Cancel Culture: Konfliktzone Universität
Wissenschaft und Politik sind eng miteinander verflochten. Besonders heute ist die Universität ein politisch hart umkämpfter Raum.
Seine Schüler versuchten zunächst vergeblich, ihren Lehrer von seinem Entschluss abzubringen. Das Gericht verurteilte den antiken griechischen Philosophen Sokrates nach einem kurzen Prozess mit knapper Mehrheit zum Tode. Die Anklagepunkte waren lächerlich: Er habe die attische Jugend verdorben und die Götter verunglimpft. Am letzten Tag im Gefängnis besuchten seine Freunde den Verurteilten und reichten ihm den sogenannten Schierlingsbecher. Das Gift des gefleckten Schierlings wurde in der Antike bei Hinrichtungen verwendet – Sokrates soll den Becher kommentarlos ausgetrunken haben. Große Künstler wie der französische Maler Jacques-Louis David nahmen die letzten Stunden des Sokrates als Vorlage für ihre Gemälde, Schüler des Philosophen schrieben Briefe und ganze Bücher über ihren Lehrer, und noch heute sind Prozess und Tod des Sokrates Diskussionsstoff in Philosophieseminaren.
Der Staatsmord an Sokrates war ein Höhepunkt, aber auch der Beginn der Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Staat. Mit dem Tod des Sokrates entlud sich zum ersten Mal die Spannung zwischen den beiden genannten Akteuren und forderte unmittelbar das größte Opfer, nämlich das eines Menschenlebens. Sokrates selbst steht dabei für die Wissenschaft, also für den neugierigen Fragenden, der mit seinen Gedanken das Potential in sich trägt, Gesellschaften zu erschüttern, während der attische Hof in Gestalt der Politik die Rolle des Gegenspielers einnimmt, der misstrauisch über die Gedanken seiner Bürger wacht. Seit Sokrates ist es im christlichen Abendland und im modernen Europa immer wieder zu Kollisionen zwischen den beiden gekommen. Wissenschaft und Politik: Sie sind nicht immer die besten Freunde, aber sie sind aufeinander angewiesen. Die heutige Situation unterscheidet sich vielleicht nicht allzu sehr von früheren Verhältnissen, wie die folgenden Zeilen zeigen werden.
Einsam im Kloster oder im Dienst des Staates
Im Mittelalter beherrschten Politik und Glaube die Wissenschaft. Junge Männer studierten an den wenigen Universitäten, wie etwa in Paris, die niederen und höheren Wissenschaften. Christentum und Theologie hatten Wissenschaft und Lehre so fest im Griff, dass nach einem Grundstudium der sogenannten sieben freien Künste wie Grammatik und Logik das eigentliche Studium wie Theologie oder Medizin begann. Die Scholastik, eine Art vormoderne Denkschule, die vor allem einer bestimmten Methodik der Beweisführung folgte und sich dabei auf antike Philosophen wie Aristoteles stützte, war die führende Wissenschaft. Die sich daraus ergebenden akademischen Dispute waren in der Regel eher nüchtern und unaufgeregt sowie meistens auf Detailfragen fokussiert, sodass die mittelalterliche Universität weitgehend eine Insel des Friedens war. Das Beispiel des in Paris lehrenden Theologen Abaelard verdeutlicht diesen Befund: Obwohl er als großer kritischer Geist galt, der mit seinen unkonventionellen Ansichten oft aneckte, war der größte Skandal an seiner Universität eine Affäre mit einer jungen Frau, deren Hauslehrer er war. Erst in der so genannten Renaissance kam es wieder in größerem Umfang zu Konflikten zwischen politischen und wissenschaftlichen Akteuren. Hier waren es vor allem kirchliche Entscheidungsträger, die die beginnende Etablierung der modernen Wissenschaft bekämpften – prominente Namen, die wie Sokrates diesem Konflikt zum Opfer fielen, sind der Kosmologe Giordano Bruno oder der Universalgelehrte Galileo Galilei, beide aus dem 16. Jahrhundert. Im Zuge der zunehmenden Ausdifferenzierung und Professionalisierung der Wissenschaften und des steigenden Bedarfs an immer mehr gut ausgebildeten Fachkräften nahmen die weltlichen Herrscher die universitäre Ausbildung unter ihre Fittiche. Hochschulen und Universitäten wurden zunehmend zu Ausbildungsstätten für neue Beamte. Obwohl die Politik die Universitäten kontrollierte und finanzierte, blühten Geist und Wissenschaft, da die Wissenschaft und Macht sich gegenseitig befruchteten, indem letztere den ersteren die finanziellen Mittel überließ, während die Wissenschaft und Universitäten gebildete Staatsdiener heranzog.
