Politischer Aschermittwoch: Tribunen und Populismus

Die Wurzeln reichen zurück bis ins 16. Jahrhundert. Vom politischen Bauerntreffen entwickelte sich der politische Aschermittwoch zum Spektakel. Kopier- wie Adaptionsversuche gab und gibt es viele. Wenige waren hierbei erfolgreich.

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Politischer Aschermittwoch: Tribunen und Populismus
Auch in diesem Jahr lädt die FPÖ wieder zum politischen Aschermittwoch in Ried im Innkreis.© IMAGO / Daniel Scharinger

„Feiertag der Wutbürger“, „Pointen, Bier und Politik“, „Schlagabtausch statt Blumenstrauß“, „Brandrede, Bier und Beifall“, „Die Stunde der Populisten“. Das Formulieren pointierter Schlagzeilen gehört ebenso zur Folklore  des politischen Aschermittwochs wie das Spektakel selbst. Und jedes politisches System und jedes politische Lager hat seine Traditionen. Manche erlangen sogar eine regelrechte Mystifizierung im Laufe der Zeit.

So haben die Angelsachsen auf den Britischen Inseln die Parlamentseröffnungsrede des Monarchen, den roten Koffer des Schatzkanzlers, die Rededuelle im Unterhaus sowie Speakers' Corner im Hyde Park, wo jeder Untertan seiner Majestät zu jedem beliebigen Thema sprechen darf – außer über seine Majestät.

Währenddessen setzen die Angelsachsen in Übersee auf die Taktik französischer Freibeuter. Das Filibustern entspringt ursprünglich der römischen Tradition der Ermüdungsrede. Auch im Reichsrat der kaiserlich-königlichen Monarchie griff man zum Mittel der Obstruktionsrede, die schon einige Stunden in Anspruch nehmen konnte und von den Zuhörern Latein- wie Griechischkenntnisse abverlangte.

Ermüdung wie klassische Bildung sind nicht die Ziele, welche gemäß der bajuwarischen Tradition des politischen Aschermittwochs verfolgt werden. Eher das Gegenteil. Obwohl Franz-Josef Strauß auch mittels klassischer Zitate brillieren konnte.

Jedoch ist Pathos am Aschermittwoch fehl am Platz. Dort zielt der Volkstribun nicht auf die Herzen und Hirne der Menschen ab – obwohl oftmals erwähnt – sondern auf Leib und Magen. „Irren ist menschlich, immer irren ist sozialdemokratisch“ oder „Was passiert, wenn in der Sahara der Sozialismus eingeführt wird? Zehn Jahre überhaupt nichts, und dann wird der Sand knapp“, und dergleichen tönte der langjährige CSU-Obmann. Um anschließend als Posaune von Passau karikiert zu werden. Das übrige Orchester hinwegfegend wie die Mauern von Jericho einstürzend.

Dass sich der politische Aschermittwoch beiderseits des Inn vor dem Mündungsarm in die Donau etablierte, ist keineswegs paradox. Immerhin siedeln dies- wie jenseitig Abkömmlinge der Bajuwaren. Vielmehr paradox ist die Genese aus einem strengen Fastentag der katholischen Kirche. Der „dies cinerum“, der Tag der Asche, ist seit dem Pontifikat Gregors I. im frühen Mittelalter der Beginn der 40-tätigen Fastenzeit. Das Aschekreuz zählt als heilswirksames Zeichen zu den Sakramentalien.

Terminkollision von Fastentag und Bierpopulismus fußt auf bäuerlicher Tradition

Reuiges Büßertum in Sack und Asche entspricht nicht dem Habitus eines Volkstribunen am Aschermittwoch, obwohl gerüchteweise der asketische Edmund Stoiber den Bierkrug mit Kamillentee befüllen ließ. Die Terminkollision vom ersten Fastentag und dem Bierpopulismus fußt auf einer bäuerlichen Tradition. Seit dem 16. Jahrhundert kamen Bauern in Vilshofen an der Donau zusammen, um am Vieh- und Rossmarkt zu feilschen und über „öffentliche Angelegenheiten“ und später Politik zu diskutieren.

1919 wird zum Geburtsjahr des eigentlichen politischen Aschermittwochs. Zunächst trafen einander Bayerischer Bauernbund, dann Bayerischer Bauernverband und schließlich die agrarische Bayernpartei. Hier schlug die Stunde des legendären Fernduells zwischen Joseph Baumgartner, dem Obmann der Bayernpartei, und Franz-Josef Strauß. Der Kampf der beiden Rhetorik-Titanen mobilisierte Bayernpartei wie CSU und machte den politischen Aschermittwoch bundesweit zu einer Marke sui generis.

