Die „Letzte Generation“ stößt auf immer breitere Ablehnung

In den letzten 16 Monaten wurde in den Medien viel über „Klimakleber“, Straßenblockaden und Anschläge auf Bilder oder Gebäude berichtet. Obwohl es auch Befürworter der Proteste der „Letzten Generation“ gibt, lehnt die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland und Österreich die von der Gruppe gewählte Aktionsform mehrheitlich ab. Anzeichen für ein baldiges Verbot der Gruppe gibt es jedoch nicht.

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Die „Letzte Generation“ stößt auf immer breitere Ablehnung
Ein "Klima-Kleber" wird von der Straße entfernt© IMAGO / photothek

Schmieren, kleben, blockieren – bereits seit über einem Jahr begleiten uns die Proteste der „Letzten Generation“ in Form von Farbattacken, Klebeaktionen und Straßenblockaden. Weltweit protestieren Mitglieder der Gruppierung für die „Klimarettung“. Die konkreten Forderungen, um dieses Ziel zu erreichen, haben sich seit der Gründung aber gewandelt. Zu Beginn, also Ende 2021, verlangte der deutsche Ableger von der deutschen Bundesregierung in erster Linie eine Agrarwende hin zu nachhaltiger Landwirtschaft sowie ein Essen-Retten-Gesetz. Supermärkte müssten der Gruppe nach dazu verpflichtet werden, noch genießbares Essen nicht wegzuwerfen, sondern zu spenden. In diesem Zusammenhang kam es in der deutschen Bundeshauptstadt am 24. Januar 2022 zur ersten Autobahnblockade. Es folgten fünf weitere Wochen, in denen Autobahnen blockiert und schließlich auch Häfen und Flughäfen am normalen Betrieb gehindert wurden.

Nach einer kurzen Phase Ende des vergangenen Jahres, in der es vermehrt zu Farb- und Klebeattacken auf historisch wertvolle Gemälde gekommen war, scheint sich die Gruppe in den letzten Monaten wieder auf Straßenblockaden in großen Städten und auf wichtigen Hauptverkehrsadern sowie auf die Forderung nach einem Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen, einem dauerhaften 9-Euro-Ticket und den Stopp neuer Öl- und Gasbohrungen zu konzentrieren. An der von der Gruppe gewählten Form des Protests gibt es vonseiten der Politik und der Bevölkerung allerdings regelmäßig scharfe Kritik.

„Letzte Generation“ ignoriert behördliche Befehle

Seit Beginn der Proteste kam es in Deutschland und Österreich in mehreren Bundesländern zusammengezählt zu zahlreichen Einsätzen. Im Land Brandenburg wird die Zahl der Einsätze, die im Zusammenhang mit der „Letzten Generation“ stehen, statistisch zwar nicht gesondert erfasst. Eine Sprecherin teilte auf FREILICH-Anfrage jedoch mit, dass es im Land Brandenburg seit Januar 2022 zu drei Straßenblockaden kam. Darüber hinaus gab es zwei Einsätze im Zusammenhang mit Blockadeaktionen am Flughafen BER und dem Museum Barberini in Potsdam. Zu wie vielen Einsätzen die Landespolizei in Berlin ausrücken musste, konnte auf Anfrage noch nicht geklärt werden. Man verwies FREILICH auf eine längere Bearbeitungszeit. Eine Anfrage bezüglich der aktuellen Zahlen zu Blockadeaktionen an die „Letzte Generation“ blieb indes gänzlich unbeantwortet. Stand 19. Januar sollen es laut damaligen Angaben allein in Deutschland aber 1.250 gewesen sein.

Auch für Österreich gibt es keine genauen Zahlen von offizieller Stelle. Auf Anfrage von FREILICH konnte das Bundesinnenministerium stellvertretend nur Zahlen für das Bundesland Wien nennen. Demnach wurden im vergangenen Jahr in Wien an 17 Tagen insgesamt 29 Blockadeaktionen durchgeführt, an drei Tagen gab es mehrere Blockadeaktionen pro Tag, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums (BMI) gegenüber FREILICH erklärte. Im neuen Jahr kam es bislang zu drei konzentrierten „Aktionswochen“ mit entsprechendem Einsatzaufkommen. Bei den Einsätzen selbst würden Mitglieder der „Letzten Generation“ die behördlichen Befehle zwar ignorieren, später aber keinen aktiven Widerstand gegen die versammlungs- oder sicherheitspolizeilichen Maßnahmen der einschreitenden Beamten leisten, wie der BMI-Sprecher erklärte.

