Ein-Jahres-Bilanz: Das ist die blaue Handschrift in Niederösterreich

Seit knapp einem Jahr hat die FPÖ nun durch das Arbeitsübereinkommen mit der ÖVP mehr Gewicht in der niederösterreichischen Landesregierung. Zeit also für ein erste Bilanz zu den Auswirkungen dieses Deals.

Julian Schernthaner
20.3.2024
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6 Minuten Lesezeit
Ein-Jahres-Bilanz: Das ist die blaue Handschrift in Niederösterreich
Die Niederösterreichische Landesregierung mit Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer (FPÖ)© IMAGO / SEPA.Media

Es begann mit einem Knalleffekt – und einem scheinbaren Kuhhandel. Als die FPÖ sich bei der Wiederwahl von Johanna Mikl-Leitner zur Landeshauptfrau enthielt, schwante Kritikern bereits Böses, was die schwarz-blaue Zusammenarbeit betrifft. Doch dann die große Überraschung: Anders als später in Salzburg war die freiheitliche Handschrift schon im Regierungsprogramm deutlich erkennbar – und bei der Umsetzung eigener Impulse verschwendete man keine Zeit.  

Große Aufregung um Corona-Fonds

Ein Prestigeprojekt ist der Landesfonds im Umfang von 31,3 Mio. Euro, mit dem Niederösterreich als erstes Bundesland die Bürger für durch die Coronapolitik erlittene Unbill entschädigt. Von der Rückzahlung von ungerechtfertigten Strafen über Therapiekosten bis hin zu Zahlungen für Impfgeschädigte: Dieses Instrument an jener Politikerin, die sich einst als „Mutter der Impfpflicht“ feiern ließ, vorbeizubringen, galt schon als Erfolg, noch ehe der erste Cent an Betroffene floss. Anders als beim Impfschadengesetz sind nicht nur die allerschwersten Fälle, sondern auch mittelschwere Negativfolgen umfasst.

Groß war die Aufregung im polit-medialen Komplex. Journalisten sprachen von einem „niederträchtigen Pakt“ oder einer „Kapitulation vor der Unvernunft“. ÖVP-Verfassungsministerin Karoline Edtstadler tönte, das gehe sich für sie „weder als Juristin noch als Verfassungsministerin aus“. Die Krone zitierte mehrere Verfassungsrechtler, die den Plan für undurchführbar erklärten und sogar vor „Amtsmissbrauch“ warnten. Sogar die Rechnungshofchefin wetterte gegen die Rückzahlung von Strafen. Die umstrittene GECKO-Kommission löste sich „aus Protest“ auf.

„Gender-Verbot“ als nächster Impuls

Alle Unkenrufe halfen nichts: Am 27. Juni des Vorjahres – nach gerade einmal drei Monaten im Amt – beschloss die niederösterreichische Landesregierung die Einrichtung des Fonds. Wenige Wochen später erfolgten die ersten Auszahlungen, erfolgreich „vermarktete“ man in der Folge das Projekt – trotz Gegenwind. Der kommt üppig: Als „FPÖ TV“ eine impfgeschädigte Dame, die eine Auszahlung erhielt, zum Interview bat, reagierte der Falter mit einem Artikel, der ihre Geschichte in Zweifel zog  – und etliche Mainstream-Journalisten stimmten auf X in den Chor ein.

Ins Bockshorn jagen lässt sich die blaue Regierungsmannschaft von solchen Zwischenrufen nicht. Sie ruht sich auch nicht auf Lorbeeren aus: Kaum stand der Corona-Fonds, kündigte FPÖ-Landeschef Udo Landbauer an, sich rasch für die Beseitigung der Gender-Sprache bei Behörden einzusetzen. Dies ist vor allem ein „propagandistischer Sieg“: Die aufgezwungenen Sprachformen sind bei den Bürgern laut Umfragen äußerst unbeliebt. Das Beste, was dem Blätterwald als Reaktion darauf einfiel, war der Verweis darauf, dass Landbauer sich als „Landeshauptfrau-Stellvertreter“ bezeichnen müsse.

Hohe Schlagzahl oder Kompromisse?

Beides sind – neben der sofort nach Antritt veranlassten Abschaffung der GIS-Landesabgabe – Impulse, mit denen man Kernwählern zeigen kann, dass es selbst in einem formellen Proporzsystem wie in Niederösterreich nicht egal ist, wer das Regierungsprogramm schreibt. Hier die eigenen Erfolge proaktiv zu „vermarkten“, ist sicherlich die Handschrift Landbauers. Doch es verbergen sich auch Gefahren: Denn man muss die Wähler noch vier Jahre lang bei der Stange halten – und als Juniorpartner wird man da viele, auch schmerzhafte, sachpolitische Kompromisse eingehen müssen.

Dabei kann die Ressortaufteilung zum zweischneidigen Schwert werden: So bieten Themenbereiche wie Infrastruktur, Asyl und Sicherheit oder Arbeitsmarkt – so über die drei blauen Landesräte verteilt –zugleich Entfaltungs- und Konfliktpotenzial. Bei Straßenprojekten und der Unterbringung von Migranten kann etwa der Bund dazwischenfunken. Und bei der Beschäftigungspolitik ist man ebenso von nationalen und sogar internationalen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen abhängig.

Geringer Zuschuss gegen Teuerungswelle

Bereits getroffene Kompromisse rufen in Erinnerung, dass die Volkspartei eben doch Seniorpartner ist. So lässt sich der Heiz- und Wohnkostenzuschuss zwar gut als Entlastung verkaufen, ist aber mit maximal 225 Euro im Bundesländervergleich ziemlich niedrig. Der blau-gelbe Strompreisrabatt, von Landbauer ein Jahr zuvor als „Taschenspielertrick“ der um Wählerzuspruch ringenden Volkspartei gegeißelt, lief Ende September ersatzlos aus – obwohl die EVN-Energiepreise weiterhin hoch blieben.

