Deutschland steht auf: Eindrücke von der Bauerndemo in Halle

Seit vergangenem Montag demonstrieren in ganz Deutschland tausende Landwirte gegen die Sparpläne der Ampelregierung. Anders als bei den letzten großen Protesten der Coronademos begehrt mit den Bauern und Co. eine gesellschaftlich sehr mächtige Gruppe auf, deren Wut aber von den Akteuren des Systems kanalisiert und damit eingedämmt wird.

Kommentar von
15.1.2024
/
5 Minuten Lesezeit
Deutschland steht auf: Eindrücke von der Bauerndemo in Halle
Kevin Naumann

Montag, 8. Januar 2024. Bauerndemo. Der ganze Bauernstand plus Logistikfirmen sowie verbundene Betriebe scheinen sich den Protesten gegen die geplanten agrarpolitischen Einschnitte in Bewegung gesetzt zu haben. Ab circa 08:00 Uhr steht in Halle am Riebeckplatz alles still. Es gibt kein Durchkommen, außer für Krankenwagen, Postfahrzeuge etc. Ich esse noch schnell etwas und setze mich in die Bahn Richtung Hauptbahnhof. Gut hundert Meter vor der Zielhaltestelle weisen Blaulicht und abgestellte Traktoren und Firmenfahrzeuge darauf hin, dass hier nichts mehr geht und fährt außer der Tram. Am Riebeckplatz angekommen, steht eine Frau neben ihrem Fahrrad. Am Gepäckträger weht eine Deutschlandfahne.

Ich erkenne sie wieder, sie war damals ebenso auf den zahlreichen Coronademos. Sie hat gekochten Kaffee und Pappbecher für die Demonstranten dabei. Die Szenerie wirkt still und seltsam: Wo sich sonst der Verkehr über die Magistrale schiebt, stehen nun abgestellte Landfahrzeuge und LKWs. Ich mache erste Fotos. Ein junger Mann bewegt sich auf sie zu, er trägt eine neongelbe Weste über seiner Arbeitsjacke. Ein Logistikmitarbeiter einer Supermarktkette. Er hatte sich als Ordner gemeldet. Wir kommen schnell ins Gespräch, schimpften gemeinsam über Politik, der junge Mann raucht auf und wir verabschieden uns und wünschen alles Gute mit anständigem Handschlag.

Bekannte von Coronademos

Von der Kundgebung her schallen abwechselnd markige Reden und kräftiger Applaus. Zwischen den eng geparkten Zugmaschinen wage ich zunächst einen Blick über die Mauer hinunter auf den Platz des Geschehens. Gut 1.000 fast ausschließlich Männer, ein paar wenige Deutschlandfahnen, einige Plakate, zwei Fressbuden, an denen angestanden wird. Auf dem Platz des Geschehens angekommen, fühle ich mich in Zeiten der Coronademos zurückversetzt – Bühne und Publikum, Redner und Zuhörer. Die Stimmung ist geladen, auf jede Pointe folgt mindestens ein lautes „Jawohl“. Es sprechen Offizielle, Verbandsleute, Profis, das hört man, die Reden werden in gewählter Sprache vorgetragen, gut betont und teils schmetternd. Es klingt alles nach Opposition, man meint, eine dissidente Stimme zu hören, doch es handelt sich um Vertreter von systemischen Lobbygruppen. Das bedeutet, dass wir hier wahrscheinlich gerade der Rede eines CDU-Manns zuklatschen und zunicken.

Ich bewege mich näher an die Bühne heran, neben mir wird geraucht und diskutiert, Leute aus dem AfD-Kreisverband, man kennt sich irgendwie vom Sehen, kommt rasch ins Plaudern, das Gesagte wird kritisch kommentiert. Als es von der Bühne tönt, dass er hier nicht einen Rechtsextremen gesehen habe und kenne, raunt es um mich herum. „Ich schon“ oder „Rechts sein ist doch ok“ und auch die Leute vom Kreisverband springen darauf an. Es beginnt eine kurze Begriffsdiskussion, dann folgt man dem Redner weiter. Gute Rede, nur tragen laut Redner alle Parteien Schuld außer der CDU. Kurze Zeit nach der Rede entferne ich mich in Richtung Haltestelle, der Nachfolger am Pult ist ein Gemeindebürgermeister, der Applaus eher gering. Er redet zwar volkstümlicher, aber seine Position ist zu nah an den Phrasen aus Funk und Fernsehen, obwohl er wahrscheinlich weiter weg von der Macht ist als sein geschickter Vorredner.

