Tomasz M. Froelich (AfD): „Die EU schlafwandelt weitestgehend vereint in den Abgrund“

Am kommenden Wochenende wählt die AfD ihre Kandidaten für die Europawahl. Einer der Kandidaten ist Tomasz M. Froelich. Im FREILICH-Interview spricht er über seine Sicht auf Russland und die USA sowie die Rollen von AfD und FPÖ.

Interview von
29.7.2023
/
7 Minuten Lesezeit
Tomasz M. Froelich (AfD): „Die EU schlafwandelt weitestgehend vereint in den Abgrund“
Tomasz M. Froelich beim Sommerfest Schnellroda 2023© Filmkunstkollektiv

FREILICH: Herr Froelich, das Jahr 2022 hat in Europa und in der Europäischen Union einiges durcheinander gewirbelt. Der Riss zwischen Brüssel und osteuropäischen Mitgliedsländern wie Polen und Ungarn wird größer; an der Ostgrenze der EU herrscht seit Februar 2022 ein Krieg, der die Union spaltet; kurz vor Jahresende wurde ein riesiger Korruptionsskandal um EU-Funktionäre und Katar entdeckt; auf globaler Ebene gerät die EU immer mehr in den Windschatten der USA und übernimmt deren geopolitischen Interessen – die Liste lässt sich bis ins Unendliche fortführen. Salopp formuliert: ein schlechtes Jahr für die EU – und somit ein gutes Jahr für Europa?

Tomasz M. Froelich: Diese Einschätzung teile ich nicht. 2022 war sowohl für Europa, als auch für die EU ein schlechtes Jahr. Aufgrund unserer hegemonialen Einbettung ist das wenig verwunderlich. Bereits 1997 schrieb Zbigniew Brzeziński, einer der prominentesten Theoretiker der Geopolitik, in verblüffender Ehrlichkeit: „Tatsache ist schlicht und einfach, dass Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa weitgehend ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern.“ Die aktuellen Krisensituationen zementieren unseren Vasallenstatus: Wir beteiligen uns in der Ukraine an einem Krieg, der nicht in unserem Interesse ist. Gegen unsere kritische Infrastruktur (Nord Stream) werden Anschläge verübt, die wir nicht aufklären dürfen. Wir verhängen Sanktionen, die uns mehr schaden als Russland. Und wir steuern auf Deindustrialisierung, Massenarbeitslosigkeit, Mangelwirtschaft, Energiepreisexplosionen und eine militärische Eskalation mit Russland zu.

Das alles ist nicht in unserem Interesse, sehr wohl aber im Interesse Washingtons, denn der Verlust unserer ökonomischen und militärischen Sicherheit steigert den Schutzbedarf europäischer Staaten und macht sie so noch stärker vom US-Hegemon abhängig. Der spätere NATO-Generalsekretär Hastings Ismay hat bereits 1949 umrissen, was die Aufgabe der NATO ist: „Die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen am Boden zu halten.“ Das scheint bis heute zu gelten. Und Brüssel spielt dieses Spiel mit. Zulasten Europas. Insbesondere aber zulasten Deutschlands. Bis auf Viktor Orban wehrt sich kein europäischer Regierungschef dagegen. Mein Eindruck ist nicht, dass der Riss zwischen Brüssel und den osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten größer wird, sondern sogar gekittet wird – mit Ungarn als einzig verbliebenen Prügelknaben. Das macht die Sache aber nur noch schlimmer. Die EU schlafwandelt weitestgehend vereint in den Abgrund.

Die EU läuft also auf den Abgrund zu. Welche konkreten Möglichkeiten sehen Sie, um diese Entwicklung erstens zu stoppen und zweitens in eine neue Richtung zu lenken?

Als Deutsche und Europäer müssen wir uns zunächst einmal über die einzuschlagende Richtung einig werden: Unipolarität bedeutet US-Dominanz, Regenbogenterror, Multikulti, Critical Whiteness und Kriegsinterventionismus für fremde Interessen im Namen westlicher Werte bei gleichzeitigem Autonomieverlust zulasten der Völker Europas. Multipolarität bedeutet, dass Regionalmächte selbst darüber entscheiden, was in ihren Großräumen gilt und geschieht, und was nicht. Das gilt auch für Europa, wenn man es nicht als Europäische Union in ihrer aktuellen Verfassung denkt, sondern als Bund europäischer Nationen, die bestrebt sind, in der werdenden multipolaren Weltordnung einen europäischen Pol zu bilden, um so Verhandler und nicht bloß Verhandlungsmassen fremder Hegemonialmächte auf dem geopolitischen Schachbrett zu sein.

