Schweizer Nationalratswahlen: Kleiner Rechtsruck in der Alpenrepublik

In der Schweiz wurde am 22. Oktober ein neues Parlament gewählt. Dabei konnten die Rechtsparteien die Anzahl ihrer Mandate deutlich steigern.

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31.10.2023
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Schweizer Nationalratswahlen: Kleiner Rechtsruck in der Alpenrepublik
Plenarsaal des Schweizerischen Nationalrats. (Symbolbild)© IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Wenn von der Schweizer Demokratie die Rede ist, denken die meisten an die Errungenschaften der direkten Demokratie, die in Europa ihresgleichen suchen. In keinem anderen Land werden die Bürger so direkt in die politische Entscheidungsfindung einbezogen wie in der Schweiz.

Aber auch in der Schweiz gibt es Parteien und parlamentarische Mehrheiten. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern sind die Veränderungen im Wahlverhalten selten gravierend. Bei einer Wahl verliert eine Partei ein oder zwei Prozentpunkte, bei einer anderen gewinnt sie wieder dazu. Verluste oder Gewinne von fünf oder mehr Prozentpunkten sind eher die Ausnahme als die Regel, und doch gibt es auch im stabilen Parteiengefüge der Schweiz sukzessive Veränderungen.

Wie die Schweizer wählten

Was sich seit 1999 nicht geändert hat, ist die Rolle der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Diese kann sich seither konstant auf dem ersten Platz behaupten und gilt zudem als treibende Kraft für rechtskonservative Volksbegehren. Besonders hervorzuheben sind hier die Volksinitiativen „Gegen den Bau von Minaretten“ (2009) und „Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer“ (2016).

Während die SVP bei den Wahlen 2019 etwas schwächelte und mit leichten Verlusten auf 25,6 Prozent kam, konnte sie bei den jetzigen Wahlen mit 27,9 Prozent wieder an die stärkeren Wahlergebnisse der Vergangenheit anknüpfen, als sie die 30-Prozent-Marke erreichte.

Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP), die sich als einzige Partei links der Mitte positioniert, konnte minimale Gewinne verbuchen. Mit einem Plus von 1,5 Prozentpunkten und einem Gesamtergebnis von 18,3 Prozent bleibt sie jedoch weit abgeschlagen auf Platz zwei.

Die FDP.Die Liberalen (FDP) konnte sich mit einem Verlust von 0,8 Prozentpunkten und 14,3 Prozent knapp vor der bürgerlich-konservativen Partei „Die Mitte“ positionieren, die mit 14,1 Prozent den vierten Platz belegte. Sie entstand 2021 aus dem Zusammenschluss der Christlich-Demokratischen Volkspartei und der Bürgerlich-Demokratischen Partei.

In der Schweiz konkurrieren zwei grüne Parteien um die ökologisch interessierten Wähler. Die Grünen verloren mit Abstand am meisten Stimmen (-3,4 Prozentpunkte) und rutschten mit 9,8 Prozent vom vierten auf den fünften Platz ab. Die bürgerlich-liberale Grünliberale Partei (GLP) verlor dagegen nur leicht (-0,2 Prozentpunkte) und erreichte 7,6 Prozent der Stimmen.

Neben den großen Parteien konnten auch Parteien mit einem geringen Stimmenanteil Mandate erringen. Dazu gehören die christdemokratische Evangelische Volkspartei (zwei Mandate), die rechtskonservative Eidgenössisch-Demokratische Union (zwei Mandate), die französischsprachige Rechtspartei Mouvement citoyens genevois (zwei Mandate) und die italienischsprachige Rechtspartei Lega dei Ticinesi (ein Mandat).

