zur Errichtung eines Staates für Remigranten in Nordafrika erinnere an das NS-Projekt, vier Millionen Juden nach Madagaskar zu „deportieren“.

Als Hauptquelle verlinkte Ziko den Spionagebericht des von Steuergeldern und Globalisten finanzierten Netzwerks Correctiv. Der Wikipedianer übernahm auch das Framing von Correctiv, dass es sich bei den Teilnehmern um „Rechtsextremisten“ handele. Für Michael Pfalzgraf liegt hierbei eine „Stigmatisierung“ der AfD vor. Dies sei „Propaganda des politischen Gegners“, so der AfD-Bundes-Pressesprecher gegenüber FREILICH.

Außerdem verlinkte Ziko zwei Artikel, die der Staatsfunk als Reaktion auf die Correctiv-Recherche veröffentlicht hatte: Laut MDR habe Innenministerin Nancy Faeser (SPD) den Spionagebericht als Rechtfertigung für die Überwachung der Oppositionspartei AfD bezeichnet. Die Tagesschau interpretierte Sellners Vortrag über Remigration als Forderung nach der „Vertreibung aller Menschen aus Deutschland“, die einen Migrationshintergrund haben. Sellners Plan sei „rassistisch und verfassungsfeindlich“. Die Remigrationskonferenz sei ein „Baustein“ in einem möglichen AfD-Verbotsverfahren.

„Völliger Schwachsinn“, so Sellner gegenüber FREILICH zu diesen Vorwürfen. Schon lange vor dem Vernetzungstreffen in Potsdam habe er öffentlich über Remigration gesprochen und geschrieben. Von Geheimniskrämerei könne ebenso wenig die Rede sein wie von Massendeportationen.

Wir fragten einen anderen Teilnehmer der Konferenz, was er von dem Wikipedia-Artikel hält. Auch er antwortete: „Absoluter Schwachsinn.“ Die Bezeichnung „Deportation“ sei irreführend. Sellner fordere die Einrichtung von „Sonderwirtschaftszonen“ in Form von autonomen „Charter Cities“. Dieses Konzept sei weit verbreitet. Die AfD habe bereits 2021 einen entsprechenden Antrag im Bundestag eingebracht. Hier könnten Perspektiven für Remigranten und Einheimische entstehen. Entwicklungshelfer und linke Organisationen seien eingeladen, vor Ort zu helfen. Viel unmenschlicher sei das Vorgehen Australiens. Der Inselkontinent pferche derzeit illegale Migranten auf Inseln in Auffanglagern ein.

Der Wikipedia-Nutzer HSV1887 protestierte (archiviert) auf der Diskussionsseite des Artikels erfolglos gegen den Begriff „Deportation“. Mit dem Begriff werde ein „Unrechtsstaat“ assoziiert. Diese „Übertreibung“ sei bewusst gewählt worden. Der Wikipedianer kritisierte (archiviert) die Formulierung „Geheimtreffen“ als ungefiltertes „Framing“. Dies habe nichts mehr mit Neutralität zu tun. HSV1887 ist ein Beispiel dafür, dass nicht alle Wikipedia-Nutzer die Botschaften der Leitmedien unkritisch übernehmen. Mit 141.000 Bearbeitungen gehört er zu den 100 aktivsten Nutzern der deutschen Wikipedia und genießt als Fußballexperte hohes Ansehen.

2. Akt: „Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam 2023“

Der Nutzer Andol betrat zwei Stunden nach der Erstellung des Artikels die Bühne. Der Wikipedianer schrieb: Der Masterplan zur Remigration sei ein vom „Rechtsextremisten“ Martin Sellner vorgestellter „Plan zur Deportation bestimmter Bevölkerungsgruppen aus Deutschland“. Zum Begriff „Deportation“ verlinkte (archiviert) Andol auf den entsprechenden Wikipedia-Artikel. Dort wird Deportation als „Verschleppung“ von „Volksgruppen mit staatlicher Gewalt“ definiert.

