Europawahl 2024 – Warum es mir schwer fällt, AfD zu wählen

Für viele Rechte in Deutschland ist die AfD die einzige Partei, von der sie wissen, dass sie ihre politischen Positionen am ehesten umsetzen können. So sieht es auch Bruno Wolters. In seinem FREILICH-Kommentar erklärt er, warum er inzwischen trotzdem so etwas wie eine Entfremdung von der Partei verspürt.

Kommentar von
17.5.2024
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5 Minuten Lesezeit
Europawahl 2024 – Warum es mir schwer fällt, AfD zu wählen
Eines der Plakate der AfD zur EU-Wahl am 09.06.2024.© IMAGO / foto2press

In weniger als einem Monat dürfen die EU-Bürger wieder ein neues Parlament wählen. Es wird meine dritte EU-Wahl sein, und es wird wohl niemanden überraschen, dass ich mein Kreuz bisher immer bei den Kandidaten einer blauen Partei gemacht habe. 2024 könnte sich das ändern. Anfang Juni werde ich mich wohl zum ersten Mal seit vielen Jahren bei einer Wahl fragen, welcher Partei ich meine Stimme geben soll, obwohl ich mich durchaus als rechten Stammwähler bezeichnen würde und die Partei in allen Wahlomaten der letzten Jahre regelmäßig auf dem ersten oder zweiten Platz gelandet ist. Die AfD und ich – das war bisher immer ein Match. Das wird auch so bleiben, und doch spüre ich mittlerweile eine Art Entfremdung von einer Partei, die mich von Tag zu Tag mehr verärgert – obwohl das alles vermeidbar wäre. In mir wächst der Wunsch, der Partei den Rücken zu kehren, obwohl ich auch weiß, dass die blaue Partei letztlich der einzige Akteur sein wird, der meine politischen Positionen wirklich umsetzen kann. Es ist schizophren.

Aber warum all der Ärger, woher die Wut? Beginnen wir mit den Inhalten. Die AfD tut sich auch nach zehn Jahren schwer mit ihrer Rolle als rechte Partei. Während die AfD an der Basis und im Mittelbau sowie unter jungen Mitgliedern und Sympathisanten durchaus als rechte Partei verstanden und akzeptiert wird, spürt man vor allem bei den Vertretern in den Führungsgremien – wohlgemerkt nicht bei allen – eine Art Parallelwelt oder auch den Wunsch, eigentlich eine ganz andere Wählerschaft oder Mitgliedschaft zu haben. Der Kopf passt nicht zum Körper. Die Folgen sind dann merkwürdige politische Schlingerkurse – obwohl zum Beispiel laut Umfragen die Mehrheit der AfD-Anhänger keine eindeutige Pro-Israel-Position wünscht, lässt die AfD-Fraktion im Bundestag keine Gelegenheit aus, nicht „ihre Verbundenheit mit Israel“ zu demonstrieren – was soll das überhaupt bedeuten?

Kein Schlingerkurs führt zum Erfolg

Weitere Beispiele für die inhaltliche Kluft zwischen Wählern, Vorfeld und politischer Führung der AfD gibt es zuhauf: Es sei nur auf das Verhalten rund um die Begriffe „Volk“ und „Remigration“ oder das rein auf den juristischen Kampf gegen den Verfassungsschutz reduzierte Abwehrverhalten verwiesen. Es fehlt eine inhaltliche Linie und vor allem eine inhaltliche Identifikation mit den Wählern. Hat man Konsequenzen daraus gezogen, dass vor allem junge Menschen oder Arbeiter und Selbständige die AfD wählen? Nein, im Gegenteil. Ich verlange nicht, dass die AfD zu 100 Prozent identitär-multipolar-sozialpatriotische Programmatik umsetzen soll und muss, damit ich sie wieder wähle. Aber zu oft macht die AfD in meinen Augen inzwischen – von Ausnahmen abgesehen – eine Politik, die die rechte Kernwählerschaft kaum noch erreicht. Klar, die meisten wählen die AfD wegen einer simplen Botschaft: Man will keine weitere Zuwanderung. Aber selbst da rudert die AfD teilweise zurück und versucht, liberaler als die CDU zu sein – siehe das Beispiel Chemnitz. Kurzum: Für mich als rechten Kernwähler stellt sich die Frage, ob das Thema Zuwanderung und die Einstellung der Partei hinsichtlich dieser Frage für mich wirklich noch so attraktiv ist, dass ich über die anderen fehlenden Programmpunkte hinwegsehen kann.

Auch abseits der inhaltlichen Debatte zeigt die AfD wieder ein Gesicht, das eigentlich der Vergangenheit angehören sollte. Es hagelt weiter Parteiausschlussverfahren und Spielchen mit der Unvereinbarkeitsliste, der Bundesvorstand hat in den letzten zwei Jahren nichts wirklich bewegen können, die Querelen um den EU-Listenaufstellungsparteitag in Magdeburg, der fragwürdige Umgang mit den beiden EU-Spitzenkandidaten angesichts der aktuellen Vorwürfe und die immer noch bestehende Distanz zum Vorfeld, der lächerliche Umgang der Bundestagsfraktion mit dem Leistungsträger Matthias Helferich, die unzähligen weiteren kleineren Konflikte wie in Baden-Württemberg oder NRW. Oder die Hetze von Älteren gegenüber jüngeren Akteuren. Die Partei ist zehn Jahre alt geworden, aber immer noch ein „gäriger Haufen“. Es gibt auch Beispiele, die mir gefallen. Der Landesverband Thüringen macht seit Jahren konstant gute Arbeit, der Landesverband Brandenburg hat das Zeug, in Zukunft einer der weiteren Motoren der AfD zu werden.

