Wie ein einzelner Wikipedia-Nutzer die AfD als „rechtsextrem“ brandmarkt

Der Nutzer GregorHelms hat fast im Alleingang alle AfD-Landesverbände in der Wikipedia als „rechtsextrem“ markiert. Wer ist der anonyme Nutzer und was hat das Bundesinstitut DIMR damit zu tun?

Analyse von
12.1.2024
/
10 Minuten Lesezeit
Wie ein einzelner Wikipedia-Nutzer die AfD als „rechtsextrem“ brandmarkt
Für viele Menschen ist die Wikipedia eine wichtige Anlaufstelle, wenn es um Informationsbeschaffung geht.© IMAGO / Kirchner-Media

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist das mit Abstand beliebteste Nachschlagewerk in Deutschland. Aufgrund dieser Diskursmacht ist die Enzyklopädie bei politischen Artikeln hart umkämpft. Markus Fiedler spricht in seiner Dokumentation Die dunkle Seite der Wikipedia von „mafiöse[n] Sozialstrukturen“. Linke Admins würden „Rufmord“ betreiben und Informationen unterdrücken.

GregorHelms und die AfD

Der anonyme Nutzer „GregorHelms“ kündigte vor zwei Tagen in einem Diskussionsforum auf der Wikipedia an, über die Remigrationskonferenz von Potsdam „einen eigenen Artikel zu dieser konspirativen braunen Schweinerei“ anzulegen. Zuvor hatte Correctiv ein Treffen von AfD-Politikern, Unternehmern und Aktivisten ausspioniert und als „Geheimplan gegen Deutschland“ skandalisiert.

GregorHelms präsentiert auf seiner Wikipedia-Benutzerseite seine zahlreichen Einträge über das Christentum. Screenshot Wikipedia.

Auf seiner selbst gestalteten Benutzerseite (archiviert) befindet sich das christliche Fischsymbol mit griechischen Buchstaben. GregorHelms präsentiert seine selbst angelegten Portale über Baptismus, die Bibel, Freikirchen, Ostfriesland und die Täuferbewegung. Auch die Einträge über den bayerischen AfD-Politiker „Daniel Halemba“ und die „Schmähkampagne gegen die Partei Bündnis 90/Die Grünen“ des rechten Journalisten David Bendels stammen von ihm. GregorHelms kommt nach eigenen Angaben aus Ostfriesland. Sein Konto registrierte er 2004. Mit bislang 50.000 Bearbeitungen gehört er zu den aktiveren Wikipedianern.

GregorHelms nahm die bislang folgenreichste Bearbeitung für die AfD am 12. Juni 2021 vor. Im Wikipedia-Artikel der AfD ersetzte er die Bezeichnung „in Teilen rechtsextreme politische Partei“ durch „rechtsextreme politische Partei“.

Google-Suchergebnis: Bei einer Suche nach „AfD“ taucht die Wikipedia meist ganz oben unter den organischen Ergebnissen auf. Quelle: Screenshot.

Die Platzierung des Adjektivs „rechtsextrem“ im ersten Satz des Wikipedia-Artikels hat erhebliche Auswirkungen auf die öffentliche Wahrnehmung der AfD. Wikipedia ist nicht nur für Schüler, Studenten und Journalisten häufig die erste Anlaufstelle bei der Recherche. Suchmaschinen platzieren die Wikipedia beim Keyword „AfD“ regelmäßig unter den Top-Plätzen. In den Suchergebnissen erscheint „rechtsextrem“ gut sichtbar, noch bevor ein Nutzer überhaupt auf den Link zum Wikipedia-Artikel geklickt hat.

Deutsches Institut für Menschenrechte

GregorHelms belegte seine Bearbeitung mit dem Tagesspiegel-Artikel der Journalistin Andrea Dernbach vom 7. Juni 2021: „National-völkische Positionen: Die AfD – bürgerlich und populistisch? Nein, rechtsextrem und rassistisch“. Dernbach berichtete über eine Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR). Die Studie attestiert der AfD, mit „rassistischen und rechtsextremen Positionen“ gegen die Menschenwürde zu verstoßen.