Andol berichtet auf seiner Benutzerseite (archiviert) von den eigenen Interessen: Diese liegen im Bereich der „Erneuerbaren Energien“, der „Globalen Erwärmung“ und der „Klimawandelleugnung“. Andol ist seit 2011 in der Wikipedia aktiv und hat bislang 34.000 Bearbeitungen vorgenommen. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich laut Tichys Einblick der Aschaffenburger Grünen-Kreisrat Andreas Lieb. Der „Vollzeit-Wikipedianer“ dulde keine Kritik. Die Artikel zu „Klimaleugner“ und „Energiewende“ habe er fast im Alleingang verfasst. Markus Fiedler schreibt, Andol würde die Wikipedia-Artikel von Wissenschaftlern, die den menschengemachten Klimawandel infrage stellen, im „zersetzerischen Stasi-Stil“ umschreiben. Auf X (früher Twitter) bestreitet Andreas Lieb, mit dem Nutzer Andol in Verbindung zu stehen.

Kurz vor obiger Bearbeitung hatte Andol auf der Diskussionsseite (archiviert) des Artikels ein Problem angesprochen: Remigration klinge „sachlich, wissenschaftlich, irgendwie sauber“. Man dürfe rechte Schlagworte nicht unkritisch übernehmen. Tatsächlich handele es sich bei Remigration um „Zwangs-Deportation“. Der Name des Artikels müsse daher geändert werden.

Nutzer ElLutzo plädierte für die Übernahme des Titels der Correctiv-Spionage „Geheimplan gegen Deutschland“. Der Wikipedianer GregorHelms war für „Masterplan zur Deportation“. Den Gegenvorschlag „Masterplan zur Rückführung“ schmetterte GregorHelms als „Whitewashing“ ab. Darauf habe man „hier keine Lust!“. Diesem Argument pflichtete der Nutzer Lutheraner bei: „Nicht Weißwaschen , [sic] den Dreck muss man Dreck nennen!“

Die christlich geprägten Nutzer GregorHelms und Lutheraner sind ein eingespieltes Team. Gemeinsam hatten sie den Bundes- und alle Landesverbände der AfD als „rechtsextrem“ bezeichnet (FREILICH berichtete). Markus Fiedler sagte gegenüber FREILICH, dass Lutheraner Teil der „Transatlantifa“ sei. Diese Gruppe vertrete in Deutschland einen extrem linken Atheismus. Außenpolitisch unterstützten die Anhänger der Transatlantifa die Beteiligung von EU-Staaten an US-geführten Angriffskriegen.

Bei den Abstimmungen auf der Diskussionsseite (archiviert) setzte sich schließlich die Umbenennung in „Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam 2023“ durch. Die Varianten „Plan zur Massendeportation“, „Lehnitzsee-Konferenz“ und „Geheimplan gegen Deutschland“ fanden keine Mehrheit. Ein Konferenzteilnehmer sagte gegenüber FREILICH, er würde die Veranstaltung als „Vernetzungstreffen rechter Vorfeldprojekte und Unternehmer in Potsdam“ bezeichnen.

3. Akt: „Wo ist hier die Vernunft geblieben?“

Kurz vor Mitternacht am 11. Januar verlinkte der Nutzer YGGDRASIL eine Pressemitteilung der AfD. Die Remigrationskonferenz von Potsdam sei eine private und keine Parteiveranstaltung. Das AfD-Programm werde durch die Veranstaltung nicht beeinflusst. Die Erwähnung einer Pressemitteilung der AfD schmeckte dem Nutzer Schilderwachtmeister überhaupt nicht. Am 12. Januar entfernte er gegen Nachmittag den gesamten Absatz über die Pressemitteilung, den YGGDRASIL zuvor eingefügt hatte. „Von der AfD-Seite übernehmen wir so lange nichts, bis es anderswo Rezeption erfahren hat“, begründete Schilderwachtmeister die Löschung.