Über die politische Rechte und das bürgerliche Lager

Während in anderen Ländern der Begriff des „bürgerlichen“ Lagers schwer zu verwenden ist und die Definition bürgerlicher Politik unterschiedlich interpretiert wird, kann in der Schweiz tatsächlich von einem bürgerlichen Lager gesprochen werden. Eine Ausgrenzungstaktik, wie dies die AfD in der Bundesrepublik durchlebt, existiert in der Form bei den Schweizern nicht. Die SVP wird als Teil eines kooperativen Lagers mit den Liberalen und den Christdemokraten gesehen und kann auf der rechten Flanke des Parteienspektrums die anderen Rechtsparteien an sich binden. Dies geschieht zum Beispiel dadurch, dass die Genfer MCG, die italienische Lega oder die EDU in der Vergangenheit Teil der SVP-Fraktion im Nationalrat waren und wahrscheinlich auch weiterhin sein werden.

Rechte Politik ist also kein Randphänomen oder eine in die Opposition gedrängte politische Meinung. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass in der Schweiz die Regierung durch die „Zauberformel“ bestimmt wird und nicht durch die Bildung einer Mehrheitskoalition gegen die Opposition.

Die Zauberformel sieht vor, dass die Parteien grundsätzlich entsprechend ihrer jeweiligen Stärke in der Regierung (Bundesrat) vertreten sind. Dadurch arbeiten auch Parteien zusammen, die sich ideologisch nicht nahe stehen.

Die bisherige Zusammensetzung nach der Wahl 2019 nach dem 2:2:2:1-Prinzip legte folgende Regierungsmitglieder fest:

2 SVP
2 SP
2 FDP
CVP (seit 2021 „Die Mitte“)

Es bleibt abzuwarten, ob es bei dieser Verteilung bleibt oder ob es aufgrund des Wahlergebnisses zu einer Neuverteilung kommt. In der Vergangenheit haben zum Beispiel die Grünen aufgrund ihres starken Wahlergebnisses einen Anspruch auf einen Sitz im Bundesrat geltend gemacht, diesen aber politisch nicht durchsetzen können.

Es wäre möglich, dass zukünftig anhand der Stimmenstärke folgendes 2:1:1:1:1:1-Prinzip greifen könnte. Dies würde sich folgendermaßen darstellen:

2 SVP
1 Die Mitte
1 FDP
1 SP
1 Grüne
1 GLP

In jedem Fall müssen die verschiedenen politischen Lager auch in Zukunft ihre Kompromissfähigkeit unter Beweis stellen und die Sachthemen so aufbereiten, dass sie den Wählern am besten dienen.

Über den Rechtsruck

Die Rechtsparteien konnten zwar die Anzahl ihrer Mandate deutlich steigern, prozentual bleibt der Rechtsruck jedoch gering. Die Verluste und Gewinne von SVP, EDU, MCG und Lega machen zusammen ein Plus von rund 2,7 Prozent aus. Die hohen Mandatsgewinne lassen sich eher mit den jeweiligen Stärken in den 26 Kantonen erklären, da die Mandate nach festen Kantonskontingenten vergeben werden.

So gelang es der MCG 2019 mit 5,4 Prozent in Genf (0,2 Prozent in der ganzen Schweiz) nicht, wenigstens ein Mandat in den Nationalrat zu entsenden; bei den aktuellen Wahlen reichten die 12,3 Prozent in Genf (nur 0,5 Prozent in der ganzen Schweiz) für zwei Mandate.

Dennoch zeigt sich, dass auch in der Konkordanzdemokratie, in der möglichst viele weltanschauliche Perspektiven und gesellschaftliche Meinungen in den politischen Prozess einfließen sollen, die Stimmung für rechte und migrationskritische Positionen zunimmt. Diese Entwicklung ist eine europäische und keine, die sich nur innerhalb der Grenzen der EU-Staaten vollzieht.


Zur Person:

Marvin Mergard, Jahrgang 1994, betreibt den Blog Vera Europa. Dort setzt er sich mit der politischen Rechten in Europa und der europapolitischen Lage aus rechter Perspektive auseinander.