Politikwissenschaftlerin: „Deutschland hat nicht zu viel, sondern zu wenig Zuwanderung“

Die Göttinger Politikwissenschaftlerin Karen Schönwälder ist der Meinung, dass Deutschland zu wenig Migration habe und dass es eine stabile und deutliche Mehrheit gebe, die eine multikulturelle und vielfältige Gesellschaft positiv bewerte und bereit sei, Migranten zu unterstützen. Aktuelle Umfragen zeigen jedoch etwas anderes.

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Politikwissenschaftlerin: „Deutschland hat nicht zu viel, sondern zu wenig Zuwanderung“

Frau mit Kindern in München (Symbolbild).

© IMAGO / Sven Simon

Göttingen. – Die Göttinger Politikwissenschaftlerin Karen Schönwälder hat die Politik davor gewarnt, eine Anti-Migrationsstimmung in Deutschland zu schüren. Populistische Äußerungen und Debatten über die Überforderung der Kommunen und die Schließung der Grenzen lösten die Probleme nicht, sagte die Professorin. Es gebe in Deutschland eine stabile und deutliche Mehrheit, die eine multikulturelle und vielfältige Gesellschaft positiv bewerte und bereit sei, Migranten zu unterstützen. „Wir müssen diese Mehrheit stärker mobilisieren und ihr nicht erzählen, sie sei eine Minderheit“, zitiert das Göttinger Tagblatt die Politikwissenschaftlerin.

„Probleme im Vergleich zu anderen Ländern eher gering“

Wenn die Politik ständig von einer Migrationskrise spreche, treibe sie der AfD neue Anhänger zu, sagte die Expertin vom Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften. An überfüllten Flüchtlingsunterkünften und Engpässen in Schulen und Kitas seien nicht die Migranten schuld. „Die Schul- und Bildungspolitik versagt seit Jahrzehnten, weil sie sich nicht auf die anhaltende Zuwanderung nach Deutschland einstellt und immer wieder improvisiert.“ Zudem seien die Probleme im Vergleich zu Ländern wie der Türkei oder Uganda, die Millionen von Migranten in Lagern unterbringen müssten, eher gering, sagte Schönwälder. „Die lachen sich kaputt, wenn wir sagen, wir seien überlastet.“

Die Bereitschaft der deutschen Bevölkerung, sich für Migranten einzusetzen und ihnen zu helfen, habe sich 2015 und zu Beginn des Krieges in der Ukraine gezeigt, so die Wissenschaftlerin. Führende Politiker, Kirchen und andere Autoritäten hätten für eine außergewöhnliche Mobilisierung und Welle der Hilfsbereitschaft gesorgt. Sie hätten die Neuankömmlinge als Schutzsuchende dargestellt, die Hilfe verdienten. „Dieselben Personengruppen gelten jetzt als illegale Migranten.“

Mehrheit hält Deutschland für überfordert

Deutschland habe nicht zu viel, sondern zu wenig Zuwanderung, betonte die Professorin. Unter den Migranten seien viele, die langfristig helfen könnten, den Fachkräftemangel etwa in der Kinderbetreuung zu beheben. „Aber die bringen natürlich auch Kinder mit und brauchen selbst die soziale Infrastruktur. Durch diesen Engpass müssen wir jetzt durch.“ Die Politik müsse endlich reagieren und das völlig unterfinanzierte Bildungssystem besser aufstellen. Diskussionen über verstärkte Grenzkontrollen und die Eindämmung der Schleuserkriminalität seien dagegen kontraproduktiv, so Schönwälder. Sie suggerierten, „dass ein einzelner Nationalstaat bestimmen kann, wer hierherkommt“. Das sei ein Trugschluss. „Die Krisen in der Welt werden sich wiederholen, und Deutschland lebt auch von seiner Offenheit.“

Im Jahr 2023 haben bislang mehr als 220.000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt. Insgesamt dürften es hier 2023 mehr als 300.000 Asylbewerber geben. Doch laut  RTL/n-tv-Trendbarometer glauben nur 27 Prozent der Bundesbürger, dass Deutschland diese Zahl an Asylbewerbern noch verkraften kann. Die überwiegende Mehrheit von 70 Prozent hält Deutschland damit für überfordert. Nur unter den Anhängern der Grünen meint eine knappe Mehrheit (56 Prozent), dass Deutschland diese Zahl an Migranten verkraften könne. Unter den Anhängern der AfD halten 98 Prozent Deutschland damit überfordert, unter den Anhängern der Union sind es 79 Prozent, bei der FDP 69 Prozent, bei der SPD 57 Prozent und bei den Grünen-Anhängern 41 Prozent.

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