Heftige Kritik nach Tod von Patienten

Für besonders viel Aufregung und Diskussionen bis weit über die Landesgrenzen hinweg sorgte vergangenen Herbst der Tod einer Radfahrerin, welche in Folge eines Unfalls in Berlin verstorben war. Ein Spezialfahrzeug, das helfen sollte, die Verletzte unter dem Lkw zu befreien, stand damals in einem Stau auf der Stadtautobahn, der durch eine Straßenblockade der „Letzten Generation“ ausgelöst worden war. Der Vorwurf der fahrlässigen Tötung stand im Raum. Mitte April hat die Berliner Staatsanwaltschaft die strafrechtliche Verantwortung zweier Aktivisten allerdings verneint. Zwar ergaben die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, dass die Straßenblockade „tatsächlich zu einer zeitlichen Verzögerung von drei Minuten bei einem Einsatzleiterfahrzeug und von acht Minuten bei dem Rüstwagen“ geführt hatte, auf deren Eintreffen kam es demnach aber nicht mehr an. Die Aktivisten wurden entlastet, es bleibt jedoch ein bitterer Nachgeschmack. Denn Anfang März hatte das in Sachsen bekannte Mitglied der Gruppierung, Christian Bläul, in einem Beitrag bei Sachsenfernsehen mit folgenden Worten aufhorchen lassen: „Eine Sache, auf die ich im Hinterkopf immer mental vorbereitet bin, ist, dass in unserem Stau jemand stirbt. Das wäre wahnsinnig schwer zu ertragen. Aber das ist etwas, was wir zumindest ein Stück weit riskieren müssen.“ Kritiker sahen in den Aussagen den finalen Beleg der kriminellen und gefährlichen Energie hinter der selbsternannten Klimaschutzgruppe.

Aktuell sind jedoch alle Augen auf den österreichischen Ableger der „Letzten Generation“ gerichtet. Eine Protestaktion Mitte vergangener Woche am Verteilerkreis in Wien-Favoriten hatte laut Polizei ein Rettungsfahrzeug blockiert, das auf dem Weg zu einem Reanimationseinsatz in Niederösterreich war. Wie ein Sprecher der Berufsrettung Wien gegenüber FREILICH bestätigte, steckte ein Notarzteinsatzfahrzeug rund 250 Meter vor einer Straßenblockade der „Letzten Generation“ im Stau. In einer Stellungnahme von Donnerstag beteuert die „Letzte Generation“, dass es eine Rettungsgasse gegeben habe. „Wie bei jedem unserer Proteste war auf einer Fahrspur niemand festgeklebt, um diese im Ernstfall sofort aufmachen zu können. Es gab kein Anzeichen eines Notfalls.“ Die Sprecherin der Wiener Berufsrettung, Corina Had, bestätigte jedoch die Angaben der Exekutive, wonach die Fahrbahn erst nach Einschreiten der Polizei für eine Durchfahrt frei war. Nachdem es sich um einen Einsatz im Grenzgebiet gehandelt hatte, wurden auch Teams in Niederösterreich alarmiert, die die notfallmedizinische Versorgung des Patienten durchgeführt haben, erklärt der Sprecher gegenüber FREILICH. Trotz aller Bemühungen verstarb der Patient aber noch bevor die Wiener Rettung am Einsatzort eintraf.