Michael Meyen ordnet den Vorgang ein. Gegenüber FREILICH sagte der Kommunikationswissenschaftler: „Wenn ich eine Person oder eine Organisation (etwa: die AfD) diffamieren will, brauche ich folglich nur einen Berichterstattungsanlass (etwa: eine Studie) und einen freien Journalisten beziehungsweise eine Redaktion, die darauf eingehen.“ Denn Leitmedien wie der Tagesspiegel und das DIMR gelten in der Wikipedia als verlässliche Quellen, so Meyen.

Beate Rudolf und Michael Windfuhr waren vor ihrer Tätigkeit als Direktoren des DIMR für Organisationen der Vereinten Nationen beziehungsweise der Evangelischen Kirche in Deutschland tätig. Das Gesetz über die Rechtsstellung des DIMR bezeichnet das Institut als „unabhängige nationale Institution der Bundesrepublik Deutschland“. Bund und Länder finanzierten das DIMR 2022 mit 6,9 Millionen Euro.

Andrea Dernbach beantwortete eine Anfrage, ob ihr die Studie des DIMR vorab zur Verfügung gestellt wurde, nicht. Denn zwischen der Veröffentlichung der Studie und Dernbachs Artikel liegen nur 69 Minuten. Auch die Frage, wie sie die Tatsache bewerte, dass die Bezeichnung der AfD in der Wikipedia als „rechtsextrem“ auf ein staatlich finanziertes Institut zurückgeht, ließ Dernbach unbeantwortet.

Meyen sagte gegenüber FREILICH, dass die Bezeichnung der AfD als „rechtsextrem“ zu einer gesellschaftlichen Stigmatisierung führen könne. Olaf Scholz habe in seiner Regierungserklärung den Rechtsextremismus als „größte Bedrohung für unsere Demokratie“ bezeichnet. Wer als „rechtsextrem“ markiert sei, werde nicht mehr zu Veranstaltungen eingeladen und finde schwerer Räumlichkeiten, werde weniger angehört und zitiert.

Lutheraner und GregorHelms gegen AfD-Landesverbände

Bei der Markierung der AfD-Landesverbände als „rechtsextrem“ konnte GregorHelms auf die Mitarbeit eines weiteren christlich orientierten Nutzers zählen. Am 27. Juli 2021 fügte der Nutzer „Lutheraner“ dem Wikipedia-Artikel über die AfD Rheinland-Pfalz die Bezeichnung „rechtsextremistisch“ hinzu. Lutheraner präsentiert auf seiner Benutzerseite (archiviert) die Lutherrose, bezeichnet sich als evangelisch-lutherisch und bekennt sich zur Covid-Impfung. Eigenen Angaben zufolge kommt er aus Dortmund. Lutheraner registrierte sein Konto 2007. Mit bisher 265.000 Bearbeitungen gehört er zu den 100 aktivsten deutschsprachigen Wikipedianern.

Die Bearbeitung von Lutheraner führte zum Ausbruch eines jahrelangen Editwars. Dutzende Male wurde „rechtsextremistisch“ vollständig entfernt oder durch „wertkonservativ“, „liberal-konservativ“, „rechts“ „bürgerorientiert“ und „rechtskonservativ“ ersetzt. Auch GregorHelms stürzte sich nun auf Seiten Lutheraners ins Getümmel und machte die Bearbeitungen der Gegenseite rückgängig. Ein Gegner von GregorHelms kritisierte: „Die AfD ist eine demokratisch gewählte Partei, sowie jede andere Partei. Wäre die AfD rechtsextrem so würde dies vom Verfassungsschutz ausreichend publiziert. Das Gegenteil ist der Fall, da der VS mit seinen Aussagen sogar zurückrudern musste.“

Auf der Diskussionsseite (archiviert) der AfD Rheinland-Pfalz tauschten die Kriegsparteien ihre Argumente aus. Ein Nutzer schrieb, es gebe keine „objektive Quellengrundlage“ dafür, dass die AfD rechtsextremistisch sei. Lutheraner entgegnete: „Whitewashing gibt’s nicht.“ Dies sah auch GregorHelms so. Auf den Einwand, dass die AfD Rheinland-Pfalz einer der gemäßigteren Landesverbände sei, schrieb er am 26. Juni 2022: „Danke für den Hinweis; dann sollten wir bei den anderen LV’s der rechtsextremen AfD dieses Attribut einfügen, oder? MfG“