Baumgartner, ein bayerischer Patriot, studierte nach dem Besuch eines humanistischen Gymnasiums Philosophie, Geschichte und Nationalökonomie. Es bedurfte also eines Franz-Josef Strauß, um dem redegewandten und volksnahen überzeugten Katholiken Paroli bieten zu können. Denn Baumgartner beherrschte das Florett ebenso wie das Breitschwert. So forderte er nach einer erfolgten Entnazifizierung eine „Entbazifizierung“. Eine Rückführung der preußischen Flüchtlinge, was damals durchaus populär gewesen ist.

Fernduell Baumgartner versus Strauß prägte die Marke Aschermittwoch

Der Zweikampf der Redner ging sogar so weit, dass „Agenten“ die jeweils andere Veranstaltung besuchten, um Angriffe zu dokumentieren. Diese eilten zwischen dem Kinosaal Vilshofens, wo die zunächst größere Veranstaltung der Bayernpartei abgehalten wurde, und dem Wolferstetter Keller, dem Ort des CSU-Treffens, hin und her. So konnten die beiden Duellanten spontan auf die Angriffe des jeweils anderen reagieren.

Letztendlich obsiegte die CSU mit Franz-Josef Strauß, da die Bayernpartei in einen amigogleichen Schmiergeldskandal verwickelt wurde. 1975 wanderte die CSU von Vilshofen nach Passau ab. Die Veranstaltung mit 6.000 bis 7.000 Besuchern musste nunmehr in der Nibelungenhalle stattfinden. In die aufgehende Lücke des Wolferstetter Kellers in Vilshofen stieß die SPD vor.

Deren Historie im Zusammenhang mit Populismus und Bierzelt beziehungsweise -halle ist überschaubar geblieben – abgesehen vom Facharbeitercharme versprühenden Gerhard Schröder. 1998 versprach die SPD, dass nächstes Jahr der Bundeskanzler käme. Und tatsächlich musste 1999 für Kanzler Schröder die größte verfügbare Halle Vilshofens organisiert werden.

Als die wahren politischen Erben von Franz-Josef Strauß sieht sich die AfD. In Bayern wurde erfolgreich plakatiert, dass dieser heute die Alternative wählen würde. Obwohl die Hochburgen der AfD im Osten und nicht im Süden liegen, findet seit 2013 in Osterhofen ihr Aschermittwochtreffen statt. Mittlerweile können bereits im Süden und im Westen Umfrageergebnisse Richtung 20 Prozent erzielt werden.

Und in Bayern ist die Konkurrenz unter Tribunen und Populisten groß. Deggendorf ist der Schauplatz des politischen Aschermittwochs der Freien Wähler. Wo Hubert Aiwanger Platz zwei und den Wiedereinzug in die Landesregierung feiern wird.

Haider gelang der Export – wohl ob wesensgleicher DNA

Ansonsten hält sich der Erfolg bei der Kopie beziehungsweise Adaption des Politevents – oder alternativen Politikforums, wie Boulevard oder Politologen heute sagen würden – in Grenzen. Grüne und Liberale versuchen es hüben wie drüben des Inn, jedoch ist lediglich Jörg Haider der Export gelungen. Was wohl in der wesensgleichen DNA begründet liegt.

Denn Haider sparte ebenso wenig mit Rundumschlägen gegen „Wiener Strizzis“ der Innenpolitik wie „Westentaschennapoleone“ auf EU-Ebene. Aus der Koketterie mit dem „Freistaat Kärnten“ – mit Bayernkaro und Kärntenwappen visuell fusioniert – erwuchs auch der politische Aschermittwoch in der Rieder Jahnturnhalle im Innkreis.

Für die 2.000 Personen fassende Halle, benannt nach einem der Begründer der deutschen Nationalbewegung, dem Turnvater Jahn, können seit 1992 sogar Eintrittskarten verkauft werden. Derart groß sind Andrang wie Interesse. Funktionäre aus den anderen Bundesländern reisen regelmäßig per Bus an. Dass sich der Termin mit der Fastenzeit spießt, stört niemanden. Auch nicht, als der Aschermittwoch 2013 auf einen Donnerstag verschoben werden musste. Man einigte sich darauf, dass die FPÖ den Fasching um einen Tag verlängere.

Und in dieser Tonart setzte Heinz-Christian Strache die rednerischen Ausritte fort. „Die Grünen zeigen einen schon wegen Wiederbetätigung an, wenn man mit dem Auto ums deutsche Eck fährt“ auf den innenpolitischen Gegner gemünzt bis hin zu „Ihr kennt ja wahrscheinlich alle den Film ,Fluch der Karibik’. Das erinnert doch an die EU. Der Käptn steht schwankend am Steuer, und der Merkel-Macron-Kurs steuert gnadenlos auf ein Riff zu“ auf die EU abzielend.

Nunmehr ist Herbert Kickl an die Rednertribüne getreten, von wo aus die rhetorische Frage gestellt wird, warum Kanzler Nehammer eine Rede an die Nation halte, wenn er selbst die Plage der Nation  sei. 2016 formulierte Strache beim Aschermittwochtreffen den Kanzleranspruch. Umsetzen wird ihn wohl Kickl.