Breite Ablehnung der Proteste in der Bevölkerung

In der Bevölkerung stößt die „Letzte Generation“ mit ihrer Form des Protests auf immer breitere Ablehnung. Das zeigen zwei Umfragen aus Deutschland und Österreich. So beurteilen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für den SPIEGEL insgesamt 79 Prozent der Deutschen die Aktionen der Gruppierung als „eher falsch“ oder „eindeutig falsch“. Die Zustimmung für die Aktionen der „Letzten Generation“ ist dementsprechend niedrig. Lediglich 16 Prozent gaben an, sie als „eindeutig richtig“ oder „eher richtig“ anzusehen. Fünf Prozent sind in Bezug auf die Proteste unentschieden. Der Umfrage zufolge halten viele Deutsche eine Radikalisierung der Gruppe für möglich. Die Frage, ob ihnen dies Sorge bereitet, beantworteten 70 Prozent mit „ja, auf jeden Fall“ (57 Prozent) oder „eher ja“ (13 Prozent).

Dass die „Letzte Generation“ Ziele wie das Ende der Nutzung fossiler Brennstoffe bis 2030 über zivilen Ungehorsam überhaupt erreichen wird, kann sich Dirk Spaniel, verkehrspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion indes nicht vorstellen. „Dafür ist die Forderung doch zu unrealistisch“, so Spaniel gegenüber FREILICH. Es stehe aber fest, dass die Gruppierung medial befördert wahnsinnige Aufmerksamkeit bekomme. In diesem Zusammenhang kritisierte er auch das jüngste Treffen zwischen Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) mit Vertretern der „Letzten Generation“. Seines Erachtens nach ein Skandal. Die Gruppierung verstoße mit ihren Aktionen regelmäßig willentlich und organisiert gegen geltendes Recht, kritisiert der AfD-Politiker. „Wenn sogar Rettungskräfte daran gehindert werden, zu helfen, dann ist für mich ganz klar eine rote Linie überschritten“. Die einzige Konsequenz, die sich daraus ergeben kann, ist, die „Letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung einzustufen, zu überwachen und gegebenenfalls zu bestrafen. Vom Staat verlangt er deshalb, der ungeteilten Schutzpflicht, die gegenüber den Bürgern besteht, auch nachzukommen. Denn „Gewalt gegen Sachen ist die Vorstufe zu Gewalt gegen Menschen“, mahnt Spaniel und verweist auf die Entwicklung der 68-er Bewegung, die sich im Verlauf ihres Bestehens immer weiter radikalisiert hatte. Für die permanenten Rechtsverstöße der Gruppierung gebe es keine Rechtfertigung, erklärt der Politiker, auch dann nicht, wenn es angeblich der richtigen Sache diene. „Wir lachen heute über Massenwahn und Weltuntergangsängste aus der Vergangenheit. Die gleichen Verwirrten leben aktuell unter uns, terrorisieren die Mehrheit der Bevölkerung und bekommen dafür in den Medien auch noch die große Bühne.“

Inzwischen äußern sich auch die Grünen in Deutschland regelmäßig kritisch zu den Protestformen der „Letzten Generation“. Wirtschaftsminister Robert Habeck bezeichnete die Aktionen der Gruppe jüngst etwa als „politisch falsch“ und schließt sich damit auch der Meinung der Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Britta Haßelmann, an. Vor rund zwei Wochen erklärte diese im ARD-Morgenmagazin, dass sie die Form der Proteste ablehne.

Sogar von „Kollegen“ bekam die „Letzte Generation“ in jüngerer Vergangenheit Gegenwind. So warf der deutsche Ableger von „Fridays for Future“ den Mitgliedern der „Letzten Generation“ vor, mit ihren Aktionen die Gesellschaft zu spalten. Die Klimakrise brauche gesamtgesellschaftliche Lösungen, sagte die Sprecherin von „Fridays for Future“ in Deutschland, Annika Rittman, der Deutschen Presse-Agentur. „Die finden wir nicht, indem wir Menschen im Alltag gegeneinander aufbringen.“

Hafenecker (FPÖ) fordert Konsequenzen

Auch in Österreich steht die Bevölkerung der Gruppierung kritisch gegenüber. Laut einer Umfrage vom Februar sehen 49 Prozent der Befragten die Klebeaktionen als „sehr negativ“, 18 Prozent als „eher negativ“, nur 16 Prozent stehen „voll dahinter“ beziehungsweise „eher dahinter“. Dementsprechend würden 53 der Befragten härtere Strafen für die „Klima-Kleber“ begrüßen. Auch wenn die Hälfte der Befragten es für wichtig hält, den Klimawandel zu thematisieren, so ist der Großteil doch eher desillusioniert, was den Erfolg der Aktionen anbelangt. 82 Prozent glauben eher oder gar nicht daran, dass die Demonstrationen zu einem klimafreundlichen Verhalten führen.