Multipolarität ist eben nicht, wie von Transatlantikern häufig unterstellt wird, eine Chiffre für den Austausch des amerikanischen Hegemons gegen den russischen oder chinesischen, sondern ein Ausdruck eigener Souveränität. Dass wir nicht unter der Knute Washingtons stehen wollen, heißt eben nicht, dass wir stattdessen gerne unter der Knute von Moskau oder Peking stehen wollen würden.

Welche Rolle könnten dabei vor allem die deutschsprachigen Rechtsparteien wie FPÖ und AfD spielen?

Eine sehr wichtige. Die AfD und die FPÖ haben gemeinsame Stärken: Sie machen Politik nicht nach Wetterfahne, sondern aus Überzeugung, und das in einem ungleich schwierigeren Umfeld, als es andere europäische Rechtsparteien gewohnt sind. Manche von denen schwenken, bedingt durch die westextremistische Dauerpropaganda und weil es in Europa gerade en vogue ist, auf einen transatlantischen Kurs um. Nur beißt sich eine geopolitische Westorientierung auf Dauer mit rechter und konservativer Gesellschaftspolitik, für die diese Parteien sonst zu Recht eintreten. Die AfD und die FPÖ sind diesbezüglich kohärenter. Das zahlt sich aus, man sieht es an den aktuellen Umfrageergebnissen. Und das nötigt vielen unserer europäischen Partnerparteien Respekt ab.

Beide Parteien haben ein ambivalentes Verhältnis zur EU und ihren Institutionen. Der Wunsch, aus der EU auszutreten, ist zum Beispiel bei Mitgliedern der AfD sehr groß. Sie positionieren sich offen europäisch und kandidieren auch für das Europäische Parlament (EP) – Herr Froelich, sind Sie also in der falschen Partei oder auf verlorenen Posten?

Keineswegs. Ich positioniere mich genauso europäisch, wie es die AfD tut: Wir sind gegen die EU, weil sie antieuropäisch ist. Sie vernichtet unseren Wohlstand, unsere Identität, unsere Souveränität. Und anstatt Frieden zwischen den Völkern Europas zu stiften, schürt sie anachronistische nationale Chauvinismen, etwa in Polen. Europäische Bündnispolitik ist wichtig, nur muss sie in einem anderen Rahmen und zu anderen Bedingungen stattfinden. Etwa in Form einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft, in einem neu zu gründenden Bund europäischer Nationen.

Springen wir ins nächste Jahr: Nehmen wir mal an, dass Sie erfolgreich für einen Listenplatz kandidieren konnten und später als Abgeordneter nach Brüssel und Straßburg einziehen würden – was haben Sie sich für eine potenzielle Zeit als MdEP vorgenommen? Welche Politikfelder und Themen wollen Sie bearbeiten? Worauf möchten Sie den Fokus legen? Haben Sie schon konkrete Pläne?

Ich bin, bedingt durch meine multidisziplinäre Ausbildung, vielseitig einsetzbar. Aktuell arbeite ich im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, interessiere mich aber auch für außenpolitische Themen. Mein Ziel ist es, die AfD-Delegation im EU-Parlament noch mehr zu einem Kraftzentrum und einer Denkfabrik unserer Partei aufzubauen. Notwendig dafür ist eine intensive Einbindung von Akteuren aus unserem politischen Vorfeld, die Verwurzelung an der Parteibasis, die Verzahnung mit allen bestehenden Fraktionen in den Ländern und im Bund, ein starker Fokus auf Öffentlichkeitsarbeit und der weitere Ausbau unserer internationalen Netzwerke.

Man kritisiert das EP vor allem für seine vermeintliche Machtlosigkeit, da die Politik in der Kommission und im Rat gemacht wird. Welche Möglichkeiten sehen Sie im EP? Ist man in Brüssel auf verlorenen Posten als MdEP?

