„Feindbild Islam als Sackgasse“ – wenn aus der Not eine Tugend gemacht wird

Die politische Rechte muss ihr Islambild überdenken – das ist die Botschaft von Feindbild Islam als Sackgasse, das im April im Jungeuropa-Verlag erschienen ist. Ein Buch, das bereits im Vorfeld für heftige Diskussionen gesorgt hat.

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„Feindbild Islam als Sackgasse“ – wenn aus der Not eine Tugend gemacht wird
Feindbild Islam als Sackgasse - erschienen im Jungeuropa-Verlag

Der 1990 in Essen geborene Politikwissenschaftler und Bodybuilder Frederic Höfer sorgt mit seiner ersten Veröffentlichung für Wirbel. Während die einen meinen, das Thema Islam sei längst abgehakt und das Buch eine unnötige Provokation, reagieren die anderen empört und weisen Höfers Thesen emotional zurück. Manche behaupten sogar, der Autor sei mit seinem Buch dem Protest gegen die herrschende Migrationspolitik „in den Rücken gefallen“.

Die heftigen Reaktionen sind nicht verwunderlich, denn der Autor rührt in aller Deutlichkeit an einem rechten Tabu: Welche Politik auch immer die jetzige ablösen wird, sie wird sich mit der schlichten Tatsache auseinandersetzen müssen, dass „Millionen Muslime und deren Religion in jedem denkbaren Szenario ein manifester Teil deutscher Realität sind und bleiben“. Warum also nicht aus der Not eine Tugend machen und eine „Islamannäherung unter positiven Vorzeichen“ wagen?

Von der Not zur Tugend

Den Anfang will Höfer mit seinem Erstlingswerk machen. Er fragt, wie es zu dem negativen Islambild in der Rechten kommen konnte, will die Widersprüche im Diskurs aufzeigen und am Ende eine „gruppentranszendierende traditionale Position“ vorschlagen, die die jeweiligen Gruppentraditionen nicht bedroht. Würde die Rechte seinem Rat folgen, könnten die Muslime am Ende sogar die notwendigen Verbündeten gegen die „Wokeness“ der Linken sein.

Diesem Faden folgt der Autor in zwei Exkursen durch das Buch und spart dabei nicht mit scharfer Kritik an der politischen Rechten und ihren Positionen. Gleichzeitig sucht er gezielt nach Berührungspunkten mit dem Islam, was stellenweise den Charakter einer kitschigen Apologetik annimmt, wie zum Beispiel auf Seite 58: „Der Klang koranischer Verse erzeugt für den gläubigen Muslim eine Art von heiliger Melodie von metaphysischer Schönheit, die ihn andächtig entrückt, mit ehrfürchtigem Schauder erfasst und in beglücktes Erstaunen versetzt“.

Der Autor will aufrütteln

In Richtung der Rechten argumentiert Höfer hingegen mit harten Bandagen. Wenn die „außersystemische Opposition“, wie Höfer die AfD und ihr Vorfeld nennt, an ihrer „Islamfeindlichkeit“ festhalte, gerate sie in eine politische und strategische Sackgasse mit einer „latenten Bürgerkriegsposition“. „Die Behauptung einer grundsätzlichen kulturell-religiösen Inkompatibilität großer Bevölkerungsgruppen“ lasse „politisch nun einmal keine andere Konsequenz zu“ – und das bedeute Game over.

Die Zuspitzung von Islamapologetik einerseits und Rechtskritik andererseits scheint gewollt: Höfer will aufrütteln. Schließlich solle die politische Rechte angesichts der demografischen Krise nicht untergehen, sondern eine „epochale Verantwortung“ für einen „geistig-kulturellen Wiederaufbau“ übernehmen und aus der Situation, „wie sie nun einmal ist“, das Beste machen.

Der Wunsch als Vater des Gedankens

Dabei schießt Höfer mit seiner Verteidigung des Islam weit über das Ziel hinaus. Der Koran ist kein Parteiprogramm. Damit hat Höfer Recht. Aber der Islam ist eine politische Religion, und der Koran und die Hadithe enthalten auch klare Gesetze. Denn während das Christentum in Opposition zum Staat entstand und sich deshalb dem Glauben zuwandte, entstand der Islam als Staat und legte seinen Fokus auf das richtige Handeln.