Der Nutzer HSV1887 meldete sich gegen Mittag des 13. Januar auf der Diskussionsseite zu Wort: Die Neutralität von Correctiv sei zweifelhaft. Die Zitierfähigkeit des Netzwerks müsse vor dem Hintergrund staatlicher Finanzierung diskutiert werden. Es sei verdächtig, dass das Berliner Ensemble, das im vorletzten Jahr vom Land Berlin mit 18,8 Millionen Euro gefördert worden war, nun „ganz Zufällig [sic]“ auf Grundlage der Correctiv-Spionage eine Leseinszenierung plane. „Wo ist hier die Vernunft, der kritische Geist und die Neutralität geblieben? Ist es nicht mehr möglich eine politsche [sic] neutrale Enzyklopädie zu betreiben, die sich nüchtern mit den Dingen beschäftigt und diese hinterfragt? Der Artikel beinhaltet ja nichtmal [sic] Statements der beschuldigten Personen.“

Der Nutzer ɱ entgegnete: „Ach schön, wie hier Narrative befeuert werden sollen, wie die Frage nach Finanzierung und der Frage nach Interessen. Das ist so durchsichtig. Der kritische Geist hat wohl kein Problem damit, dass eine Massendeportation geplant wird?“

Neutralität als Feindbild: Wikipedianer Jensbest erklärt der AfD auf seiner Benutzerseite den Krieg. Quelle: Screenshot Wikipedia.

Noch deutlicher wird (archiviert) Jensbest auf seiner Benutzerseite: „Keinen Fußbreit den Faschisten von AfD und anderswo“, begrüßt er den Besucher mit einer wohlbekannten Antifa-Parole in fetten Lettern. Wikipedianer, die glaubten, an einer „neutralen Website“ zu arbeiten, seien der „größte Feind der Aufklärung“. Am späten Abend des 13. Januar entfernte Jensbest einen Absatz aus dem Wikipedia-Artikel, der die Ansicht des Cicero-Kolumnisten und SPD-Politikers Mathias Brodkorb zusammenfasste, dass die Bezeichnung „Geheimplan“ nicht zutreffend sei. Dem Wikipedianer zufolge sei das „Koluimen-Gestammel [sic] von Brodkorb […] keine ‚Berichterstattung‘“. Die Löschung von Jensbest wurde jedoch kommentarlos durch den Nutzer Aka wieder rückgängig gemacht.

Jens Best und die Wikipedia: Im Oktober 2019 berichtete Jens Best über eine Wikipedia-Konferenz in Wuppertal. Fünf Monate später kritisierte er, dass der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke in der Wikipedia nicht als „rechtsextrem“ bezeichnet werde. Quelle: Screenshot X (links) und (rechts).

Der Wikipedia-Nutzer Jensbest hat einen Namensvetter bei der hessischen SPD. Auf der Internetseite der hessischen Sozialdemokraten rezensierte Jens Best das Buch Die sozialdigitale Revolution. Im Mai 2018 fungierte er als Ansprechpartner für den Zukunftskongress eines „Roten Netzwerks“. Auf X berichtete der Nutzer jensbest über seine Teilnahme an einer Wikipedia-Konferenz in Wuppertal und bezeichnete den Thüringer AfD-Chef als „Faschist“. Ob es sich bei dem Wikipedia-Nutzer und dem hessischen SPD-Politiker um dieselbe Person handelt, kann vermutet werden, ist aber nicht abschließend geklärt.

Epilog

Ein Teilnehmer der Konferenz stellt die Neutralität von Correctiv gegenüber FREILICH infrage. Das linke Netzwerk sei ein „Privatgeheimdienst der Regierung“. Denn Correctiv werde von der Bundesregierung bezahlt und habe ein privates Vernetzungstreffen mit geheimdienstlichen Mitteln ausspioniert. Im Hotel habe er einen Gast getroffen, von dem man erst später erfahren habe, dass er für Correctiv arbeitet. Der Gast sei mit einem Koffer durch die Hotelgänge gelaufen und habe vermutlich den Konferenzsaal verwanzt. Noch während der Konferenz sei er aufgebrochen. Auf die Frage, ob er auschecken wolle, habe der Gast geantwortet: „Bin eh’ auf dem Weg zu gehen.“

Den Teilnehmer wundert es nicht, dass die Recherche knapp zwei Monate nach der Konferenz veröffentlicht wurde. Dem Establishment gehe es darum, nach dem Abflauen der Bauernproteste Einfluss auf die Europawahlen und die gerichtliche Entscheidung zu nehmen, ob der Verfassungsschutz die AfD als „rechtsextremen Verdachtsfall“ ausspionieren darf. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster wird für Ende Februar erwartet.