Demografie: Wie die EU die tickende Zeitbombe entschärfen will

Der demografische Wandel kann – wenn er nicht angegangen wird – den Arbeitskräftemangel weiter verschärfen, zu Engpässen in der Wirtschaft führen und das Produktivitätsproblem verschärfen, warnt die EU-Kommission in einem aktuellen Bericht. Mit einem Instrumentarium, das auf vier Säulen fußt, will sie dem entgegenwirken und die tickende Zeitbombe entschärfen.

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Demografie: Wie die EU die tickende Zeitbombe entschärfen will
Mithilfe verschiedener Maßnahmen will die EU-Kommission gegen die Folgen des demografischen Wandels vorgehen. (Symbolbild)© IMAGO / Pond5 Images

Richtung und Tempo des demografischen Wandels sind von Land zu Land unterschiedlich, und ein Großteil des weltweiten Bevölkerungswachstums wird voraussichtlich in Ländern mit niedrigem Einkommen stattfinden. In der EU wird die Bevölkerung aufgrund der Alterung und sinkender Geburtenraten um 2026 ihren Höchststand erreichen und in den darauffolgenden Jahrzehnten allmählich zurückgehen, so ein kürzlich veröffentlichter Bericht der EU-Kommission. Gleichzeitig wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in der EU voraussichtlich schrumpfen (um 57,4 Millionen bis 2100) und der Altenquotient steigen (von 33 Prozent auf 60 Prozent bis 2100). Gleichzeitig wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in der EU voraussichtlich schrumpfen (um 57,4 Millionen bis 2100) und der Altenquotient steigen (von 33 Prozent auf 60 Prozent bis 2100).

Europäer sehen demografischen Wandel kritisch

Die Menschen in Europa stehen dem demografischen Wandel und seinen Folgen kritisch gegenüber, wie eine Eurobarometer-Umfrage zeigt. Die Mehrheit der Europäer (51 Prozent) ist der Ansicht, dass die Bewältigung des demografischen Wandels eine politische Priorität sowohl für die EU als auch für die Mitgliedstaaten bleiben sollte, und eine große Mehrheit (85 Prozent) stimmt zu, dass dies eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Regierungsebenen erfordert. Auf die Frage nach politischen Lösungen bevorzugen die Bürger als Maßnahmen zur Bewältigung der Bevölkerungsalterung die Gewährleistung angemessener Renten, die auch für künftige Generationen bezahlbar bleiben (49 Prozent), sowie die Bereitstellung hochwertiger und bezahlbarer Gesundheitsdienste (49 Prozent). Auf dem Arbeitsmarkt halten die Bürger Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit für am wirksamsten (61 Prozent), gefolgt von Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie (48 Prozent).

Vor rund einem Monat hat die Europäische Kommission ein Instrumentarium zur Bewältigung des demografischen Wandels in der EU vorgestellt, das auf vier wesentlichen Säulen beruht. Durch eine bessere Unterstützung der Familien bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Stärkung der jüngeren und älteren Generationen, die Forcierung der „gesteuerten legalen Migration“ und Maßnahmen gegen den Arbeitskräftemangel könne die tickende Zeitbombe Demografie entschärft werden, meint die EU-Kommission.

Paare sollen sich für Karriere UND Familie entscheiden

Lebensqualität, Verfügbarkeit von Betreuungs- und Wohnmöglichkeiten, Beschäftigungsmöglichkeiten und ein angemessenes Einkommen können die Entscheidung für eine Familie beeinflussen. Dennoch sollte jeder darin unterstützt werden, sich für Karriere UND Familie zu entscheiden, so die Europäische Kommission. Derzeit ist bei jungen Menschen eine zunehmende Tendenz zu beobachten, die Entscheidung für eine Familie aufzuschieben oder die Familiengröße zu begrenzen. Dennoch geben viele von ihnen, insbesondere Frauen mit hohem Bildungsniveau, auf Nachfrage an, dass sie sich mehr Kinder wünschen, als sie tatsächlich haben. Als Gründe werden Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Betreuungspflichten, anhaltende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sowie wirtschaftliche und soziale Unsicherheit in Bezug auf Beschäftigungsaussichten, Lebenshaltungskosten und Wohnraum genannt, heißt es in dem Bericht. Die EU-Kommission hat sich daher zum Ziel gesetzt, die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Beschäftigung bis 2030 mindestens zu halbieren. Als weiteres wirksames Mittel gegen die negativen Auswirkungen der Bevölkerungsalterung sieht die Kommission die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen, während eine „erschwingliche, zugängliche und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung“ es Eltern ermöglichen soll, Beruf und Familie zu vereinbaren.