Protest und Folgenlosigkeit

Der Kontrast zwischen Rednerpult und Zuhörerschaft war jener zwischen Bühne und Publikum – den Anliegen eines gesamten Berufsstandes und den professionellen Wortführern, denen das Hemd näher ist als der Rock. Anders als bei den letzten großen Protesten der Coronademos begehrt mit den Bauern und Co. eine gesellschaftlich sehr mächtige Gruppe auf, deren Wut aber von den Akteuren des Systems kanalisiert und damit eingedämmt wird. Die Abgrenzung zum Rechtsextremismus ist Teil ihrer Arbeit. Viele Bauern haben dies selbstverständlich erkannt und sie wissen auch, dass es ihnen existenziell an den Kragen gehen wird, ob nun mit Ampel oder ohne. Dass man die immergleichen Phrasen leid ist und dass man freilich gerne ohne Subventionen auskommen würde, aber zu abhängig von diesen ist, sich an diese gewohnt hat, ist ein wichtiger Teil der Wahrheit. Man ist vor allem das, was Götz Kubitschek in seinem jüngsten Text anführt, nämlich schlicht Teil einer schonungslosen Umverteilungsmaschinerie, Zulieferer in einem System, das unter permanentem Kostendruck steht, noch günstiger und größere Mengen dem Markt und immer mehr Nachfragern mit geringem Einkommen zur Verfügung zu stellen. Generationenübergreifende Familienunternehmen – organische Unternehmer – stören in diesem Bild nur. Die Bauern neigen dennoch dazu, das Spiel mitzuspielen, weil sie als konservative Arbeiter keine Revolutionäre sind. Doch können sie hoffentlich noch „Gott von Teufel unterscheiden“, wie dies Ernst von Salomon in Die Stadt schrieb.  

Ihren Feind in der aktuellen Regierung zu sehen und nicht auch in der CDU, ist legitim und pragmatisch. Die Bauern willigen mehr oder weniger freiwillig ein in das Theater, um sich mehr oder minder täuschen zu lassen, der Teufel hat sich ein dissidentes Gewand übergeworfen und große Worte und nahe Ziele mitgebracht. Der Präsident des Bauernverbands plädiert beispielsweise für grüne Positionen und einen grünen Kanzler. Man braucht sich nichts vormachen, was den Opportunismus dieser Funktionäre betrifft. Die langfristige Wahl der CDU, falls sie in dieser Form noch existieren sollte, vor allem im Osten, ist jene zwischen den Grünen und der AfD, beide Parteien stehen jeweils für den Anspruch, die kommenden Zeiten weltanschaulich maßgeblich zu führen. Die CDU selbst besitzt keine Idee, steht aber dennoch für einen Ausweis etablierter und funktionierender Strukturen sowie Machtgeschicklichkeit. Es könnte also sein und es sieht danach aus, dass die CDU die Lorbeeren einfährt, das jedoch nichts an dem grundsätzlichen Aufstieg der AfD ändern wird. Nicht nur die Bauern sind pragmatisch, wählen das, was ihnen etwas nützt. Wenn die CDU doch nach wie vor große Erfolge im Osten einführe, warum dann anders wählen, wenn diese Partei – systemisch hin oder her – zumindest die kurzfristigen Interessen zu bedienen scheint? Lieber den Spatz in der Hand …

Die Realität wird entscheiden

Soweit zu den Eindrücken von der Demo und zu dem Rahmen, innerhalb dessen sich alles abspielt. Wir stehen am Beginn eines Jahres mit drei Landtagswahlen, EU-Wahlen und Kommunalwahlen in Ostdeutschland, während das Land seit einigen Jahren von einem Krisenszenario zur nächsten taumelt und unaufhörlich türmen sich die Symptome auf. Die stattfindenden Wahlen sind das eine, und es tut sich etwas an den Urnen, wenn man den Umfrageergebnissen glauben mag. Das andere, und hier ist nicht auf die Bauern als Akteur zu bauen (sie sind noch gebunden), steht die kulturelle Opposition als rechtes Gegenbild in der Gesellschaft erst am Fuß des Berges. Folglich benötigte man eigene Verbände und Strukturen, denen sich die Bauern und andere anschließen können. Das Zeitalter des Hyperpolitischen und der konvergierenden Krisen könnte überwunden werden, indem eine Re-Institutionalisierung unserer zunehmend fragmentierten Gesellschaften stattfindet, das heißt raus aus den virtuellen Filterblasen und rein in die Vereine und Verbände, eigene Orte und Medien etablieren, Strukturen aufbauen, vernetzen, kurz: Metapolitik betreiben. Das ist einerseits „Arbeit am Mythos“, andererseits Delegitimierung der herrschenden Narrative. Das alles ist bereits im Gange, die Relevanz der Rechten ist größer als je zuvor, es läuft. Soviel zur Theorie, entscheidend ist die Realität und diese entzieht sich meist durchdachter Gedankenwelten.

Ich bleibe skeptisch bezüglich des überfälligen Leitbildwechsels, den Botho Strauß in seinem berühmten Essay 1993 ebenfalls ausschloss. Ein nach wie vor aktueller Text von großer Kraft und Aktualität. Setzen sich die „Kräfte des Bewahrens oder jene des Fortbringens“ durch? Der Wind scheint sich insgesamt zu drehen, die Fortbringer produzieren zu viele reale Verluste, als dass sie noch sehr lange weitermachen könnten. Ihre Formen ermatten, andere werden sie ablösen und ersetzen. Die Devise lautet daher: Realistisch bleiben, weiterarbeiten, Bier trinken.


Zur Person:

Kevin Naumann, Jahrgang 1988, ist ein Patriot aus Mitteldeutschland.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.