Potenzial wird verschenkt

Mit anderen Worten: Die Professionalisierung der Partei kommt nicht mehr voran. Was sagt es über die Partei aus, wenn unter Medienmachern gewitzelt wird, die Medienarbeit in der AfD-Bundesgeschäftsstelle sei unqualifiziert und halte „die Partei in Geiselhaft“? Wie kann es sein, dass der Vorsitzende der ehemaligen NPD, Frank Franz, jetzt Heimat, im Alleingang einen besseren Medienauftritt hinlegt als die gesamte Partei, die dann lieber Videos mit Mitgliedern mit Migrationshintergrund veröffentlicht, die man sich dann nur mit Untertiteln anschauen darf, weil die Vorzeigemigranten nicht einmal gut Deutsch sprechen? Egal, mit wem man spricht, die Stimmung ist schlecht. Die Partei kommt gar nicht in den Europawahlkampf – und das selbstverschuldet! Kreis- und Landesverbände sowie einzelne Akteure müssen dann alles selbst in die Hand nehmen. Aus Brandenburg hört man, dass in einer Großstadt drei Großplakate für die Europawahl von der Bundespartei gebucht wurden – der Kreisverband hingegen hat nach eigenen Angaben 50 aufgestellt. Wenn man dann noch liest, dass die AfD immer reicher wird, kann man nur den Kopf schütteln. Will die AfD das Geld lieber horten? Wenn ja, wofür?

Die schlechte Medienarbeit und die nicht vorhandene Kampagnenfähigkeit der AfD sind eine bewusste Entscheidung – und nicht die Folge eines Mangels an kreativen Köpfen oder Geld. Beides ist vorhanden, wird aber nicht genutzt. Ich habe seit zwei, drei Jahren einen guten Vergleich mit der FPÖ. Wenn ich mir anschaue, was dort in Österreich für einzelne Kandidaten allein finanziell getan wird, während die AfD im gesamten Europawahlkampf knauseriger ist als ein Schwabe – dann gute Nacht. Dann ist das gewollt. Man muss sich immer eines klarmachen: Es gibt genug kreative, meist sogar geniale und junge Köpfe, die für die AfD die krassesten Kampagnen und Medienarbeit abliefern könnten. Nur: Die AfD will sie nicht. Finanziell und personell werden konsequent Fehlentscheidungen getroffen.

Ein Signal an die Partei

Eine Stimme für die AfD würde heute vor allem denjenigen einen Blankoscheck ausstellen, die für diese Zustände und Verhältnisse verantwortlich sind. Sie würden sich bestätigt fühlen und weitermachen wie bisher. „Seht her, unser Europawahlkampf hat trotz der schlechten Umfragewerte, der negativen Berichterstattung und der Skandale für 13 Prozent gereicht! Wir machen alles richtig! Alle Kritik war unbegründet.“ Das ist vor allem mein Grund, warum ich mit der AfD hadere – ich möchte diesen Leuten mit meiner Stimme kein „Weiter so!“ geben, denn ich würde die AfD nicht wegen, sondern trotz ihnen wählen. Das Problem: Kritik und Warnungen gab es von Anfang an, aber sie wurden immer ignoriert. Wie sonst soll man als normaler Wähler der Partei klarmachen, dass es so nicht weitergehen kann, wenn nicht durch eine Stimmverweigerung?

Auch jetzt werden Leute, die das anders sehen, die Kritik abwürgen und sagen: „Ach, so ein Idiot. Der will aus der AfD eine Jungeuropa-IB-Partei machen, das würde doch sowieso keinen Wähler begeistern“. Wer so denkt, vergisst, dass die AfD vor allem auch von rechten Kernwählern getragen und unterstützt wird – und nicht von „Bürgerlichen“ oder ehemaligen CDU-Wählern, die eigentlich nur den Altparteien einen Denkzettel verpassen wollen. Die AfD muss eine Volkspartei werden – auf der Grundlage rechter Politik. Das ist kein einfacher, aber der einzig nachhaltige Weg. Wer glaubt, die AfD könne sich an den Fehlern der anderen schadlos halten, ohne ein eigenes rechtes Konzept zu entwickeln, läuft Gefahr, dass sich die Stammwähler abwenden und die Wechselwähler weglaufen, wenn Union und FDP mal ein bisschen nach rechts blinken. Ich hoffe, dass die AfD das begreift. Bis dahin werde ich mir jede Stimme für diese Partei genau überlegen.


Zur Person:

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Im Sommer 2020 war er Mitgründer des konservativen Onlinemagazins konflikt. Im Jahr 2021 folgte das Buch Postliberal im Verlag Antaios. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei FREILICH. Seine Interessensgebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

Twitter: https://twitter.com/Bruno_Wolters

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