Bis zu 80 Prozent der Gesetze werden in Brüssel gemacht. Das hat seine Funktion: Die große Distanz zwischen Eurokraten und Normalbürgern führt dazu, dass Letztere gar nicht mitbekommen, was Erstere beschließen. Umso wichtiger ist es, Transparenz herzustellen. Das geht nur, wenn man vor Ort ist. Die Debatte über den globalen Migrationspakt hat dies eindrucksvoll gezeigt.

Brüssel trennt die Geister – genauso wie der Krieg in der Ukraine und das Thema Russland. Herr Froelich – stellen Sie bitte mal Ihren Standpunkt zu Russland in einem Satz vor!

Russland ist ein wunderschönes Land mit tollen Leuten, gutem Wodka, ansehnlichen Frauen, einer reichen Kultur und noch reicheren Oligarchen, das von seinen Sympathisanten oft romantisch verklärt und von seinen Gegnern nicht verstanden wird – womöglich spielt es aktuell die Rolle des Katechon, wenn auch nicht besonders gut.

Und wie sehen Sie die USA?

Ich mag an den USA das, was der bundesrepublikanische Normopath an ihnen hasst – liberale Waffengesetze, ein halbwegs intaktes Freiheitsverständnis, eine gesunde Skepsis gegenüber einem übergriffigen Staat –, und mir missfällt an den USA das, was dem bundesrepublikanischen Normopathen an ihnen gefällt – aggressiver Werteimperialismus, Export woker Ideologien und ein damit begründeter Kriegsinterventionismus.

Stichwort Kriegsinterventionismus: Was werden Ihrer Meinung nach die langfristigen Folgen des Krieges in der Ukraine sein? Wird eine europäische Zusammenarbeit ohne raumfremde Mächte unwahrscheinlicher werden?

Wünschenswert wäre das nicht, denn in der multipolaren Weltordnung braucht es einen starken und unabhängigen europäischen Pol. Die USA haben aber, wie Dimitrios Kisoudis in einem Interview mit dem Heimatkurier richtig anmerkt, ihre Position gegenüber Europa gestärkt. Andere Teile der Welt machen wiederum aber nicht mehr mit: Sie lehnen die einseitige Sanktionspolitik des Westens ab, wickeln den Energiehandel zunehmend in den Währungen der Regionalmächte ab, stellen den Petrodollar infrage, der zusammen mit dem Fiat-Money die Grundlage des US-Imperiums gründet.

Die BRICS-Staaten entfalten eine immer größere Anziehungskraft und formieren sich zu einem Gegenblock zum Westen: Südafrika hat 70 Staats- und Regierungschefs aus dem globalen Süden zum BRICS-Gipfel eingeladen, aber keinen einzigen aus dem Westen. 22 Länder haben Aufnahmeanträge für das BRICS-Format gestellt, in etwa ebenso viele wollen informelle Beziehungen aufnehmen. Der Westen ist nicht mehr der Nabel der Welt. Fixieren wir uns zu sehr auf ihn, verlieren wir den Anschluss. 

Apropos raumfremde Mächte. Manche sehen in Fernost eine neue Gefahr, die sich langsam entwickelt. Müssen wir vorsichtiger gegenüber Rotchina auftreten?

Man sollte in den internationalen Beziehungen grundsätzlich skeptisch sein. Selbstverständlich auch gegenüber China. Nur darf diese Skepsis nicht dazu führen, dass man Chancen liegen lässt, wo es gemeinsame Interessen gibt. Und diese gibt es auch mit Staaten, die sich für Gesellschaftsmodelle entschieden haben, die wir für uns ablehnen. Ich will keine chinesischen Verhältnisse in Deutschland. Es ist aber auch das gute Recht der Chinesen, keine deutschen Verhältnisse in ihrem Land haben zu wollen. Uns haben die inneren Angelegenheiten anderer Staaten nicht zu interessieren, denn wir sind Noninterventionisten. Eine „wertebasierte Außenpolitik“ hingegen ist interventionistisch, aggressiv und arrogant. Sie zementiert die Unipolarität und beraubt uns vieler Chancen. Wir aber wollen diese Chancen im Sinne einer interessengeleiteten Außenpolitik für uns nutzen.


Zur Person:

Tomasz M. Froelich, Jahrgang 1988, ist gebürtiger Hamburger und arbeitet bei der ID-Fraktion im EU-Parlament. Der studierte Ökonom und Politologe ist zudem seit 2019 stellvertretender JA-Bundesvorsitzender.

Twitter: https://twitter.com/TomaszFroelich