Freiraum für die Wissenschaft – aber außerhalb der eigenen Grenzen
Die Dezentralisierung des Staates und die föderale Struktur des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ermöglichten es Gelehrten und Wissenschaftlern, die bei einem Fürsten in Ungnade gefallen waren, an andere Universitäten oder Höfe jenseits der Landesgrenzen zu wechseln – eine Entwicklung, die in Grundzügen auch schon in Mittelalter begann, aber sich vor allem in der Neuzeit zur Alltäglichkeit entwickelte. Christian Wolff, einer der bedeutendsten deutschen Philosophen des frühen 18. Jahrhunderts, musste die Universität Halle, an der er lehrte, aufgrund eines königlich-preußischen Erlasses verlassen, weil er des Atheismus beschuldigt wurde. Nach seiner Verbannung ging Wolff an die Universität Marburg, wurde aber Jahre später vom preußischen König begnadigt und wieder auf seinen alten Lehrstuhl in Halle berufen. Die aufgeklärten absoluten Herrscher des 18. Jahrhunderts hatten zwar ein strenges Auge Erst in der Renaissance kam es wieder zu größeren Konflikten zwischen Politik und Wissenschaft. auf Wissenschaft und Forschung, ließen aber auch Freigeister zu, sofern sie sich außerhalb der eigenen Grenzen aufhielten. Die Französische Revolution und Napoleon und die damit verbundenen politischen Entwicklungen führten vor allem in Preußen zu einer Reform des Bildungs- und Wissenschaftswesens. Einer der Reformer, Wilhelm von Humboldt, propagierte das so genannte Humboldtsche Bildungsideal, das eine ganzheitliche Bildung bedeutete. Heute versteht man darunter vor allem die Einheit von Forschung und Lehre. Die 1809 gegründete Friedrich-Wilhelms-Universität entwickelte sich immer mehr zu einem Zentrum der Wissenschaft im deutschsprachigen Raum, ebenso professionalisierten sich die Gelehrtengesellschaften und Akademien wie die Preußische Akademie der Wissenschaften. Vor allem zu Beginn des 19. Jahrhunderts sammelten sich in Berlin die Denker und Köpfe, die in den folgenden Jahren den Konflikt zwischen akademischer Lehre, Wissenschaft und Politik auf die Spitze treiben sollten.
Die Frage nach der Freiheit der Wissenschaft
Die Ausbreitung der Wissenschaften führte in der beginnenden Neuzeit zunehmend zu Diskussionen über die Grenzen der eigenen Disziplinen. Die akademische Lehrfreiheit wurde zwar schon 1737 von der Universität Göttingen garantiert und auch der erwähnte Wilhelm von Humboldt sah die Berliner Universität im Dienste der Wissenschaftsfreiheit, aber erst 1848 wurde in der Paulskirchenverfassung erstmals die Freiheit von Wissenschaft und Lehre garantiert. Heute sind beide Freiheiten in vielen Verfassungen verankert und in anderen Gesetzen erweitert worden – so genießen zum Beispiel auch Studenten die Freiheit des Studiums. Aktuelle Statistiken und Nichtregierungsorganisationen sehen die deutschsprachigen Länder dementsprechend als akademisch und wissenschaftlich frei an. So führt der Academic Freedom Index (AFI), der von der FAU Erlangen-Nürnberg und der Universität Göteborg erstellt wird, Deutschland, Österreich und die Schweiz an. Im Jahr 2022 lag Deutschland laut AFI sogar auf Platz eins, mit kleinem Abstand zu den anderen genannten Ländern. Sind damit Schicksale wie das von Professor Wolff in Deutschland und Österreich unmöglich geworden? Ist im 21. Jahrhundert die Wissenschaftsfreiheit in vollem Maße gewährleistet, sodass die eben genannten Verhältnisse aus früheren Zeiten wortwörtlich der Geschichte angehören? Ist damit die Politik endgültig aus dem Wissenschaftsbetrieb verbannt?
