Kritische Infrastrukturen sollen weiterhin nicht militärisch geschützt werden

In einem Schreiben an den AfD-Bundestagsabgeordneten Harald Weyel verweist das Verteidigungsministerium auf die Bundespolizei. Die Bundeswehr bleibt außen vor.

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Kritische Infrastrukturen sollen weiterhin nicht militärisch geschützt werden
Infrastruktur© IMAGO / Panama Pictures

Im September 2022 explodierten Sprengsätze in der Ostsee und beschädigten drei von vier Rohren der Erdgaspipeline „Nord Stream“. Die Pipeline transportiert Erdgas direkt von der russischen Küste am Finnischen Meerbusen durch die Ostsee bis ins deutsche Greifswald – frühere deutsche Regierungen wollten damit eine von Transitländern unabhängige Versorgung sicherstellen, ohne auf Transitländer Rücksicht nehmen zu müssen. Mit dem Sabotageakt im vergangenen Herbst ist dieses Projekt nun Geschichte, zudem konnten die Täter bis heute nicht hundertprozentig ermittelt werden.

Während westliche Medien vor allem Russland verdächtigten, vermuteten patriotische Akteure wie die AfD eine Mittäterschaft der USA. Der renommierte Investigativjournalist Seymour Hersh brachte mit seiner viel beachteten, aber auch kritisierten Recherche neuen Schwung in die Debatte, indem er die USA und Großbritannien als Täter benannte. Neuere Berichte sprechen aber auch von einem ukrainischen Spezialkommando oder russischen Kriegsschiffen, die bereits Tage vor der Sabotage in der Region aktiv gewesen sein sollen.

Kein Schutz von der Bundeswehr

Die Sabotageakte haben auch die Frage des Schutzes der Infrastruktur in den Vordergrund gerückt. Vor allem die so genannten „kritischen Infrastrukturen“ – also zum Beispiel Strom- oder Wasserversorgung, Bahnstrecken, Verwaltung – können nach einer Sabotage eklatante Folgen für die Bevölkerung haben, sodass hier ein besonderer Schutz notwendig ist. Staatliche oder terroristische Akteure könnten durch Angriffe auf die genannten Punkte mit relativ geringem Aufwand große Schäden anrichten.

Die Bundesregierung erklärte in Folge der NS2-Sabotage im November, dass die „Überwachung und den Schutz kritischer Infrastrukturen“ nicht in den „Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung“ (BMVg) fallen würde. „Die originäre Zuständigkeit zum Schutz von kritischer Infrastruktur liege bei den KRITIS-Betreibern“, so in einer Meldung auf der Netzseite des Bundestages. „Bei konkreten Gefährdungen von KRITIS sind die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern zuständig. Eine Bereitstellung von militärischen Fähigkeiten zum Schutz sei nur in den im Grundgesetz genannten Fällen zulässig.“, ist dort zu lesen. „Subsidiäre Hilfeleistungen im Sinne einer Amtshilfe sind nicht bedarfsbegründend“.

Sabotage nur Straftat?

In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des AfD-Bundestagsabgeordneten Harald Weyel, die FREILICH vorliegt, bestätigte das BMVg am 21. April, dass das Territoriale Kommando der Bundeswehr weiterhin keine Maßnahmen zum Schutz deutscher kritischer Infrastrukturen ergriffen habe. In dem Schreiben wird auf die Bundespolizei verwiesen, die im Rahmen von Amtshilfeersuchen unterstützt werde. Aus dieser kurzen und unscheinbaren Antwort geht also hervor, dass die Bundesregierung den Sabotageakt wahrscheinlich als eine Form der Kriminalität betrachtet – und nicht als kriegerischen Akt.

Die Vermeidung einer Einstufung ist angesichts der Ermittlungen und der möglichen Folgen einer Einordnung als kriegerischen Akt nachvollziehbar, dass aber nach der Sabotage keine Maßnahmen zum Schutz kritischer Infrastrukturen ergriffen wurden, ist fragwürdig. FREILICH stellte Presseanfragen an das Verteidigungs- und das Innenministerium, das Auswärtige Amt und das Kanzleramt sowie an die verteidigungspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen, um die Gründe für das Schweigen zu erfahren. Nur das Verteidigungsministerium und der verteidigungspolitische Sprecher der AfD, Rüdiger Lucassen, waren zu einer Antwort bereit.

Anpassung der Gesetzeslage

Bundestagsabgeordneter Lucassen hat Verständnis für die Zurückhaltung bei der Entscheidung, ob Sabotage eine Straftat oder ein kriegerischer Akt sei. Vor allem Letzteres könne schwerwiegende Folgen haben. „So haben etwa die USA die Angriffe auf New York und Washington durch die Nicht-Regierungsorganisation Al-Qaida als Angriff im klassischen Sinne betrachtet“, sagte Lucassen gegenüber FREILICH. „In der Folge griffen die Vereinigten Staaten Afghanistan an.“

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums wollte zu der Frage, ob Sabotage ein kriegerischer Akt sei, keine Stellung nehmen. Es gebe auch keine Pläne, den Schutz kritischer Infrastrukturen in andere Verantwortungsbereiche zu verlagern. Für Oberst a. D. Lucassen ist der Reformbedarf zum Schutz kritischer Infrastruktur durch die Bundeswehr auf gesetzlicher Grundlage dennoch offensichtlich: „Die Bundeswehr ist die einzige Organisation, die über die Fähigkeiten zum Schutz der kritischen Infrastruktur Deutschlands, insbesondere außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets, verfügt.“

Bundeswehr soll die Infrastruktur schützen

Lucassens Parteikollege Harald Weyel stimmte zu: „Der Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines war ein Kriegsakt und keine Ordnungswidrigkeit“, so der Europapolitiker gegenüber FREILICH. „Der bloße Verweis auf formelle Zuständigkeit befreit die Bundeswehr nicht von der Verantwortung, die Marine in die Ostsee zu entsenden und deutsche Infrastruktur zu verteidigen.“ Das Bundesinnenministerium sieht allerdings keine Notwendigkeit. Der im Herbst 2022 eingerichtete „Gemeinsame Koordinierungsstab Kritische Infrastrukturen“ und andere Maßnahmen sehen weiterhin zivile Institutionen in der Pflicht. So soll die Bundespolizei auf weitere maritime Aufgaben vorbereitet werden.

Inwieweit die deutsche Polizei und private Unternehmen wie die Deutsche Bahn und Pipelinebetreiber den Schutz gewährleisten können, ist fraglich. Die Bundeswehr wird – anders als im Ausland – wohl weiterhin außen vor bleiben. So ist das „Defense Critical Infrastructure Program“, das „Maßnahmen zur Verhinderung, Behebung oder Minderung von Risiken, die sich aus Schwachstellen in kritischen Infrastrukturen ergeben“ umfasst, beim US-Verteidigungsministerium angesiedelt. Die United States Coast Guard, eine Teilstreitkraft, schützt die maritime Infrastruktur. Warum Deutschland hier einen anderen Weg gehen will, bleibt offen.