Gesagt, getan. Am nächsten Tag nahm sich GregorHelms die restlichen 15 Landesverbände vor. Die folgende Chronik zeigt, dass er in zwei Schichten zu Werke ging: Von 8:39 Uhr bis 9:17 Uhr wurden die ersten zehn Landesverbände als „rechtsextrem“ markiert. Von 17:44 bis 17:50 kamen die letzten fünf Verbände an die Reihe.

·         Rheinland-Pfalz: 27. Juli 2021 um 0:58 Uhr

·         Bayern: 27. Juni 2022 um 8:39 Uhr

·         Baden-Württemberg: 27. Juni 2022 um 8:40 Uhr

·         Brandenburg: 27. Juni 2022 um 9:08 Uhr

·         Berlin: 27. Juni 2022 um 9:10 Uhr

·         Hessen: 27. Juni 2022 um 9:11 Uhr

·         Niedersachsen: 27. Juni 2022 um 9:12 Uhr

·         Nordrhein-Westfalen: 27. Juni 2022 um 9:13 Uhr

·         Sachsen: 27. Juni 2022 um 9:14 Uhr

·         Thüringen: 27. Juni 2022 um 9:16 Uhr

·         Mecklenburg-Vorpommern: 27. Juni 2022 um 9:17 Uhr

·         Hamburg: 27. Juni 2022 um 17:44 Uhr

·         Bremen: 27. Juni 2022 um 17:46 Uhr

·         Schleswig-Holstein: 27. Juni 2022 um 17:47 Uhr

·         Sachsen-Anhalt: 27. Juni 2022 um 17:49 Uhr

·         Saarland: 27. Juni 2022 um 17:50 Uhr

Wie bei der Bundes-AfD hat die Markierung als „rechtsextrem“ auch für die Landesverbände negative Folgen. Denn bei Wikipedia-Recherchen und in Google-Suchergebnissen erscheint nun an prominenter Stelle die negativ konnotierte Bezeichnung „rechtsextrem“.

Google-Suchergebnis: Bei einer Suche nach „AfD Mecklenburg-Vorpommern“ taucht die Wikipedia meist ganz oben unter den organischen Ergebnissen auf. Quelle: Screenshot.

Michael Pfalzgraf ist pessimistisch, was die Behandlung seiner Partei in der Wikipedia angeht. Der AfD-Pressesprecher sagte gegenüber FREILICH, die Trägerorganisation Wikimedia Foundation sei vom „links-grünen Zeitgeist durchzogen“. Selbst gut begründete Bearbeitungen von AfD-Artikeln seien nur schwer durchsetzbar. Im Gegensatz zur deutschen Wikipedia sei die Autorenschaft in der englischen Wikipedia diverser. Dies zeige sich daran, dass der englische AfD-Artikel die Partei nicht als undemokratisch bezeichne (archiviert). Die Markierung der AfD als „rechtsextrem“ sei unbegründete „Propaganda des politischen Gegners“, so Pfalzgraf.

Pfalzgrafs Pessimismus ist nicht unberechtigt. Denn GregorHelms wacht mit Argusaugen über sein Framing der AfD als „rechtsextrem“. Als der Nutzer Mirmok12 Ende März 2023 die Bezeichnung der AfD Berlin von „Landesverband der rechtsextremen Partei AfD“ in „Landesverband der deutschen Partei AfD“ änderte, machte GregorHelms die Bearbeitung eine Woche später wieder rückgängig. Die Bearbeitung kommentierte er mit den Worten „whitewashing beseitigt.“ Man darf gespannt sein, was GregorHelms noch alles in petto hat. Neben einem Artikel über die Remigrationskonferenz von Potsdam plant (archiviert) er aktuell einen Artikel über einen der Konferenzteilnehmer. Dazu muss er allerdings noch den Widerstand seines Erzfeindes Mirmok12 aus dem Weg räumen.