In Niederösterreich ist das auch eine soziale Frage: Wie FREILICH im Vorjahr aufdeckte, treffen die hohen Strom- und Heizkosten nämlich auf ein vergleichsweise niedriges Lohnniveau, trotz der Nähe zur Bundeshauptstadt weist NÖ das zweitniedrigste Medianeinkommen auf. Zwar ist das Sozialressort ebenso in Händen der Volkspartei wie das Energieressort – doch die Folgen der weiter überdurchschnittlichen Inflation und der hohen Lebenshaltungskosten merken Bürger täglich. Bei allfälligem Unmut gilt dann: „Mitgefangen, mitgehangen.“

Koalitionspartner als Hypothek

Eine weitere Hypothek ist der Koalitionspartner, denn Niederösterreich ist das ÖVP-Kernland. Fünf der letzten sieben schwarzen Innenminister – darunter Mikl-Leitner und Nationalratspräsident Sobotka – kamen aus dieser Landesgruppe oder pflegten eine enge Verbindung zu ihr. Dasselbe gilt auch für zwei der drei letzten ÖVP-Verteidigungsminister und – mit Abstrichen – vier der fünf letzten ÖVP-Parteichefs. Im Volksmund gilt St. Pölten als Schaltzentrale der aktuellen Kanzlerpartei. Dementsprechend konzentriert sich mediale Kritik oft auf Akteure aus jenem Dunstkreis.

Schwarze Netzwerke in, aus und um Niederösterreich standen bei mehreren parlamentarischen Untersuchungsausschüssen im Fokus. Bislang half der FPÖ hier sicherlich, dass der eigene Bundesparteichef und beide Generalsekretäre einen Bezug zum Bundesland haben und die kritische Kommunikation übernehmen können – Hafenecker stammt von dort, Schnedlitz und Kickl leben dort. Doch egal, ob man selbst in der nächsten Regierung im Bund ist oder weiter auf der Oppositionsbank sitzt: Die nötige Kritik bedarf weiter eines gewissen Fingerspitzengefühls, weil man in Niederösterreich mit der ÖVP regiert.

Klima-Agenda als Damoklesschwert

Im Vorjahr ließ es sich Mikl-Leitner nicht nehmen, einmal mehr als Gastgeberin des „Europa Forum Wachau“ zu fungieren – mit dem Motto: „Ein belastbares, grünes und wettbewerbsfähiges Europa schaffen“. Schwerpunkte waren neben illegaler Migration der Einsatz von Telemedizin, erneuerbare Energieträger und der digitale Wandel. Also alles Themen, die auch auf ähnlichen „Globalistentreffen“ wie in Alpbach oder Davos besprochen werden und denen die FPÖ durchaus kritisch gegenübersteht.

Die EU drückt beim „Green Deal“ aufs Tempo, die grüne Ministerin Leonore Gewessler bei den Klimaziele ebenso. Auch der „Klimafahrplan“ des Landes für die Jahre 2021-25 – eine Altlast aus der ÖVP-Alleinregierung – will bis 2030 satte 36 Prozent der CO2-Emissionen einsparen, eine E-Auto-Quote von 20 Prozent. Der nunmehr beschlossene EU-Sanierungszwang von Gebäuden wurde ebenfalls schon mitgedacht wie „klimagerechte“ Tempolimits und sogar CO2-Steuern für Fahrzeuge. Vieles davon steht im Widerspruch zu den Erzählungen, auf welche die FPÖ in diesem Themengebiet setzt.

Bilanz und Perspektive der Landesräte

Bislang umschiffte Udo Landbauer diese Problematik elegant, konnte als Verkehrslandesrat die Eröffnung neuer Radwege und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs als Angebotsverbesserung verkaufen. Zudem gaben die Klimakleber-Blockaden ausreichend Raum, um klare Kante gegen radikale Aktivisten zu zeigen. Aber spätestens, wenn für die Periode 2026-30 ein Klimakonzept des Landes nachverhandelt wird, muss er Farbe bekennen – und muss eventuell trotzdem „transformative“ Dinge mittragen, die seinen Wählern nicht gefallen.

Christoph Luisser wiederum konnte den Corona-Fonds gut verkaufen und strafte alle Unkenrufe Lügen, die dies für unmöglich hielten. Allerdings muss er aktuell den von der schwarz-grünen Regierung beschlossenen Ausbau der Telemedizin mittragen. Beim Asylthema profilierte er sich durch das Vorantreiben von Sachleistungen und Bezahlkarten für Flüchtlinge . Wenn der Bund wie in Salzburg die Erfüllung von Quoten fordert, muss er aber proaktiver opponieren als Svazek, um glaubwürdig zu bleiben.

Nahezu gänzlich unter der medialen Wahrnehmungsschwelle blieb hingegen die dritte Landesrätin, Susanne Rosenkranz, mit ihrer Tätigkeit. Hier ein 24-Stunden-Notruf im Tierschutz, dort etwas Kritik an der Jugendarbeitslosigkeit, dazu eine Initiative gegen Cyberkriminalität. Umgekehrt gab es Berichte über eine Anzeige über eine Personalentscheidung als einstige Kremser Stadträtin, während ihr Einsatz für eine behördlich gegängelte Bauernfamilie bestenfalls als Randnotiz wahrgenommen wurde. Sie muss ihr Profil entsprechend noch schärfen.