Diese Stimmung spiegelt sich auch in Kommentaren unter den Beiträgen des österreichischen Ablegers der „Letzten Generation“ wider. Die Reaktionen auf geteilte Videos und Fotos fallen überwiegend negativ aus. Viele Nutzer werfen den Mitgliedern der Gruppierung vor, dass es sich beim Protest nicht mehr um „zivilen Widerstand“ handle, sondern um tagtägliche Nötigung von Verkehrsteilnehmern.

„Unsere Proteste stören den Alltag vieler Menschen, und diese Störung tut uns leid. Wir würden damit am liebsten sofort aufhören“, schreibt die „Letzte Generation“ in einem Beitrag auf Twitter. Einige Nutzer verlangten daraufhin von der Gruppierung, endlich zu den Regierungsverantwortlichen zu gehen und sich vor die Tiefgarage des Parlaments zu kleben, anstatt die arbeitende Gesellschaft zu stören.

Auch der verkehrspolitische Sprecher der FPÖ, Christian Hafenecker, kritisierte gegenüber FREILICH die Aktionsform der „Letzten Generation“, bei der es sich seiner Meinung nach um eine „sektenartige Gruppierung“ handelt. „Mit Straßenblockaden und anderen gesellschaftsschädlichen Aktionen werden die Klima-Kleber mit Sicherheit nicht an ihre Ziele kommen, auch wenn sie offensichtlich durch die derzeitige Regierung und besonders die Grünen Narrenfreiheit in ihrem als Aktionismus getarnten Terrorismus genießen.“ In einer Demokratie gebe es immer die Möglichkeit, gesellschaftlichen Unmut in friedfertigen und geordneten Formen zum Ausdruck zu bringen – etwa durch Demonstrationen, Petitionen und Bürgerinitiativen oder aktivistischen Protest, der keine Menschen gefährde, so Hafenecker. „Eine ganze Gesellschaft in Geiselhaft zu nehmen, für eine sektiererische Ideologie, mit Maßnahmen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, lehne ich allerdings strikt ab.“

Der freiheitliche Politiker spricht sich in diesem Zusammenhang klar für eine Verschärfung der Gesetzeslage und ein konsequentes Vorgehen der Behörden gegen die Gruppierung „und besonders ihrer Financiers“ aus. Bezüglich des Vorfalls am vergangenen Mittwoch in Wien werden die Freiheitlichen außerdem auf parlamentarischem Wege Antworten von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) fordern, kündigte Hafenecker gegenüber FREILICH an.

In einer Videobotschaft forderte Hafenecker bereits vergangene Woche Konsequenzen. So sollte den Mitgliedern der Gruppierung der Führerschein abgenommen werden. „Jemand, der das Autofahren so sehr hasst und gleichzeitig die Sicherheit des Verkehrs so sehr gefährdet, der kann unmöglich in der Lage sein, selbst ein Fahrzeug zu lenken.“ Zudem müsse man die „Geschäftsfähigkeit der Klima-Chaoten überprüfen und sehen, ob man hier seitens der Behörden nicht ebenso handeln muss“. Denn wenn sich jemand auf Fahrbahnen und Autobahnen klebt, „gefährdet er sich massiv selbst“, meint Hafenecker. Ähnlich äußerte sich sein deutscher Amtskollege, Dirk Spaniel, gegenüber FREILICH: „Vielleicht sollten die Akteure der ‚Letzten Generation‘ nicht nur strafrechtlich, sondern auch therapeutisch betreut werden“.

Dass die „Letzte Generation“ in naher Zukunft unter Beobachtung gestellt wird, ist nach aktuellem Stand eher unwahrscheinlich. Erst Mitte März hatte das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, über keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Einstufung der Klimagruppierung „Letzte Generation“ als extremistisch zu verfügen.