Der Korridor des Sagbaren wird immer enger. Ein falsches Wort oder eine abweichende Meinung genügen – schon steht man auf der Abschussliste der Tugendwächter. In der FREILICH-Ausgabe Nr. 21 zeigen wir, wie die „Cancel Culture“ unseren Alltag beeinflusst und die Freiheit bedroht.
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Wissenschaft im Schatten der Blockkonfrontation
Die akademische Freiheit steht nicht erst seit dem Aufkommen des Globalismus unter Beschuss. Schon im Zuge des Blockkonflikts nach dem „europäischen Bürgerkrieg 1914-1945“ (Ernst Nolte) wurde die Atmosphäre in der Wissenschaft und an den Universitäten zunehmend politischer – eine Entwicklung, die sich bereits im 19. Jahrhundert abzeichnete, damals aber nicht die Ausmaße des folgenden Jahrhunderts annahm. Exemplarisch für die politisierte Stimmung des akademischen Nachwuchses können die Junghegelianer – also junge Freigeister wie Karl Marx, Ludwig Feuerbach und Bruno Bauer – genannt werden, die Mitte des 19. Jahrhunderts mit ihren Thesen und Gedanken die wissenschaftliche Gelehrsamkeit und Ruhe aufmischten. Diese Atmosphäre setzte sich in der Weimarer Republik und in der ersten österreichischen Republik fort. Während die staatlichen Institutionen noch fest in der Hand der Konservativen waren, die durchaus auch liberalen oder linken Nachwuchswissenschaftlern eine Karriere ermöglichten, bildeten sich auch konkrete Parallelstrukturen heraus. So war die 1920 gegründete Deutsche Hochschule für Politik eine linke, private Bildungseinrichtung, die im sozialdemokratischen und liberalen Geist jungen Menschen politische Bildung und Karrieren im Staatsdienst ermöglichen sollte. Große Namen wie der Österreicher Hermann Heller oder der spätere Bundespräsident Theodor Heuss lehrten an der Hochschule, während konservative Köpfe wie der Katholik Carl Schmitt keine Beachtung fanden. Hier zeigte sich bereits die erste indirekte politische Maßnahme, nämlich die Berufungspolitik der Professoren und die Einstellung der Dozenten.