Mittlerweile leben über acht Milliarden Menschen auf der Erde und in den nächsten 50 Jahren wird ihre Zahl voraussichtlich auf zehn Milliarden steigen. Vor allem in Afrika und Asien wächst die Bevölkerung rasch an, während Europa nach wie vor mit einer niedrigen Geburtenrate zu kämpfen hat. Statt die eigene Kinderzahl zu erhöhen, versuchen viele europäische Regierungen, dies durch Einwanderung auszugleichen. In der neuen FREILICH-Ausgabe zeigen wir, was diese Entwicklung für unsere Zukunft bedeutet.

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Hohe NEET-Raten in der EU

Neben der Familiengründung als Maßnahme gegen die Folgen des demografischen Wandels sieht die EU-Kommission noch viel ungenutztes Potenzial bei jungen Menschen, von denen ein beträchtlicher Teil zur Gruppe der sogenannten NEETs (Not in Education, Employment or Training) gehört, sich also weder in Beschäftigung, Ausbildung oder Training befindet. Die NEET-Raten weisen innerhalb der EU erhebliche territoriale Unterschiede auf, wobei sie in den südlichen und östlichen Regionen der EU sowie in den französischen Regionen in äußerster Randlage besonders hoch sind. In einigen dieser Regionen sind mehr als ein Viertel aller Jugendlichen NEET, so der Bericht der EU-Kommission. Hier will die EU-Kommission frühzeitig ansetzen, nämlich bei der frühkindlichen Bildung und Betreuung, der Grundbildung, der Gesundheitsversorgung und der Ernährung. Darüber hinaus sollen junge Menschen mit unterschiedlichen oder mehrfachen Benachteiligungen, wie Schulabbrecher oder junge Menschen mit Behinderungen oder gesundheitlichen Problemen, maßgeschneiderte Unterstützung erhalten.

Für eine langfristige Perspektive seien aber auch qualitativ hochwertige Arbeitsplätze, bezahlbarer Wohnraum und ein angemessener Lebensstandard entscheidend, um junge Menschen zur Familiengründung zu ermutigen. Hier nennt der Bericht Ungarn als mögliches Vorbild. Dort gibt es eine Familienwohnbauprämie, also einen nicht rückzahlbaren staatlichen Zuschuss für Familien mit mindestens einem Kind, der gleichgeschlechtlichen Paaren für den Kauf oder Ausbau einer Wohnung oder eines Hauses gewährt wird.

Ältere Menschen sollen länger arbeiten, (wenn sie wollen)

Unsere Gesellschaft altert. Die Maßnahmen der EU-Kommission zielen daher auch darauf ab, ältere Menschen länger im Erwerbsleben zu halten. Dies könnte den Menschen ermöglichen, ihre Fähigkeiten am Arbeitsplatz zu aktualisieren und aktiv zu bleiben, was den Arbeitgebern helfen würde, ihre Mitarbeiter zu halten, und gleichzeitig den Wissenstransfer in generationenübergreifenden Belegschaften fördern würde. In diesem Zusammenhang würden flexiblere Arbeitszeitregelungen die Bindung älterer Arbeitnehmer an das Unternehmen unterstützen, zum Beispiel durch flexible oder reduzierte Arbeitszeiten, und es den Menschen ermöglichen, länger erwerbstätig zu bleiben, wenn sie dies wünschen. Politische Anpassungen sollten attraktive Möglichkeiten für einen späteren Eintritt in den Ruhestand bieten und Einkommensgrenzen und andere Hindernisse beseitigen.

Kommission will „legale, gesteuerte Migration“ forcieren

Der Arbeitskräftemangel in der EU ist auf einem hohen Niveau, gleichzeitig suchen Unternehmen in den verschiedensten Branchen händeringend nach qualifiziertem Personal. Die Aktivierung von Menschen im erwerbsfähigen Alter, insbesondere von Frauen, Jugendlichen und Älteren, sowie die Verringerung des Fachkräftemangels, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in bestimmten Sektoren und die Mobilität innerhalb der EU reichen als Maßnahmen nicht aus, um den Bedarf in allen Mangelberufen zu decken, stellt die EU-Kommission in ihrem Bericht fest und nennt daher die legale Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern als vierte Säule in ihrem Bericht und als Möglichkeit für Arbeitnehmer, offene Stellen auf allen Qualifikationsniveaus zu besetzen. Die EU ist bestrebt, die Möglichkeiten der legalen Zuwanderung in die EU zu verbessern und sieht die Notwendigkeit, Europa zu einem attraktiveren Ziel für Talente aus Drittländern zu machen. Um qualifizierte Arbeitskräfte weltweit anzuziehen, seien gezielte Initiativen zur Arbeitsmigration notwendig, um Engpässe zu beseitigen, die nicht durch einheimische Arbeitskräfte gedeckt werden können, heißt es in dem Bericht. Der Zugang zum Arbeitsmarkt sollte erleichtert werden, indem man legalen Migranten faire Arbeitsbedingungen garantiert, ausländische Qualifikationen schnell anerkennt und ihnen hilft, administrative und sprachliche Barrieren zu überwinden.