Die vierte Lesung: ORF-Reform: Etwas Licht ins Dunkel
Die Abschaffung des Anhörungsrechts der Landeshauptleute bei Personalentscheidungen des ORF ist ein längst überfälliges Signal. Robert Willacker sieht darin einen Achtungserfolg, der jedoch keine echte Entmachtung der politischen Netzwerke im ORF bedeutet.
Das Licht der Revolution bahnt sich in diesen Tagen den Weg durch die dichte Wolkendecke über dem Wiener Küniglberg, dem Hauptsitz des öffentlich-rechtlichen ORF. Die regierende Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS hat sich eine ORF-Reform vorgenommen, die nach jetzigem Stand zwar eher nach Reförmchen als nach großer Umwälzung der herrschenden Medienverhältnisse aussieht; jedoch beinhaltet sie einen veritablen Machtverlust für die Landesregierungen und das rechtfertigt dann doch die Verwendung großer Worte. Nicht weniger als das lange und erbittert verteidigte Anhörungsrecht der Landeshauptleute bei der Bestellung von ORF-Landesdirektoren wird künftig gestrichen. Was sich anhört wie ein Relikt aus der Monarchie, war bis heute ganz selbstverständlich: die Bestellungen der ORF-Landesdirektoren gehen über den Schreibtisch des Landeshauptmanns, der dann seine Meinung zur Person kundtun und Bedenken äußern kann.
Ein Paragraph und die Macht der Landeshauptleute
Formal war dieses Anhörungsrecht in Paragraph 23 des ORF-Gesetzes verbrieft, wonach es dem ORF-Generaldirektor obliegt, die Vorlage von Vorschlägen für Landesdirektoren „nach Einholung einer Stellungnahme des betreffenden Landes“ vorzunehmen. In der Praxis bedeutete dies eine Vorladung im Büro des Landeshauptmanns, der den Generaldirektor zunächst ins Gebet und dann Einfluss auf die Personalbestellungen nahm.
Der zumindest offizielle Hintergrund dieser absurd anmutenden Regelung war der Versuch des Gesetzgebers, sicherzustellen, dass die ORF-Landesspitze ein offenes Ohr und ein Gespür für die regionalen Interessen habe. Doch wie sich jeder halbwegs medienpolitisch interessierte Beobachter ausmalen kann, ist das „offene Ohr“ eine bemerkenswert harmlose Umschreibung für politischen Einfluss auf Programm und Personal. In der Praxis wirkte sich die Nähe des Landesdirektors zum Landesfürsten dann beispielsweise so aus: als es im Oktober 2021 im Zuge der sogenannten Inseratenaffäre zu Hausdurchsuchungen im ÖVP-Bundeskanzleramt und der ÖVP-Parteizentrale kam, berichteten die sechs ORF-Landesstudios der ÖVP-regierten Länder in ihren Bundesland-Ausgaben gar nicht darüber, während die drei ORF-Landesstudios der SPÖ-regierten Länder die Meldung als Aufmacher brachten.
Reform mit Wirkungslosigkeit im Kern
Dass die NEOS nun – zu Recht – stolz darauf verweisen, seit über zehn Jahren auf diese Reform gedrängt zu haben, ist ein ernüchterndes Zeugnis dafür, wie langsam (medien-)politische Veränderungen in Österreich auch dann passieren, wenn die Missstände offenkundig sind.
Doch nicht alle sind mit dieser Reform glücklich; während sich die NEOS freuen, erlebte die ÖVP durch die Verkündung des Machtverlusts der Landeshauptleute eine Art Schabowski-Moment. Sie wurde von den Ereignissen schlichtweg überrumpelt und muss nun vor allem intern die Wogen glätten. Medienberichten zufolge sind die „Irritationen“ innerhalb der ÖVP mit ihren derzeit noch fünf Landeshauptleuten so massiv, dass der ÖVP-Mediensprecher im Nationalrat, Kurt Egger, mittlerweile seine Agenden abgeben musste.
Doch wer glaubt, Österreich sei nun frei vom politischen Hinterzimmerpaktieren beim öffentlich-rechtlichen ORF, der irrt gewaltig. Die von den Parteien bestellten und von ÖVP und SPÖ dominierten Freundeskreise im ORF-Stiftungsrat sorgen nach wie vor dafür, dass personell kein politischer „Ausrutscher“ an der Spitze des ORF passiert. Eine echte Reform im Sinne einer politischen Entkoppelung des ORF ist derzeit nicht in Sicht und wird es in einer von ÖVP- und SPÖ-dominierten Koalition wohl auch nicht geben. Den NEOS gönnte man mit der Abschaffung des Anhörungsrechts der Landeshauptleute immerhin einen Achtungserfolg, die wirklich einflussreichen Seilschaften im ORF bleiben davon jedoch unbeschadet.