Die politisierte Universität
Vor allem nach 1945 wurden Universität und Wissenschaft zu einer politischen Arena. Immer mehr konservative Akademiker gingen in den Ruhestand und ließen dem Nachwuchs große Karrierechancen. Zudem wurden die vielen durch die „Entnazifizierung“ frei gewordenen Lehrstühle nur selten mit konservativen, aber nicht-nationalsozialistischen Gelehrten besetzt, sondern häufig mit Exilanten, die nach der Niederlage Deutschlands zurückkehrten und großen gesellschaftlichen und damit auch politischen Einfluss gewannen. So konnte der konservative Anthropologe Arnold Gehlen trotz seiner akademischen Leistungen und vieler Stationen als Dozent an renommierten Universitäten in den 1950er Jahren nicht an die Universität Heidelberg wechseln, weil der bekannte Philosoph Theodor W. Adorno intervenierte und die Berufung Gehlens verhinderte, so dass der Anthropologe weiter an der unbekannten Staatlichen Akademie für Verwaltungswissenschaften in Speyer lehren musste. Vor allem Frankfurt und Marburg sowie West-Berlin wurden in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik zu einem Sammelbecken vor allem linker Studenten und Professoren, die in großem Maß von US-amerikanischen Institutionen und Organisationen gefördert wurden – Stichwort „reeducation“. In Frankfurt konnte das Institut für Sozialforschung mit Namen wie dem bereits erwähnten Adorno oder Jürgen Habermas großen Einfluss auf die sich etablierende Mittelstandsgesellschaft ausüben. Nicht zu unterschätzen ist die Wirkung der Frankfurter, die über Massenmedien wie Rundfunk und Fernsehen oder durch ihre Lehrtätigkeit einen so großen Einfluss auf die durch den Krieg noch verunsicherten Deutschen ausübten, dass die Autoren einer Wirkungsgeschichte ihr Buch mit dem Titel „Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik“ überschrieben haben. Im hessischen Marburg entwickelte sich unter dem Marxisten Wolfgang Abendroth eine marxistische Denkschule, die über mehrere Generationen Akademiker hervorbrachte. Die in West-Berlin neu gegründete Freie Universität war zunächst vor allem ein Sammelbecken für eher sozialdemokratische oder liberale Professoren wie den Politologen Kurt Sontheimer und später den Historiker Ernst Nolte. Studentenproteste und Blockkonfrontation Gerade die genannten Universitätsstandorte wurden im Laufe der 60er Jahre zu Brennpunkten der Studentenrebellion und der sogenannten 68er. Angestachelt von ihren Professoren, der weltpolitischen Lage (Vietnamkrieg, Blockkonflikt, Entkolonialisierung) und einer allgemein eher depressiven Stimmung – man störte sich an der Genügsamkeit und Zufriedenheit der Älteren – revoltierten der akademische Mittelbau und die Studenten gegen die bestehenden Strukturen. Viele nahmen die Freiheit der Lehre und der Wissenschaft wörtlich – in langen Deklaration forderten junge Studenten die Abschaffung von Prüfungen und ähnlichen universitären Angelegenheiten. Die Professoren, über Jahrhunderte eine starke und akzeptierte Autorität, verloren zunehmend an Gewicht und wurden nicht selten zum Gespött ihrer eigenen Studenten – das sogenannte „Busenattentat“ auf Adorno ist das bekannteste Beispiel. Drei junge Studentinnen entblößten im Hörsaal vor dem verdutzten Adorno ihre Brüste, als es einige Tage zuvor zu Tumulten wegen der polizeilichen Räumung des Instituts für Sozialforschung gekommen war. Der von den Nationalsozialisten ins Exil getriebene Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel, der sich mit einigen Werken über das Dritte Reich einen Namen gemacht hatte, floh geradezu vor den jungen Westberliner Studenten, die in ihrer politischen Ekstase nicht mehr zu bremsen waren und selbst gegen liberale oder linke Professoren vorgingen. Das konservative Lager wirkte wie gelähmt, während die Regierungskoalition aus Union und SPD unter Bundeskanzler Kiesinger nur schwerfällig reagierte. Die Studentenbewegung der 68er war an vielen Hochschulen der letzte Schritt zu einer linken Massenuniversität, die auch Wissenschaft und Forschung nivellierte. In den 70er Jahren kam es in Westdeutschland zu einer regelrechten Bildungsexpansion, die vor allem in den geisteswissenschaftlichen Fächern viele Nachwuchskräfte auf Lehrstühle brachte. Die Neugründungen und der Ausbau der Universitäten und Hochschulen erforderten immer mehr junge Professoren und Dozenten, die häufig von jungen Leuten gestellt wurden, die wenige Jahre zuvor noch auf den Barrikaden gestanden und die Institution Universität verspottet hatten. Im norddeutschen Bundesland Niedersachsen beispielsweise holten sozialdemokratische Minister ehemalige Radikale an ihre Universitäten und stellten sie als Professoren oder Dozenten ein. Spätestens ab dieser Zeit wurde es für konservative Studenten und Nachwuchswissenschaftler, aber auch für renommierte Professoren immer schwieriger, sich im universitären und wissenschaftlichen Umfeld zu behaupten. Der Bund Freiheit der Wissenschaft (BFW), der sich im Zuge der linken Studentenproteste gebildet hatte, war ein Zusammenschluss vieler Professoren, die sich den stürmischen Aktivitäten der Jugend entgegenstellen wollten, konnte aber trotz seines Bekanntheitsgrades und seiner großen Mitgliederzahl der Vitalität der Revolte nichts entgegensetzen. Die Universität kippte unumkehrbar nach links.