Ähnlich schreibt Höfer, dass sich „Muslime ebenfalls zur traditionellen Familie aus Mann, Frau und Kindern“ als „Leben spendende Keimzelle der Gesellschaft“ bekennen würden, und unterschlägt dabei, dass die islamische Mehrehe doch nicht dasselbe ist wie die christliche, egalitäre Einehe. Und die Eckpfeiler der islamischen Gesellschaft sind nicht die mittel- und westeuropäische Kleinfamilie und Nation, sondern der Clan und die Umma.

Dass Höfers Islambild vom Wunschdenken getrieben ist, wird noch eindrücklicher, wenn Höfer schreibt, dass es laut Koran auch keinen Zwang in der Religion gebe. Das dürften selbst islamische Gelehrte anders sehen. Etwa an der Azhar-Universität – immerhin die höchste Autorität im sunnitischen Islam –, die die Todesstrafe für nicht reuige Konvertiten im Islam anerkennt. Oder islamische Gelehrte im Iran, in Saudi-Arabien oder in Somalia, wo der Abfall vom Islam auch heute noch mit dem Tod bestraft werden kann. Ähnliches gilt übrigens auch für Atheisten.

Eine Neuauflage des Multikulturalismus

Diese bemühte Verteidigung des Islam ist letztlich die Vorbereitung für Höfers Entwurf einer „gruppentranszendierenden traditionalen Position“, die ein friedliches Miteinander des „Islams im großen Haus der deutschen Nation“ möglich macht: Kulturen und Geschlechter anerkennen, Materialismus und Wachstum ablehnen und den „Wunderstatus der Schöpfung“ anerkennen. Dies seien die Werte, die die Gesellschaft in Zukunft wie eine „einigende Klammer traditionaler Kräfte“ zusammenhalten sollen.

Damit steht Höfer – wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen – in der Nachfolge des „liberalen Multikulturalismus“. Dieser steht für all jene politischen Konzepte, die einen neutralen Staat fordern und dessen Integrationskraft durch eben solche „gruppentranszendierenden“ Werte behaupten. Dass Höfer die gemeinsamen Werte unter ein umgekehrtes Vorzeichen stellt, ändert nichts an der Grundstruktur seiner Konzeption.

Fehlen eines politischen Entwurfs

Mit dem Postulat dieser „gruppentranszendierenden traditionalen Position“ endet auch Höfers Darstellung und es bleibt unklar, wie Höfer auf die Probleme antwortet, an denen schon der liberale Multikulturalismus gescheitert ist. Dieser scheiterte, weil er zwar angeblich „universelle Werte“ postulierte, in Wirklichkeit aber christlich-europäische Werte durchsetzte, die für andere Gruppen wenig Integrationskraft entfalteten. Und er scheiterte, weil er den verschiedenen Gruppen zwar oberflächlich entgegenkam, sie aber in den Grundfesten ihrer Identität verletzte. Und schließlich, weil mit abstrakten Werten keine funktionierende Gesellschaft zu machen ist.

Ähnliche Fragen bleiben im Hinblick auf andere Widersprüche des Aufsatzes, etwa wie die Deutschen „ihre fortwährende Minorisierung nicht akzeptieren“, wenn sie gleichzeitig nur noch eine „deutsche Kernregion“ für sich beanspruchen. Oder wie es sein kann, dass „Muslime das Primat der deutschen Kultur in Deutschland nicht in Frage stellen“, obwohl sie in den „zukunftsprägenden jüngeren Alterskohorten“ dominieren und letztlich auch das kulturelle Selbstverständnis Deutschlands immer stärker prägen werden.

Eine anregende Perspektive

Höfers Anliegen ist gut gemeint – er stört sich am anti-islamischen Populismus und an der Islamfeindlichkeit der Rechten. Viele Reaktionen auf sein Buch zeigen, dass diese durchaus vorhanden ist. Auch wenn Höfer mit seiner Verteidigung des Islam über das Ziel hinausschießt, sind viele Rechte mit ihrer Islamfeindlichkeit noch weiter von der Realität entfernt.

Gerade dieser Mut, eine „Islamannäherung unter positiven Vorzeichen“ zu wagen und damit Kritik aus den eigenen Reihen geradezu zu provozieren, macht das Buch zu einer spannenden Lektüre. Über Probleme und Perspektiven nachzudenken, die oft ignoriert und tabuisiert werden, kann nur ein Gewinn sein. Auch wenn Höfers Entwurf wichtige Fragen offen lässt, so hat er sie doch gestellt. Der Erfolg des Buches zeigt, dass dies notwendig ist.

Frederic Höfer: Feindbild Islam als Sackgasse, Jungeuropa Verlag, Dresden 2023, 136 Seiten, AT/DE € 18