Verkrustung der Wissenschaft
Der Korridor für wissenschaftliche Positionen und Forschungen abseits des Mainstreams wurde ab den 1980er Jahren immer enger. Deutlich wurde dies am Schicksal des bereits erwähnten Faschismusforschers Ernst Nolte. Während dieser in den 60er Jahren ein viel beachtetes und rezipiertes Werk über den „Faschismus in seiner Epoche“ vorlegte und in den Folgejahren zu verschiedenen Themen forschte, löste 1986 sein Zeitungsartikel über einen angeblichen Zusammenhang zwischen Holocaust und sowjetischen Klassenmorden einen derartigen Skandal („Historikerstreit“) aus, dass Nolte zunehmend isoliert und von der Studentenschaft der FU Berlin offen angefeindet und angegriffen wurde – so wurde sein Auto angezündet. Nolte führte ab den 90er Jahren ein Leben als Paria, wobei er interessanterweise in Frankreich und Italien ein gern gesehener Gast und vielgelesener Autor blieb. Konservative oder rechte Meinungsäußerungen sind in den letzten 30 Jahren seit dem Fall Nolte kaum noch zu finden – wer seine akademische Karriere nicht gefährden will, hält sich lieber bedeckt und spricht brisante Forschungsthemen nicht an. Dass den moralischen Sittenwächtern dabei keine Grenze eng genug sein kann, zeigen aktuelle Beispiele. So wurde dem renommierten Osteuropa-Historiker und Stalin-Experten Jörg Baberowski, der an der Berliner Humboldt-Universität lehrt, ein indirektes Redeverbot bei einem Vortrag an der Universität Bremen erteilt – aus Sicherheitsgründen wurde der Vortrag an einen anderen Ort verlegt, weil die Studentenschaft und der AStA – die Studentenvertretung – Baberowskis kritische Äußerungen zur Flüchtlingspolitik Merkels 2015 skandalisiert hatten. Ebenso wurde an der Universität Wien eine Geschichtsvorlesung des Historikers Lothar Höbelt von linken Studenten gestört. Die heutigen Angriffe auf unliebsame Wissenschaftler und Akademiker sind nie direkt – niemandem wird die Vorlesung verboten oder die Veröffentlichung kritischer Schriften untersagt –, sondern anonym und indirekt, indem versucht wird, die Arbeit des ins Visier geratenen Akteurs zu stören – zum Beispiel durch die Besetzung von Hörsälen. Es gibt auch keine Publikations- oder Redeverbote, aber immer mehr Verlage oder Veranstaltungen distanzieren sich, um dem Druck linker und linksextremer Akteure zu entgehen. Junge rechte Nachwuchsakademiker dürfen promovieren, finden aber keinen Doktorvater, der dem Druck antifaschistischer Netzwerke standhält, wie das Beispiel Benedikt Kaiser verdeutlicht – das Prinzip ist klar. Formal gilt die Wissenschaftsfreiheit, jedoch wird die Umsetzung vielfach gestört, ja durch die faktische Hegemonie linker Einflusskräfte ausgehebelt.
Eine rasende Eskalation
Dies gilt jedoch nicht zwangsläufig für eine konkrete Gruppe. Akteure, die sich einerseits dem offiziellen Narrativ widersetzen oder mit gesellschaftlichen Außenseitern wie der AfD verbunden sind, werden mit aller Härte angegriffen. Jüngste Beispiele wie das von Ulrike Guérot zeigen die Wucht, die einen trifft, wenn man aus der Reihe tanzt. Die Bonner Politikprofessorin, die nie mit konservativen Positionen aufgefallen war, wurde im Zuge des Ukrainekrieges vom akademischen und politmedialen Komplex heftig angefeindet, weil sie eine eher kriegskritische Position einnahm. Die junge Biologie-Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht, die an der Humboldt-Universität zu Berlin einen Vortrag über Gender halten wollte, wurde vom Veranstalter ausgeladen, da die Universität unter starken Druck geraten war. Die Freiheit der Lehre ist nur noch indirekt gegeben, wie ein Beispiel aus Jena zeigt: Ein Historiker konnte ein Seminar über die „Konservative Revolution“ an der Universität wegen linker Studentenproteste nur unter großen Schwierigkeiten abhalten. Andere Wissenschaftler wie Stefan Homburg und Sucharit Bhakdi, die der Coronapolitik kritisch gegenüberstanden, wurden so stark angefeindet, dass Homburg ins Ausland ging und Bhakdi in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde. AfD-Politiker, die vor ihrem Engagement in der Politik Lehrstühle innehatten, bekommen die ganze Härte des Systems zu spüren: Der Wirtschaftswissenschaftler Harald Weyel, der aktuell seit 2017 für die AfD im Bundestag sitzt, wird aller Voraussicht nach nicht mehr auf seinen Lehrstuhl an der Fachhochschule Köln zurückkehren können, da sich sein Dienstherr mit allen juristischen Mitteln gegen eine Rückkehr wehrt; auch Personen, die sich in der AfD engagierten und der Partei den Rücken kehrten, werden angegriffen, wie das Beispiel ihres ehemaligen Vorsitzenden, des Ökonomen Bernd Lucke zeigte. Der Wirtschaftsprofessor konnte nach der Rückkehr an seine Universität in Hamburg anfangs keine normalen Vorlesungen abhalten, da linke Studenten regelmäßig seine Veranstaltungen blockierten und störten.
Im Schulterschluss
Neben diesen Bemühungen, konservative Wissenschaftler zu isolieren, gibt es seit einigen Jahren auch eine verstärkte Tendenz, Wissenschaft und Politik enger zu verknüpfen. Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass zu bestimmten Themen offizielle Sprecher aus der Wissenschaft auftreten. Während der Coronapandemie waren Professoren wie Melanie Brinkmann oder Christian Drosten die Gesichter und Stimmen der Wissenschaft, die gemeinsam mit der Politik die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie öffentlich erklärten und unterstützten. Akademische Kollegen, die gegen diese quasi-offiziellen Positionen argumentierten, wurden dann als Abweichler bekämpft. Dieses Prinzip lässt sich in Bezug auf den Krieg in der Ukraine am Wirken des Politologen Carlo Masala erkennen. Ob man angesichts der aufgezeigten Beispiele noch von akademischer Freiheit sprechen kann, muss daher an dieser Stelle bezweifelt werden. Vielmehr scheint sich so etwas wie eine formale Wissenschaftsfreiheit herauszubilden, die aber in der Praxis nicht umgesetzt wird. Politik und Wissenschaft waren, wie gezeigt, schon immer ein enges Paar – dass die heutige Enge vielleicht einen der beiden, nämlich die Wissenschaft, erstickt, ist leider zu befürchten. Politik und Wissenschaft sind untrennbar miteinander verbunden – Sokrates hat diese Erkenntnis mit seinem Leben bezahlt. Es wird sich zeigen, ob das konservative Lager den wissenschaftlichen und universitären Betrieb zurückerobern kann.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der FREILICH-Ausgabe Nr. 21 „Freiheit in Gefahr“. Jetzt im FREILICH-Buchladen bestellen!
Zur Person:
Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Im Sommer 2020 war er Mitgründer des konservativen Onlinemagazins konflikt. Im Jahr 2021 folgte das Buch Postliberal im Verlag Antaios. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei FREILICH. Seine Interessensgebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.
Twitter: https://twitter.com/Bruno_Wolters